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StrafprozessAllgemeine Gebührenfragen der Strafvollstreckung
| Erbringt der Rechtsanwalt/Verteidiger für den Mandanten im Bereich der Strafvollstreckung Leistungen, ergeben sich im Rahmen der richtigen Abrechnung zahlreiche allgemeine Abrechnungsfragen. Die folgende Checkliste hat deshalb die praxisrelevanten Punkte für Sie zusammengefasst. In den nächsten Ausgaben folgen eine Checkliste mit der Abrechnung der Tätigkeiten des Vollverteidigers sowie eine Checkliste mit der Abrechnung von konkreten Einzeltätigkeiten in der Strafvollstreckung. |
Checkliste / Allgemeine Abrechnungsfragen bei anwaltlichen Tätigkeiten der Strafvollstreckung | ||
Frage | Antwort | |
1. | Wo regelt das RVG die Abrechnung der Tätigkeiten in der Strafvollstreckung? | Die für das Tätigwerden des Anwalts/Verteidigers in der Strafvollstreckung anfallenden Gebühren sind in Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG und in Nr. 4301 Nr. 6 VV RVG enthalten. |
2. | Wer kann die Gebühren verdienen? | Die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG stehen sowohl dem Wahlanwalt als auch dem Pflichtverteidiger zu (zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren vgl.Hillenbrand in: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., Rn. 3372 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung). |
3. | Für welche Rechtsanwälte/Verteidiger gilt Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG? | Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG gilt für den Rechtsanwalt, dem die Verteidigung in diesem Bereich insgesamt übertragen worden ist. Wird der Rechtsanwalt in der Strafvollstreckung nur mit einzelnen Tätigkeiten beauftragt, gilt Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG. |
4. | Wie werden der volle Verteidigungsauftrag und eine Einzeltätigkeit voneinander abgegrenzt? | Maßgeblich für die Abgrenzung ist beim Wahlanwalt der Umfang des erteilten Auftrags und beim Pflichtverteidiger der der gerichtlichen Bestellung. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass grds. von voller Vertretung bzw. Beiordnung auszugehen ist (so zutreffend KG NStZ-RR 05, 127 = AGS 05, 393; OLG Frankfurt NStZ-RR 05, 253 = AGS 06, 76; OLG Jena AGS 06, 287; OLG Schleswig AGS 05, 120 = JurBüro 05, 25; auch OLG Karlsruhe JurBüro 19, 299). |
5. | Gilt eine Pflichtverteidigerbestellung auch für das Strafvollstreckungsverfahren? | Die Pflichtverteidigerbestellung für das Hauptverfahren endet nach § 143 Abs. 1 StPO mit dem rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens. Deshalb muss der Pflichtverteidiger, der im Hauptverfahren beigeordnet war, für das Strafvollstreckungsverfahren seine Beiordnung ausdrücklich erneut beantragen. |
6. | Was ist unter dem Begriff der Strafvollstreckung zu verstehen? | Was unter „Strafvollstreckung“ zu verstehen ist, ergibt sich aus der StPO. Dort sind im 1. Abschnitt des 7. Buches die unter den Begriff der „Strafvollstreckung“ fallenden Tätigkeiten des Verteidigers zusammengefasst. Darunter fallen wohl auch Tätigkeiten nach §§ 459g ff. StPO. Merke | Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG können daher frühestens ab Rechtskraft des Urteils entstehen (OLG Hamm StRR 09, 39 = RVGreport 09, 149). |
7. | Welchen konkreten Anwendungsbereich hat Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG? | Zur Strafvollstreckung gehören alle Maßnahmen und Anordnungen, die auf die Vollstreckung der von einem Strafgericht erlassenen Entscheidungen gerichtet sind. Erfasst wird aber nicht nur die Strafvollstreckung im engeren Sinne, sondern auch weitere Maßnahmen und Anordnungen, die auf Verwirklichung, Abänderung, befristete oder endgültige Aufhebung der von einem Strafgericht erlassenen Entscheidung gerichtet sind (z. B. §§ 453a und 453b StPO). Auch die in §§ 453, 463 StPO geregelten Verfahren auf Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung, Widerruf der Aussetzung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung sind in den Anwendungsbereich nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG einbezogen (siehe dazu eingehend Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Vorbem. 4.2 VV Rn. 5 ff.). |
8. | Gilt Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG auch für die Vollstreckung von Entscheidungen gegen Jugendliche und Heranwachsende? | Ja (vgl. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG; Vorbem. 4.2 VV Rn. 11 ff.). |
9. | Gilt Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG im Verfahren nach § 27 JGG (Voraussetzungen einer Jugendstrafe)? | Nein. Bei diesem Verfahren handelt es sich nicht um Strafvollstreckung i. S. v. Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG, da noch kein zu vollstreckendes strafrechtliches Erkenntnis vorliegt (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn. 154; OLG Karlsruhe StV 98, 348 für § 57 JGG; LG Mannheim RVG prof. 08, 26). Vielmehr wird das ursprüngliche Erkenntnisverfahren mit der Folge fortgesetzt, dass der Rechtsanwalt für die Teilnahme an dem weiteren Termin eine weitere Terminsgebühr für die Hauptverhandlung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG erhält. |
10. | Gilt Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG, wenn eine gerichtliche Entscheidung im Bußgeldverfahren vollstreckt wird? | Nein. In diesem Fall gilt Teil 5 VV RVG, und zwar Nr. 5200 VV RVG. |
11. | Gilt Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG, wenn Ordnungshaft oder Zwangsmittel vollstreckt werden? | Nein. Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG gilt nur, wenn der Rechtsanwalt/Verteidiger im Rahmen der Vollstreckung von Kriminalstrafen und strafrechtlichen Maßnahmen tätig wird. |
12. | Gilt Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG, wenn eine Disziplinarmaßnahme nach den Disziplinargesetzen (Teil 6 Abschnitt 2 VV RVG) vollstreckt wird? | Nein. Es wird keine Strafe i. e. S. vollstreckt. |
13. | Gilt Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG, wenn der Rechtsanwalt/Verteidiger im Strafvollzug für den Mandanten tätig wird? | Nein. Strafvollzug ist nicht Strafvollstreckung i. S. d. RVG (Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Vorbem. 4.2 VV Rn.15). Tätigkeiten des Rechtsanwalts in Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz werden von Teil 3 VV RVG erfasst (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff/Volpert, RVG, Teil A Rn. 2328 ff.). |
14. | Gilt Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG, wenn es um die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG geht? | Nein. In den Verfahren richtet sich die Vergütung nach Nr. 3100 VV RVG und nicht nach Nr. 4204 VV RVG (OLG Jena RVGreport 17, 23 = StRR 4/2017, 27; OLG Zweibrücken StraFo 10, 515 = RVG prof. 11, 88 = AGS 2011, 433; LG Wiesbaden 11.9.14, 2 Qs 69/14). |
15. | Entsteht im Strafvollstreckungsverfahren die Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG? | Ja. Das Strafvollstreckungsverfahren ist eine eigenständige Angelegenheit, sodass nach Anm. 1 zu Nr. 7002 VV RVG die Auslagenpauschale anfällt. |
16. | In welchem Verhältnis zueinander stehen mehrere Vollstreckungsverfahren? | Jedes Vollstreckungsverfahren stellt eine gesonderte Angelegenheit i. S. v. § 15 RVG dar. Folglich können in jedem der Verfahren die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG entstehen. Es fallen also z. B. in mehreren zeitlich aufeinander folgenden Widerrufsverfahren die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG immer wieder neu an (so die wohl h. M., vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 05, 253 = AGS 06, 76; KG AGS 05, 393; OLG Schleswig AGS 11, 174; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn. 161 ff. m. w. N. auch zur a. A). Beachten Sie | Entsprechendes gilt für die Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB (KG AGS 05, 393; OLG Rostock RVGreport 18, 334; OLG Schleswig AGS 05, 120 = JurBüro 05, 25). |
17. | Kann der Pflichtverteidiger eine Pauschgebühr nach § 51 RVG beantragen? | Ja. Das ist in besonders schwierigen oder besonders umfangreichen Verfahren möglich, wenn die gesetzlichen Gebühren im Hinblick auf den Umfang der erbrachten Tätigkeiten unzumutbar sind. Es gelten die allgemeinen Regeln (vgl. z. B. OLG Hamm AGS 08, 176; 18.7.08, 5 [s] Sbd. X 47/08). |
18. | Kann ggf. auch der Wahlanwalt eine Pauschgebühr beantragen? | Ja. Für den in der Strafvollstreckung tätigen Wahlanwalt besteht die Möglichkeit, eine Pauschgebühr nach § 42 RVG feststellen zu lassen. Es gelten die allgemeinen Regeln (vgl. dazu die Kommentierung zu § 42 RVG bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG). |
19. | In welcher Höhe entstehen die Gebühren? | Für den Wahlanwalt sind Betragsrahmen- und für den Pflichtverteidiger Festbetragsgebühren vorgesehen. |
20. | Welche Bemessungskriterien sind zu beachten? | Es sind die allgemeinen Kriterien gemäß § 14 Abs. 1 RVG zugrunde zu legen (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn. 1747 ff.). Bei der Bemessung kann die Bedeutung des Verfahrens, in dem der Rechtsanwalt tätig geworden ist, nicht mehr von Belang sein. Denn diese ist schon bei der Frage, welche Gebührentatbestände überhaupt zugrunde zu legen sind, berücksichtigt worden (OLG Celle JurBüro 16, 373). |
21. | Entstehen die Gebühren ggf. mit Zuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG, wenn sich der Mandant „nicht auf freiem Fuß“ befindet? | Ja, insoweit gelten die allgemeinen Regeln (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 105 ff.; Burhoff, RVG prof. 10, 77 ff.; OLG Karlsruhe 25.10.22, 2 Ws 273/22, wonach kein Haftzuschlag anfällt, wenn der in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachte inzwischen im Rahmen einer extramuralen Belastungserprobung in einer externen betreuten Wohneinrichtung wohnt). |
AUSGABE: RVGprof 3/2023, S. 51 · ID: 48741572