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DigitalisierungHonorarrechnungen sind per E-Mail möglich
| Rechnungen werden inzwischen regelmäßig in digitaler Form erstellt und versandt. Eine Ausnahme stellt oft die anwaltliche Rechnung an den Mandanten dar – ein Anachronismus, der wesentlich durch das Schriftformerfordernis des § 10 Abs. 1 RVG bedingt ist. |
1. § 10 Abs. 1 RVG erfordert immer noch die Unterschrift
§ 10 Abs. 1 RVG bestimmt ausdrücklich, dass der Rechtsanwalt seine Vergütung nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Rechnung einfordern kann. Dies bedeutet, dass er die Rechnung eigenhändig unterschreiben muss. Statt der Unterschrift auf der Rechnung kann der Rechtsanwalt auch auf einem Begleitschreiben unterschreiben, wenn dieses auf die Rechnung Bezug nimmt. Die Schriftform ist also nicht eingehalten, wenn die Berechnung per Telefax, als Dateianhang einer E-Mail oder mit eingescannter Unterschrift übersendet wird.
Beachten Sie | Die eigenhändige Unterschrift kann gemäß § 126a BGB durch eine qualifizierte elektronische Signatur (qeS) ersetzt werden. Dies ist aber keine befriedigende Lösung, da der Aufwand für die Erstellung einer qeS im Verhältnis zum Nutzen relativ hoch ist. Insofern hat sich diese Möglichkeit in der Praxis nicht durchgesetzt.
2. Kann § 10 Abs. 1 RVG abbedungen werden?
Die Frage, ob das Schriftform- und Unterschriftserfordernis des § 10 Abs. 1 RVG abdingbar ist, ist umstritten:
- In den Kommentierungen zum RVG wird die Abdingbarkeit überwiegend für zulässig erachtet, wenngleich nicht immer mit voller Überzeugung. So schreibt Burhoff (in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., § 10, Rn. 7): Wenn der Anwalt mit seinem Mandanten eine elektronische Übersendung ohne die Voraussetzungen des § 126a BGB vereinbart, sollte er darüber hinaus regeln, dass die Vergütung einforderbar ist, auch wenn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 RVG nicht erfüllt sind. Diese zusätzliche Absicherung scheint aber unnötig: Wenn der Mandant auf das Schriftform- und Unterschriftserfordernis des § 10 Abs. 1 RVG verzichtet, kann er sich später nicht darauf berufen, dass die Vergütung deshalb nicht einforderbar sei.Die überwiegende Literatur bejaht eine Abdingbarkeit
- Enders (in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, § 10, Rn. 29) führt im Fall des ausdrücklichen Mandantwunschs nach einer elektronischen Übersendung der Berechnung aus: Hier sollte der Rechtsanwalt dem Mandanten die Berechnung als elektronisches Dokument mit einer qeS nach dem Signaturgesetz übermitteln. Ist dies nicht möglich, sollte der Rechtsanwalt festhalten, dass der Mandant auf die Erfordernisse des § 10 Abs. 1 RVG verzichtet. Hier ist allerdings nicht klar, weshalb der Verzicht auf § 10 Abs. 1 RVG nur möglich sein soll, wenn dem Rechtsanwalt die Übersendung mit einer qeS nach dem Signaturgesetz „nicht möglich“ (wirtschaftlich? tatsächlich?) sein soll. Entweder kann § 10 Abs. 1 RVG abbedungen werden, wofür vieles spricht, oder nicht. Eine „technische Unmöglichkeit“ kann hierfür keine Bedingung sein.
- Auch Ahlmann (in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., § 10, Rn. 13a) hält eine Abdingbarkeit für möglich und den Verzicht auf die Schriftform für zulässig. Dies würde dem Rechtsanwalt eine elektronische Übermittlung der Rechnung ohne qeS ermöglichen.
- Einzig Schneider (in: Schneider/Volpert, AnwaltKomm RVG, 9. Aufl. 2021, § 10 Rn. 53.) fordert als zwingende und unverzichtbare Voraussetzung die Unterschrift des Anwalts. Bestätigt wird er durch das AG Berlin-Lichtenberg (1.3.13, 114 C 138/11), das apodiktisch behauptet, dass das Erfordernis der Unterzeichnung der Berechnung von dem beauftragten Anwalt nicht abdingbar sei – schon gar nicht in AGB. Nähere Begründungen liefern aber weder Schneider noch das AG Berlin-Lichtenberg. Weitere Entscheidungen zur konkreten Frage bestehen – soweit ersichtlich – nicht.Nur nach Schneider und AG Berlin-Lichtenberg ist eine Abdingung unzulässig
3. Stellungnahme
§ 10 Abs. 1 RVG hat keinen Schutzzweck, der eine Abdingbarkeit ausschließt. Die Vorschrift bezweckt, dass der Rechtsanwalt bei der Rechnungsstellung mit seiner Unterschrift die straf-, zivil- und berufsrechtliche Verantwortung für die Richtigkeit der Rechnung übernimmt. Diese Folgen treffen ihn wegen § 43 BRAO aber auch ohne eigenhändige Unterschrift. Ein Mandant ist nicht weniger geschützt, wenn die Rechnung des Rechtsanwalts nicht unterschrieben ist. Dies zeigt insbesondere ein wertungsmäßiger Vergleich mit § 3a RVG, § 10 Abs. 2 RVG und § 9 Abs. 1 StBVV, die im Kontext zu § 10 Abs. 1 RVG stehen.
a) Vergütungsvereinbarungen nach § 3a RVG
Vergütungsvereinbarungen nach § 3a RVG können in Textform erstellt werden. Durch die Textform soll der Mandant davor geschützt werden, unüberlegt, leichtfertig oder unbewusst eine Zahlungspflicht einzugehen. Die Textform ist in § 126b BGB legaldefiniert als lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist und die auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird. Konkret gemeint sind damit u. a. Übermittlungen per E-Mail, die nicht eigenhändig unterschrieben sein müssen.
Die Vereinbarung einer Pauschalvergütung nach § 3a RVG ist also in Textform ohne Unterschrift möglich. Wird dann der vereinbarte Betrag, der über die Pauschalvereinbarung feststeht, in einer Rechnung fakturiert, wäre eine Unterschrift erforderlich. Das ist nicht schlüssig und spricht stark für eine Möglichkeit zur Abdingbarkeit von § 10 Abs. 1 RVG. Schließlich hat der BGH dies bei sog. Anwalts-Hotlines bereits 2002 als zulässig angesehen, bei denen die Abrechnung über eine kostenpflichtige Servicenummer und ganz ohne (unterschriebene) Rechnung erfolgt (NJW 03, 819).
b) Verzicht auf Angaben nach § 10 Abs. 2 RVG
Allgemein anerkannt ist, dass Mandanten auf einzelne oder auf alle (Pflicht-)Angaben des § 10 Abs. 2 RVG verzichten können (Schneider in: Schneider/Volpert, AnwaltKomm RVG, 9. Aufl., § 10 Rn. 83; Burhoff in: Gerold/Schmidt, 25. Aufl., § 10 RVG Rn. 23 m. w. N.). Dass das RVG nur mit Blick auf § 10 Abs. 2, nicht aber auf Abs. 1 zur Disposition der Parteien stehen soll, ist nicht ersichtlich.
c) Steuerrechtliche Praxis
Zwingend ist das Konzept der obligatorisch zu unterschreibenden Rechnungen auch bei anderen freien Berufen nicht (mehr). Eine erleichterte Regelung gilt z. B. für Steuerberater in § 9 StBVV seit dem 1.7.20 (Fünfte Verordnung zur Änderung steuerlicher Verordnungen vom 25.6.20, BGBl. I 2020, S. 1495). Hier kann die Berechnung vorbehaltlich der Zustimmung des Auftraggebers in Textform erstellt werden. Steuerberater können seither also Rechnungen auch elektronisch, insbesondere per E-Mail, an den Auftraggeber versenden. Die Zustimmung des Mandanten kann formfrei, also auch konkludent, erfolgen und nachträglich erteilt werden (Beyme, Stbg 20, 325).
Aus einem Vergleich mit dem UStG ergibt sich, dass eine konkludente Zustimmung zu einer elektronisch übermittelten Rechnung bereits in der Zahlung derselben gesehen werden kann. So sehen die Hinweise der Finanzverwaltung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) vor, dass lediglich Einvernehmen zwischen Rechnungsaussteller und Rechnungsempfänger darüber bestehen muss, dass die Rechnung elektronisch übermittelt werden soll. Die Zustimmung kann z. B. in Form einer Rahmenvereinbarung oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen erklärt werden. Es genügt auch, dass die Beteiligten diese Verfahrensweise tatsächlich praktizieren und damit stillschweigend billigen (A 14.4 Abs. 1 UStAE.). Eine stillschweigende Billigung kann z. B. in der Zahlung des Rechnungsbetrags bestehen (Leipold in: Sölch/Ringleb, UStG, § 14, Rn. 64, Stand 93. EL Okt. 2021).
Letztlich ist Folgendes nicht zu erklären: Rechtsanwälte, die steuerberatend tätig sind, müssen einerseits über den Verweis des § 35 RVG ihre Leistungen bei der Erfüllung allgemeiner Steuerpflichten und steuerlicher Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten nach der StBVV abrechnen. Da aber andererseits der Verweis des § 35 RVG nicht auch § 9 StBVV nennt, bleiben sie für Zwecke der Rechnungsstellung an das RVG gebunden und müssen die Rechnung – im Unterschied zum Steuerberater – in Schriftform ausfertigen. Allein um hier eine Gleichbehandlung zu erreichen, ist es zwingend erforderlich, § 10 Abs. 1 RVG als abdingbar anzuerkennen.
Fazit | Das Schriftform- und Unterschriftserfordernis des § 10 Abs. 1 RVG kann durch eine Vereinbarung mit Mandanten abbedungen werden. Um dies auch gesetzgeberisch klarzustellen, sollte § 10 Abs. 1 RVG bei nächster Gelegenheit an § 9 Abs. 1 StBVV angepasst werden. |
AUSGABE: RVGprof 12/2022, S. 214 · ID: 48567724