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SozialversicherungspflichtLehrtätigkeit als abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit – BSG präzisiert Regeln

Abo-Inhalt20.06.2023200 Min. Lesedauer

| Dozenten und Lehrkräfte gehören zum Kreis von Auftragnehmern in Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen, die am häufigsten „auf Honorarbasis“ beschäftigt werden. Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung ist in der Praxis oft schwierig. Das BSG hat nun in einem neueren Urteil seine Auffassung zu Lehrtätigkeiten präzisiert. SB macht Sie mit den Einzelheiten vertraut und gibt Handlungsempfehlungen für die Praxis. |

Dozenten und Lehrkräfte in der Sozialversicherung

Generell gilt, dass bei Lehrern, die an einer allgemeinbildenden Schule (Grundschule, Mittelschule, Realschule, Gymnasium, Fachoberschule, Berufsoberschule oder Berufsschule) unterrichten, von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen ist. Sie sind in den Lehrplan eingebunden. Wenn diese Lehrer keine Beamten sind, ist von einer abhängigen Beschäftigung und nicht von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen.

Anders verhält es sich bei Dozenten, die bspw. nebenberuflich für eine gGmbH, Stiftung oder gemeinnützige Körperschaft Kurse erteilen. Hier ist von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen, wenn sie ausschließlich als Dozenten dort tätig sind. Anders verhält es sich allerdings, wenn sie zusätzlich in die Organisation der Körperschaft eingebunden sind. Dann ist von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Diese Grundsätze hat das BSG aktuell im Fall einer Lehrerin einer Musikschule präzisiert.

BSG hält Lehrerin einer Musikschule für abhängig beschäftigt

Die Lehrerin einer städtischen Musikschule erhielt auf Basis eines „Honorarvertrags“ ein festgelegtes Honorar für geleistete und solche Unterrichtsstunden, deren Ausfall die Schüler zu vertreten hatten. Aufgrund von Erkrankung oder sonstiger Verhinderung der Lehrerin konnte sie in Absprache mit der Schulleitung ausgefallene Unterrichtsstunden nachholen. Sie hatte den Unterricht persönlich in den Räumen der Musikschule unter Nutzung der dort vorhandenen Klaviere/Keyboards auf der Basis der Rahmenlehrpläne des Verbandes deutscher Musikschulen zu erteilen und musste sich dabei an den zeitlichen Vorgaben der Musikschule halten, die einen Stundenplan erstellte.

Auf Antrag der Lehrerin hatte die DRV Bund Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung festgestellt. In der Berufung hatte die Musikschule Recht bekommen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.09.2019, Az. L 13 BA 582/18): Mangels Beschäftigungsverhältnis habe keine Versicherungspflicht bestanden. Bei den Vorgaben zu Zeit und Ort der Durchführung des Unterrichts handle es sich ebenso wie bei dem Lehrplanwerk des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) lediglich um Rahmenvorgaben, eine Weisungsgebundenheit habe nicht bestanden. Aus der Verpflichtung zur Teilnahme an nur wenigen Konferenzen jährlich ergebe sich keine organisatorische Eingliederung. Das BSG hat das LSG-Urteil kassiert (BSG, Urteil vom 28.06.2022, Az. B 12 R 3/20 R, Abruf-Nr. 235470).

Nach Ansicht des BSG überwiegend beschäftigungstypische Merkmale

Das BSG kam zum Schluss, dass die Musiklehrerin weisungsgebunden in den Musikschulbetrieb eingegliedert war. Beschäftigungstypisch sei insbesondere die Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung sowie die Festlegung auf bestimmte Unterrichtszeiten und Räume der Schule. Die Tätigkeit war nicht nur durch die Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung in festgelegten Räumen gekennzeichnet. Die Lehrerin war auch in prägender Weise in die Organisationsabläufe der Musikschule eingegliedert. Das Weisungsrecht verfeinerte sich dadurch – wie bei Hochqualifizierten oder Spezialisten (sog. Dienste höherer Art) – zur „funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“.

Rahmenvorgaben oder reduzierte Weisungsrechte per se kein Indiz

Eine Dienstleistung kann fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung eines fremden Betriebs erhält. Rahmenvorgaben oder reduzierte Weisungsrechte sprechen in solchen Fällen erst dann für Selbstständigkeit, wenn die Tätigkeit auch durch typische unternehmerische Freiheiten geprägt ist, die unternehmerisches Handeln mit entsprechenden Chancen und Risiken erlauben. Daran fehlte es nach Ansicht des BSG im Urteilsfall.

Während die Musikschule die gesamte Organisation des Schulbetriebs in ihrer Hand hielt, die Räume und Instrumente kostenfrei zur Verfügung stellte und nach außen gegenüber den Schülern von der Anwerbung über den Vertragsabschluss bis zur Abrechnung und Kündigung allein auftrat, sind unternehmerische Gestaltungsmöglichkeiten der Lehrerin nicht ersichtlich. Diese hatte insbesondere weder die Möglichkeit, im Rahmen des Vertragsverhältnisses eigene Schüler zu akquirieren und auf eigene Rechnung zu unterrichten, noch konnte sie die geschuldete Lehrtätigkeit durch andere erbringen lassen.

Praxistipps |

  • Das BSG wendet auch für die Kunstgattung „Musik“ die allgemeinen Abgrenzungskriterien von Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit an.
  • Die Kriterien, die das BSG im Fall der Musiklehrerin anlegt, betreffen die meisten Lehrtätigkeiten. Für eine abhängige Beschäftigung spricht, dass
    • die Arbeitsleistung persönlich erbracht werden muss; gerade bei hochqualifizierten Tätigkeiten ist das der Regelfall, weil es oft auf sehr individuelle Kompetenzen ankommt;
    • die Lehrtätigkeit auf bestimmte Unterrichtszeiten und Räume des Bildungsträgers festgelegt ist;
    • die Lehrkraft einen Unterrichtsausfall aufgrund eigener Erkrankung oder sonstiger Verhinderung melden muss und ein Ausfallhonorar erhält, wenn Schüler nicht zum Unterricht erscheinen;
    • die gesamte Organisation des Schulbetriebs in den Händen des Bildungsträgers liegt;
    • nur der Bildungsträger nach außen gegenüber den Teilnehmern auftritt und den gesamten Verwaltungsaufwand von der Anwerbung über den Vertragsabschluss bis zur Abrechnung und Kündigung übernimmt;
    • die Lehrkraft nicht die Möglichkeit hat, eigene Schüler zu akquirieren und auf eigene Rechnung zu unterrichten.
  • Keine Rolle spielt nach Auffassung des BSG, ob die Lehrkraft auch andere Auftraggeber hat. Ebenso wenig, dass sie einzelne Schüler ablehnen kann.
  • Im Ergebnis bedeutet das: Die typischen Rahmenbedingungen für den Einsatz von Lehrkräften sprechen für abhängige Beschäftigung.

LSG pocht auf Vertrauensschutz für zurückliegende Jahre

Das LSG Niedersachsen-Bremen sieht in der obigen BSG-Rechtsprechung einen Paradigmenwechsel. Das BSG habe seine bisherige Sonderrechtsprechung für lehrende Tätigkeiten aufgegeben, wonach die üblichen vertraglichen Vereinbarungen mit den Lehrkräften ein starkes Indiz für eine selbstständige Tätigkeit sind (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2022, Az. L 2 BA 47/20, Abruf-Nr. 235468).

Für den behandelten Fall eines Lehrers, der bei der Volkshochschule als Dozent für Politik und Wirtschaft eingesetzt worden ist, wendet das LSG die Rechtsauffassung des BSG aber nicht an. Der behandelte Fall betraf nämlich Zeiträume vor Erlass des neuen BSG-Urteils vom 28.06.2022.

Das LSG ist der Auffassung, dass die Betroffenen ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand der früheren Rechtsprechung haben. Schulträger und sonstige Auftraggeber für lehrende Tätigkeiten dürften sich auf die bisherige großzügige Einschätzung rechtlich selbstständiger Tätigkeiten bei lehrenden Tätigkeiten verlassen.

Wichtig | Das LSG hatte die Revision zum BSG ausdrücklich zugelassen, und diese ist inzwischen auch eingelegt worden (Az. B 12 BA 3/23 R). Das BSG wird somit klären, ob in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur sozialversicherungsrechtlichen Statusbeurteilung bei Lehrkräften durch das Urteil des BSG vom 28.06.2022 eine Neuausrichtung liegt, die auch für zurückliegende Zeiträume zu berücksichtigen ist.

Anfrageverfahren zur Statusfeststellung sorgt für Sicherheit

Bereits vor der Einstellung oder vor dem Engagement eines Dozenten oder einer Lehrkraft sollte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund ein Clearingverfahren angestrebt werden (Anschrift: Deutsche Rentenversicherung Bund, Clearingstelle, 10704 Berlin). Dieses Clearingverfahren kann die Körperschaft oder der Dozent/die Lehrkraft betreiben. Bevor die Clearingstelle entscheidet, hört sie die Parteien an.

Wichtig | Selbst wenn der Bescheid der Clearingstelle falsch sein sollte, sind die Kontrollbeamten der DRV für die Vergangenheit daran gebunden.

Ohne Clearingverfahren gibt es keine Sicherheit. Stellt sich nämlich heraus, dass doch noch ein Arbeitnehmerstatus vorliegt, hat am Ende die Körperschaft das Nachsehen. Sie muss, mit Ausnahme der letzten drei Monate vor der Betriebsprüfung der DRV, neben den Arbeitgeberanteilen auch für die Arbeitnehmeranteile der Gesamtsozialversicherungsbeiträge aufkommen.

AUSGABE: SB 7/2023, S. 142 · ID: 49544327

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