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RegressVersicherer will mit Regressanspruch aufrechnen – lt. BGH-Urteilen vom 16.01.2024 ist das unzulässig

Abo-Inhalt15.11.20243733 Min. Lesedauer

| In der Regresswelle, die manche Versicherer gegen die Dienstleister rund um die Unfallschadenbeseitigung aufbauen, wird es immer bunter. Mit immer neuen Ideen treten verschiedene Versicherer an, um den Betrag, den sie auf Basis des subjektbezogenen Schadenbegriffs ungekürzt zahlen mussten, von den Schadengutachtern, Werkstätten, Abschleppunternehmen etc. zurückzuverlangen. Aktuell versucht ein Versicherer, mit dem Regressanspruch gegen den Schadengutachter aufzurechnen. Das ist unzulässig, wie ein Blick in die BGH-Urteile vom 16.01.2024 zeigt. |

Ein Schreiben des Versicherers fernab der Rechtslage

Entweder dreist oder von fehlender Rechtskenntnis getragen schreibt ein in Niedersachsen sehr marktstarker Versicherer nun an den Schadengutachter (bei einer Werkstatt wäre die Rechtslage identisch): „Der Geschädigte hat uns angewiesen, die Zahlung an Sie zu leisten und uns alle Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis zwischen ihm und Ihnen abgetreten. Der Rechnungsbetrag beträgt 1.095,28 Euro. Die Rechnung ist übersetzt. Den Prüfbericht haben wir Ihnen bereits mit Schreiben vom 08.10.2024 übersandt. Da uns Ihnen gegenüber ein Schadenersatzanspruch aus abgetretenem Recht zusteht, erklären wir hiermit die Aufrechnung in Höhe von 101,63 Euro und zahlen daher den Betrag von 993,65 EUR. Rein vorsorglich erheben wir hiermit auch die dolo-agit-Einrede.“

Nur mit gegenseitigen Ansprüchen ist Aufrechnung möglich

So geht das nicht. Denn mit der Zahlung an den Schadengutachter oder die Werkstatt bedient der Versicherer einen Anspruch des Geschädigten. Lediglich sind der Schadengutachter oder die Werkstatt als Empfangsstelle für das Geld angegeben. Oder um es allgemeinverständlich zu sagen: Der Geschädigte verlangt, dass das ihm zustehende Geld auf das Konto des Schadengutachters oder der Werkstatt überwiesen wird. So steht es ja auch in dem Schreiben. Das also hat der Versicherer verstanden: „Der Geschädigte hat uns angewiesen, die Zahlung an Sie zu leisten …“

Gegen einen Anspruch des Geschädigten kann der Versicherer aber nicht mit einem (in der Regel ohnehin nicht existenten) Rückforderungsanspruch gegen den Schadengutachter oder die Werkstatt aufrechnen. Denn das sind keine gegenseitigen Forderungen.

Hinzu kommt: Der (vielleicht gar nicht existente, aber das wird in diesem Stadium nicht geprüft) Rückforderungsanspruch des Geschädigten gegen den Schadengutachter oder die Werkstatt wurde Zug um Zug gegen die Zahlung in Höhe des Rechnungsbetrags an den Versicherer abgetreten. Zug um Zug heißt: Erst mit der vollständigen, also ungekürzten Zahlung wird der Versicherer Inhaber des abgetretenen Rückforderungsanspruchs. Die Abtretung des Geschädigten zugunsten des Versicherers ist nämlich keine Vorleistung des Geschädigten. Sie ist mit der Zahlung verknüpft. Solange der Versicherer nicht vollständig gezahlt hat, ist er nicht der Inhaber des Rückforderungsanspruchs. Also gibt es ein zweites Hindernis für dessen Aufrechnungsidee: Mit einer Forderung, die dem Versicherer noch nicht gehört, kann er nicht aufrechnen.

Dolo-agit-Einwand passt hier nicht

Auch der weitere vom Versicherer bemühte Grund, nicht vollständig zahlen zu wollen, zieht nicht. Er erhebt den „dolo agit“-Einwand. Soll heißen: Es sei treuwidrig, etwas zu fordern, was man sofort zurückgeben müsse. Diesen Rechtsgrundsatz gibt es tatsächlich (Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus es). Aber er passt hier nicht.

Denn der Schadengutachter oder die Werkstatt fordern ja gar nichts. Der Geschädigte fordert. Lediglich soll das Geld an den Schadengutachter oder die Werkstatt gezahlt werden (siehe oben). Der Versicherer behauptet gar nicht, dass er vom Geschädigten etwas zurückverlangen könne. Er meint, vom Schadengutachter oder von der Werkstatt etwas zurückverlangen zu können. Also fordert der Geschädigte nichts, was er zurückgeben müsste. Der Pfeil des Versicherers hat abermals nicht ins Schwarze getroffen.

Alles das hat der BGH längst 2024 geklärt

Dass ein Versicherer auf einen so schrägen Gedanken kommt, war abzusehen. Deshalb ist es gut, dass der BGH zu der Thematik in der Urteilsserie vom 16.01.2024 bereits Stellung genommen hat: „(Vollstreckungs-)Gläubiger bleibt auch in diesem Fall allein der Geschädigte. Die Werkstatt erhält lediglich eine Empfangszuständigkeit. Entgegen der von der Beklagten geäußerten Rechtsauffassung entfaltet das Urteil deshalb keine Rechtskraftwirkung gegenüber der Werkstatt. Mit vom Geschädigten abgetretenen Ansprüchen gegen die Werkstatt, die bei Zug-um-Zug-Verurteilung ohnehin erst mit der Zahlung an die Werkstatt auf den Schädiger übergehen, kann dieser ferner mangels Gegenseitigkeit der Ansprüche nicht gemäß § 387 BGB aufrechnen.“ (BGH, Urteil vom 16.01.2024, Az. VI ZR 253/22, Abruf-Nr. 239194, dort unter Rz. 28).

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Streng genommen kann sich der Empfänger des Schreibens, sei es der Gutachter, sei es die Werkstatt, gar nicht dagegen zur Wehr setzen. Denn er ist ja nicht Inhaber des Anspruchs gegen den Versicherer. Nur der Geschädigte kann mit seiner anwaltlichen Vertretung dagegen vorgehen und den Versicherer auf vollständige Zahlung verklagen.

Man kann das aber auch pragmatisch angehen. Deshalb hat UE einen Textbaustein formuliert, den der Empfänger des Schreibens an den Versicherer sendet. Gleichzeitig informiert er die anwaltliche Vertretung des Kunden über den Vorgang und sein Schreiben. Vielleicht löst sich das dann ohne weitere Umstände auf.

Weiterführender Hinweis
  • Textbaustein 621: Versicherer kann nicht mit Regressanspruch aufrechnen (H) → Abruf-Nr. 50237908

AUSGABE: UE 12/2024, S. 9 · ID: 50237902

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