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Übersicht zur Mittelgebühr§ 14 RVG: aktuelle Entscheidungen aus den Jahren 2021/2022 in Straf- und Bußgeldsachen

Abo-Inhalt14.02.20232327 Min. LesedauerVon RA Detlef Burhoff, RiOLG a. D., Leer/Augsburg

| RVG prof. hat bereits wichtige Entscheidungen zu § 14 RVG betreffend die Gebühren in Straf- oder Bußgeldsachen vorgestellt (vgl. RVG prof. 21, 192; RVG prof. 21, 208). An diese Rechtsprechungsübersichten knüpft die folgende Zusammenstellung mit aktuellen Entscheidungen aus den Jahren 2021 und 2022 an (wegen Einzelheiten zu § 14 RVG siehe Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Teil A Rn. 1747 ff.) |

Rechtsprechung 2021/2022: § 14 RVG in Strafverfahren (Teil 4 VV RVG)

Gericht/Fundstelle

Inhalt

Begriff der Unbilligkeit

LG Aachen 20.9.21, 60 Qs 46/21, AGS 21, 545;

LG Hamburg 6.4.22, 628 Qs 19/21, AGS 22, 403

Unbillig i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG ist eine Gebührenbestimmung, wenn sie um 20 Prozent oder mehr von der Gebühr abweicht, die sich unter Berücksichtigung aller in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG genannten Bemessungsgrundlagen ergibt.

Mittelgebühr, Allgemeines

LG Hamburg 6.4.22, 628 Qs 19/21, AGS 22, 403

Der Rechtsanwalt darf nicht ohne Abwägung der Bemessungskriterien stets die Mittelgebühr abrechnen. Die Mittelgebühr ist nur Ausgangspunkt der Ermessensausübung des Anwalts. Soweit eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG von dem Durchschnitt abweicht, ist dies Anlass für den Rechtsanwalt, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen.

LG Ravensburg 16.5.22, 1 Qs 19/22, AGS 22, 304

Sind keine Umstände erkennbar, die eine Erhöhung oder Ermäßigung rechtfertigen, steht dem Verteidiger grundsätzlich die Mittelgebühr des einschlägigen Gebührenrahmens zu. Eine Hauptverhandlungsdauer von mehr als zwei Stunden rechtfertigt beim AG nicht ohne Weiteres eine über der Mittelgebühr liegende Terminsgebühr.

Höchstgebühr

LG Aachen 20.9.21, 60 Qs 46/21, AGS 21, 545

Der Ansatz der Höchstgebühr ist nicht gerechtfertigt, wenn zwar das Berufungsverfahren mit rund 21 Monaten überdurchschnittlich lange dauerte und der zugrunde liegende Tatvorwurf bereits über drei Jahre zurücklag, hingegen keine besondere Schwierigkeit und Bedeutung der Angelegenheit anzunehmen ist. Dann ist das Verfahren als durchschnittlich einzustufen.

Umfang des Verfahrens

LG Hamburg 6.4.22, 628 Qs 19/21, AGS 22, 403

Ein Verfahren, das bis zur Hauptverhandlung einen Aktenumfang von 62 Blatt hat und in dem sich das Beweisprogramm im Wesentlichen in zwei Zeugen erschöpft, ist als unterdurchschnittlich zu bewerten. Das gilt jedenfalls, soweit kein anderes Bemessungskriterium nach oben hin von der Norm abweicht. Dies gilt auch, wenn es im Rahmen des gleichen Lebenssachverhalts eine Gegenanzeige des mutmaßlich Geschädigten – und damit ein „gegenläufiges Ermittlungsverfahren“ – gibt.

Bedeutung der Angelegenheit

LG Ravensburg 16.5.22, 1 Qs 19/22, AGS 22, 304

Hat der Ausgang des Strafverfahrens – von vornherein absehbar – erhebliche Bedeutung für die Erfolgsaussichten einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme des Angeklagten durch den Nebenkläger und ergibt sich eine besondere Erschwernis aus der Art und Weise, mit der sich der Angeklagte gegen den Tatvorwurf verteidigt dadurch, dass er schwerwiegende Vorwürfe gegen den Nebenkläger erhebt, ist die Bedeutung der Angelegenheit erheblich.

LG Cottbus 20.1.22, 24 Kls 34/20, AGS 22, 113

  • 1. Als durchschnittlich und damit grundsätzlich die Mittelgebühr rechtfertigend ist eine ca. fünfstündige Hauptverhandlung vor der Strafkammer anzusehen.
  • 2. Die Terminsgebühr erfasst neben der Teilnahme an gerichtlichen Terminen auch Tätigkeiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der konkreten Vorbereitung des Termins stehen, wie z. B. die nochmalige Aktendurchsicht.
  • 3. Die Dauer der Teilnahme eines Rechtsanwalts an der Hauptverhandlung bestimmt sich aus dem in der Sitzungsniederschrift vermerkten tatsächlichen Beginn der Sitzung. Gemäß § 243 Abs. 1 S. 1 StPO beginnt die Hauptverhandlung mit dem Aufruf der Sache. Verzögerungen können sich insoweit nicht auf die Terminsgebühr auswirken.

LG Aachen 20.9.21, 60 Qs 46/21, AGS 21, 545

Hat der Berufungshauptverhandlungstermin nur 16 Minuten gedauert, rechtfertigt das nur eine unterhalb der Mittelgebühr liegende Terminsgebühr, wenn nicht umfangreiche Terminsvorbereitungsarbeiten des Verteidigers dargetan sind.

Verfahren

LG Düsseldorf AGS 21, 576

Es besteht kein Anspruch auf Ladung der RAK-Gutachterin, weil das RAK-Gutachten kein Sachverständigengutachten ist.

Rechtsprechung 2021/2022: § 14 RVG in Bußgeldsachen (Teil 5 VV RVG)

Gericht/Fundstelle

Inhalt

Begriff der Unbilligkeit

AG Paderborn 7.12.21, 51a C 113/21, AGS 22, 255

Übt der Anwalt sein Ermessen pflichtgemäß aus, ist ihm ein Toleranzspielraum von bis zu 20 Prozent zuzubilligen. Liegt die von ihm bestimmte Gebühr noch innerhalb des Toleranzrahmens, ist sie noch nicht unbillig. In Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt grds. gerechtfertigt. Hiervon ausgehend sind in jedem Einzelfall die besonderen Umstände zu würdigen.

AG Bad Salzungen 30.9.21, 1 C 121/21, AGS 21, 544

Auch im Bußgeldverfahren ist die zivilrechtliche Toleranzrechtsprechung des BGH anzuwenden. Auch bei durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist grundsätzlich nur eine herabgesetzte Mittelgebühr anzusetzen.

Bedeutung der Angelegenheit und Schwierigkeit der Sache

AG Ratingen 25.11.22, 20 OWi 413/21, Abruf-Nr. 233478

Eine Angelegenheit hat wegen eines drohenden einmonatigen Fahrverbots bei einer beruflichen Abhängigkeit vom Führerschein und daraus resultierenden persönlichen und wirtschaftlichen Härten mit einer möglichen Existenzgefährdung für den Betroffenen eine überdurchschnittliche Bedeutung.

Hat der Verteidiger wegen Aktenunvollständigkeit einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG stellen müssen, u. a., weil die Behörde sich weigerte, die Messreihe zur Verfügung zu stellen, und war im Verwaltungsverfahren seine mehrmalige Tätigkeit gegenüber der Verwaltungsbehörde erforderlich, war das Verfahren überdurchschnittlich schwierig.

Mittelgebühr, Allgemeines

LG Heilbronn 21.3.22, 8 Qs 12/22, Rpfleger 22, 482

  • 1. In den „Normalfällen“, in denen sämtliche nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, wird von der Mittelgebühr ausgegangen.
  • 2. Jedoch kann jedes der Bemessungskriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG Anlass sein, vom Mittelwert nach oben oder unten abzuweichen. Dabei kann das geringere Gewicht eines Merkmals das überragende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren.

AG Offenbach 15.7.21, 275 OWi 248/21, AGS 21, 556 = JurBüro 22, 22

Bei einem Verkehrs-OWi-Verfahren, dem ein standardisiertes Messverfahren zugrunde liegt und das bereits bei der Behörde wegen Verjährung eingestellt wird, sind in der Regel Gebühren deutlich unterhalb der Mittelgebühr festzusetzen.

AUSGABE: RVGprof 3/2023, S. 49 · ID: 48988189

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