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VerfahrensgebührGebühren bei der Zwangsversteigerung gegen Gesamtschuldner-Bruchteilseigentümer
| In der Versteigerungspraxis kommt es regelmäßig vor, dass der Gläubigeranwalt bei einem gemeinschaftlichen Anspruch gegen mehrere Schuldner die Zwangsversteigerung der gesamten gemeinsamen Immobilie beantragt. Wie bereits das LG Tübingen (VE 20, 79) hat nun auch der BGH entschieden, dass in einem solchen Fall nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit vorliegt. Der Rechtsanwalt als Gläubigervertreter kann also nur eine 0,4-Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 VV RVG aus dem einfachen Wert des zu vollstreckenden Gesamtbetrags (§ 26 Nr. 1 RVG) beanspruchen. |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Abruf-Nr. 232056
Im entschiedenen Fall hatte die Gläubigerin G die Zwangsversteigerung in die hälftigen Miteigentumsanteile der als Gesamtschuldner haftenden Schuldner S1 und S2 an einer Eigentumswohnung eingeleitet. Das Vollstreckungsgericht erließ zwei Beitrittsbeschlüsse und verband später die Verfahren zu einem Verfahren. Hinsichtlich der Kosten hatte G bezogen auf jeden der beiden Schuldner eine 0,4-Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 Nr. 1 VV RVG nebst Auslagen und Umsatzsteuer, insgesamt 311,30 EUR je Schuldner, geltend gemacht. Das Vollstreckungsgericht hatte die Kosten insgesamt nur einmal angesetzt. Die hiergegen erhobene Beschwerde ist vom LG zurückgewiesen worden. Die Kammer hat seine Entscheidung damit begründet, dass es sich um ein einheitliches Zwangsversteigerungsverfahren handele und Nr. 3311 Nr. 1 VV RVG auf die Anzahl der Verfahren abstelle. Gebühren für weitere Gegner innerhalb eines Verfahrens kenne das RVG nicht. Die hiergegen zugelassene Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg (BGH 22.9.22, V ZB 2/20, Abruf-Nr. 232056).
Relevanz für die Praxis
Aus der Entscheidung ergeben sich folgende sieben Grundsätze:
Mehrere Versteigerungsverfahren lassen Gebühren mehrfach entstehen
Bei der Zwangsversteigerung mehrerer Miteigentumsanteile an einem Grundstück handelt es sich um mehrere voneinander getrennt zu betrachtende Verfahren. Dadurch entstehen die Gebühren für einen Anwalt als Gläubigervertreter folglich auch mehrfach. Da einmal entstandene Gebühren nicht mehr wegfallen können (vgl. § 15 Abs. 4 RVG), hindert eine – nachträgliche – Verfahrensverbindung nach § 18 Alt. 3 ZVG grundsätzlich nichts an diesem Grundsatz. Dies bedeutet, dass die (nachträgliche) Verbindung mehrerer Zwangsversteigerungsverfahren auch nicht dazu führt, dass von Anfang an verfahrens- und gebührenrechtlich nur ein Verfahren vorliegt.
Versteigerung gegen Gesamtschuldner ist aber nur eine Angelegenheit
Den Grundsatz, dass einmal angefallene Gebühren nicht mehr wegfallen, durchbricht der BGH, indem er eine gebührenrechtliche Angelegenheit i. S. v. § 15 Abs. 2 RVG annimmt, wenn ein Anwalt den Gläubiger in einem Zwangsversteigerungsverfahren über mehrere Bruchteile eines Grundstücks wegen einer Forderung vertritt, für die die Miteigentümer als Gesamtschuldner haften.
Merke | In der Praxis sind dies die Fälle, in denen z. B. bei Eheleuten wegen eines gemeinsam aufgenommenen Darlehns zugunsten des finanzierenden Kreditinstituts eine Gesamtgrundschuld auf jedem Miteigentumsanteil eingetragen wird. |
Weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen betreffen regelmäßig dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann. Dazu genügt, wenn der Anwalt zur Wahrnehmung der Rechte des Mandanten verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen prüfen oder mehrere getrennte Prüfungsaufgaben erfüllen muss. Denn unter einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Ihr Inhalt bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen der Rechtsanwalt tätig wird.
Beachten Sie | In diesem Zusammenhang hat der BGH klargestellt, dass eine Wertaddition der verschiedenen Miteigentumsanteile nach § 22 Abs. 1 RVG ausscheidet (VE 11, 113). Aufgrund der Gesamtschuldnerhaftung sind die Gegenstände wirtschaftlich identisch.
Es sind die unterschiedlichen Vollstreckungsverfahren zu beachten
Zur Begründung seiner Entscheidung weist der BGH auf die Unterschiede in der Mobiliar- und der Immobiliarvollstreckung (Zwangsversteigerung) hin.
- Für die Mobiliarvollstreckung gilt § 18 Abs. 1 RVG: Bei der Mobiliarvollstreckung liegen gemäß § 18 Abs. 1 RVG mehrere besondere gebührenrechtliche Angelegenheiten vor, wenn ein Rechtsanwalt trotz eines einheitlichen Auftrags gegen mehrere Gesamtschuldner vollstreckt. So stellt z. B. jeder gegen einen von mehreren Schuldnern gerichtete Antrag nach § 887 Abs. 1, 2 ZPO eine Vollstreckungsmaßnahme dar, die jeweils eine 0,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG anfallen lässt (BGH MDR 07, 367). Dasselbe gilt, wenn ein Gläubigeranwalt gegen mehrere Schuldner – auch Gesamtschuldner – in einem Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vollstreckt.Hier sieht das Gesetz mehrere gebührenrechtliche Angelegenheiten vor
- Für die Zwangsversteigerung gelten Nrn. 3311, 3312 VV RVG: Im Zwangsversteigerungsverfahren wird die Entstehung der Gebühren hingegen nicht in § 18 Abs. 1 RVG, sondern in den Sonderregelungen der Nrn. 3311 und 3312 VV RVG geregelt. Hieraus zieht der BGH einen – nicht nachvollziehbaren – Schluss: Es ist eigenständig nach den allgemeinen zu § 15 Abs. 2 RVG entwickelten Kriterien zu bestimmen, ob es sich bei einem gegen mehrere Schuldner gerichteten Antrag um mehrere oder nur um eine gebührenrechtliche Angelegenheit handelt.Wegen Sonderregeln zieht BGH hier anderen Schluss
Dies führt in Fällen wie dem entschiedenen zu Folgendem: Bei einer gesamtschuldnerischen Haftung ist regelmäßig davon auszugehen, dass bei einer Versteigerung von mehreren Miteigentumsanteilen an einem Grundstück eine Verfahrensverbindung nach § 18 ZVG absehbar und naheliegend ist. Dies verlangt zum einen das Gebot der Kostenreduzierung, zum anderen die Möglichkeit der effektiveren Gestaltung der Versteigerung von Miteigentumsanteilen. So ist von einer gebührenrechtlichen Angelegenheit auszugehen.
Haftungsfalle vermeiden
Vor diesem Hintergrund ist es einem Rechtsanwalt nicht erlaubt, einseitig und ohne hinreichenden Sachgrund anstehende Verfahren eines Auftraggebers zu vereinzeln, statt sie nach ihrer objektiven Zusammengehörigkeit als eine Angelegenheit zu behandeln (BGH AGS 04, 145). Ist somit sowohl eine getrennte als auch eine gehäufte Verfahrensführung ernsthaft in Betracht zu ziehen, muss der Rechtsanwalt auf jeden Fall das Für und Wider des Vorgehens unter Einbeziehung der Kostenfolge dem Auftraggeber darlegen. Andernfalls begründet er eine Pflichtverletzung aus dem Mandatsverhältnis.
Nachträgliche Verfahrenstrennung führt zu mehrfachen Gebühren
Das Vollstreckungsgericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, ob es von Anfang an oder später mehrere Verfahren nach § 18 ZVG miteinander verbindet oder nachträglich wieder trennt. Wenn daher das Gericht von einer Verbindung absieht oder diese wieder aufhebt, besteht keine Veranlassung (mehr), dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit anzunehmen. In diesem Fall entstehen die Gebühren für den Gläubigeranwalt mehrfach.
Führen unterschiedliche Ansprüche zu mehrfachen Gebühren?
Vertritt der Rechtsanwalt einen Gläubiger aus unterschiedlichen Ansprüchen gegen mehrere Schuldner, scheidet nach § 18 ZVG eine Verfahrensverbindung aus. Die unterschiedlichen Ansprüche werden in jeweils gesondert anzuordnenden und getrennt zu führenden Verfahren vollstreckt. Insofern entstehen dem Rechtsanwalt die Gebühren nach Nrn. 3311, 3312 VV RVG auch mehrfach.
Vertretung mehrerer Gesamtschuldner betrifft dieselbe Angelegenheit
Fraglich ist, ob die Entscheidung auch für den umgekehrten Fall gilt, wenn der Rechtsanwalt mehrere Gesamtschuldner in einem Versteigerungsverfahren über mehrere Grundstücksbruchteile vertritt. Hier gilt der Grundsatz, dass der (Schuldner-)Anwalt für mehrere Auftraggeber tätig wird und er daher die jeweiligen Gebühren nur einmal erhält, weil es sich auch für ihn um dieselbe Angelegenheit handelt (Schneider/Volpert/Mock, AnwK-RVG, 9. Aufl., Vor VV 3311, 3312 Rn. 7 m. w. N.). Dies gilt unabhängig davon, ob die mehreren Auftraggeber in einer Rechtsgemeinschaft stehen (z. B. Erbengemeinschaft), ob für die mehreren Auftraggeber nur eine Person mit Vollmacht der anderen auftritt (BT-Drucksache 15/1971, S. 205 zu VV 1008) oder ob die Aufträge zusammen oder sukzessive erteilt werden.
Da die mehreren Auftraggeber in demselben Verfahren an dem geltend gemachten Recht als Gesamtschuldner gemeinschaftlich beteiligt sind, liegt derselbe Gegenstand vor. Die 0,4-Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 Nr. 1 VV RVG wird nach Anm. 2 zu Nr. 1008 VV RVG um 0,3 auf 0,7 erhöht (vgl. Schneider/Volpert/Mock, a. a. O., Rn. 9 m. w. N.).
AUSGABE: RVGprof 12/2022, S. 208 · ID: 48712357