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Fiktive AbrechnungDas sind die Argumente gegen das Runter- rechnen der Reparaturkosten unter WBA

Abo-Inhalt21.11.20243785 Min. Lesedauer

| Die Nettoreparaturkosten sind höher als der Wiederbeschaffungsaufwand (WBA), also die Differenz aus Wiederbeschaffungswert netto und Restwert. Der Geschädigte verkauft das verunfallte Fahrzeug und möchte den WBA vom Schädiger erstattet haben. Der Versicherer rechnet die Reparaturkosten runter und möchte nun einen weit niedrigeren Betrag als den WBA erstatten. Für den Geschädigten, der auf der Grundlage des WBA disponiert hat, tut sich eine finanzielle Lücke auf. Muss man nun um die Richtigkeit der Reparaturkosten streiten oder ist die Disposition eine Sperre? UE klärt auf. |

Die These: Unzulässige Vermischung von konkret und fiktiv

Das Argument, das seitens der Versicherer regelmäßig aufgeboten wird, lautet: Man könne nicht auf den konkret erzielten Restwert abstellen. Denn das sei dann ein konkretes Element. Und das habe in einer fiktiven Abrechnung keinen Platz: Mischen verboten.

Meinung von UE: Vertrauen in das Gutachten ist geschützt

Die Überzeugung von UE ist: Eine Disposition des Geschädigten im Hinblick auf das Gutachten, dem er vertrauen darf, wenn es den Anforderungen entspricht, ist kein Element einer konkreten Abrechnung, das die fiktive Abrechnung „vergiftet“.

Berechtigte Disposition auf Basis der BGH-Rechtsprechung geschützt

Dazu muss man die Aufmerksamkeit auf die Entscheidung des BGH vom 13.10.2009 (Az. VI ZR 318/08, Abruf-Nr. 093553) und dort auf den Leitsatz a richten: „Im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens kann der Geschädigte, der ein Sachverständigengutachten einholt, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, und im Vertrauen auf den darin genannten Restwert und die sich daraus ergebende Schadensersatzleistung des Unfallgegners sein Fahrzeug reparieren lässt und weiternutzt, seiner Schadensabrechnung grundsätzlich diesen Restwertbetrag zugrunde legen.“

Das war ein „Weiternutzungsfall“ und damit ein Totalschaden ohne nachgewiesene Ersatzbeschaffung. Also war es eine fiktive Abrechnung. Denn eine Kaufrechnung für ein Ersatzfahrzeug war nicht die Grundlage, stattdessen war es das Schadengutachten.

Bereits aus der Formulierung des Leitsatzes kann man ablesen: Die Disposition des Geschädigten im Vertrauen auf das Gutachten ist geschützt. Dass dies im konkreten Fall nicht zum Erfolg führte, lag allein daran, dass das Gutachten im Hinblick auf die Restwertermittlung laienerkennbar unbrauchbar war.

Auch abweichende Fallgestaltung belegt Vertrauen in Gutachten

Dass die Disposition des Geschädigten im berechtigten Vertrauen in das Gutachten geschützt ist, zeigt sich auch an einer abweichenden Fallgestaltung als Nagelprobe, die den Spieß einfach mal umdreht:

  • Wiederbeschaffungswert lt. Gutachten 10.000 Euro netto, Restwert mit drei Angeboten hinterlegt 2.000 Euro netto. Der Geschädigte wählt die fiktive Abrechnung des Schadens auf der Grundlage des Gutachtens.
  • Tatsächlich hat der Geschädigte für den Unfallwagen jedoch 5.000 Euro erzielt und hält damit auch nicht hinter dem Berg.
  • Auf eine konkrete Abrechnung kann der Geschädigte – unabhängig davon, dass er das nicht muss – schon deshalb nicht umstellen, weil er keinen Ersatz beschafft hat.

Der Auffassung „unzulässige Vermischung“ folgend hätte der Geschädigte nun dennoch Anspruch auf den WBA von 8.000 Euro, denn die Einstellung des tatsächlich für den Unfallwagen erzielten Betrags von 5.000 Euro wäre eine unzulässige Vermischung von einem konkreten Element mit einer fiktiven Abrechnung. Diese Ansicht wird kein Versicherer und richtigerweise auch kein Gericht vertreten.

Beispiele aus der Rechtsprechung zum Dispositionsschutz

Zwei Beispiele aus der Rechtsprechung berücksichtigen den Dispositionsschutz, den der BGH sieht:

Praxistipp | Da man aber nicht sicher abschätzen kann, wie das Gericht reagiert, ist es sinnvoll, auch die sachliche Fehlerhaftigkeit des Runterrechnens durch den Versicherer inhaltlich anzugreifen.

  • Das LG Saarbrücken hat entschieden: „Andernfalls könnte der Geschädigte die ihm zustehende Schadensbehebung nicht mehr selbständig durchführen, weil er stets damit rechnen müsste, dass die Grundlagen seiner Schadenskalkulation im Nachhinein verändert werden könnten. Sein Vertrauen auf die gutachterliche Bewertung ‚seines‘ Sachverständigen und die darauf fußende Kalkulation ist folglich bei der Durchführung einer Wiederherstellungsmaßnahme grundsätzlich schützenswert.“ (LG Saarbrücken, Urteil vom 15.09.2017, Az. 13 S 59/17, Abruf-Nr. 196952).
  • Und das LG Lübeck: Wenn sich der Geschädigte auf der Grundlage des Schadengutachtens zu einer Ersatzbeschaffung entschließt und diese auch vornimmt, kann der Versicherer die Reparaturkosten nicht im Nachhinein auf einen Reparaturschaden herunterrechnen (LG Lübeck, Urteil vom 28.05.2021, Az. 2 O 298/19, Abruf-Nr. 226210).
Weiterführender Hinweis
  • Textbaustein Nr. 622 „Kein Runterrechnen der Reparaturkosten unter den Wiederbeschaffungsaufwand (H)“ → Abruf-Nr. 50240437

AUSGABE: UE 12/2024, S. 11 · ID: 50240367

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