Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Feb. 2022 abgeschlossen.
KostenfestsetzungVolle Erstattung der Vergleichskosten trotz vorherigen Versäumnisurteils?
| Grundlage einer Kostenfestsetzung bildet die Kostengrundentscheidung (§ 103 Abs. 1 ZPO). Interessante Fallkonstellationen ergeben sich insofern bei außergerichtlichen Vergleichen und Versäumnisurteilen (VU). |
Inhaltsverzeichnis
1. Es muss eine Grundlage für die Kostenfestsetzung geben
Nach allgemeiner Meinung stellt ein außergerichtlicher Vergleich im Gegensatz zu einem Prozessvergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) keinen zur Festsetzung geeigneten Titel i. S. d. § 103 Abs. 1 ZPO dar (vgl. z. B. Kern/Diehm/Goldbeck, ZPO, 2. Aufl., § 103 Rn. 6 m. w. N.; Kostenfestsetzung/Dorndörfer, 24. Aufl., Kap. 2 Rn. 20).
Beispiel |
Nach Klageeinreichung einigen sich die Parteien unter Mitwirkung des Rechtsanwalts des Klägers außergerichtlich. In Unkenntnis beider Parteien ist allerdings im schriftlichen Vorverfahren ca. eine Woche zuvor ein Versäumnisurteil (VU) gegen den Beklagten nach § 331 Abs. 3 S. 1 ZPO ergangen. Das VU wird beiden Parteien aber erst eine Woche nach dem Vergleichsabschluss zugestellt. In dem außergerichtlichen Vergleich haben die Parteien vereinbart, dass der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs trägt. Kann der Kläger trotz des VU eine 1,2-Termins- und 1,0-Einigungsgebühr seines Rechtsanwalts zur Kostenfestsetzung anmelden? Lösung Versäumnisurteile sind geeignete Titel Der außergerichtliche Vergleich der beiden Parteien ist zwar keine wirksame Grundlage für die Kostenfestsetzung. Eine Kostenentscheidung zulasten des Beklagten ist hier aber mit dem Versäumnisurteil getroffen worden, das die Kostengrundentscheidung bildet. |
2. Das Versäumnisurteil als Grundlage muss wirksam sein
Das in einem schriftlichen Vorverfahren (§ 331 Abs. 3 S. 1 ZPO) ergangene, nicht verkündete VU wird nicht bereits mit Unterschrift des Richters, sondern erst mit seiner Zustellung an beide Parteien existent und damit wirksam (BGH NJW 12, 1591; Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl., § 310 Rn. 6). Die Folge ist: Vor der Zustellung des VU an beide Parteien liegt (noch) keine gerichtliche Entscheidung vor (BGH, a. a. O.; BGH NJW 14, 1304; Feskorn, a. a. O., Rn. 7).
Im Beispiel: Zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses war mangels Zustellung noch kein VU existent.
3. Problem: Kostenregelung vs. Kostenentscheidung
Den Parteien steht es grundsätzlich frei, sich auch vor Erlass einer gerichtlichen Kostenentscheidung über die Kosten des Rechtsstreits zu vergleichen. Allerdings bindet eine solche Regelung das Gericht nicht (arg. § 308 Abs. 2 ZPO), sondern hat allenfalls materiell-rechtliche Folgen für einen Erstattungsanspruch (Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., § 104 Rn. 21.71; Kostenfestsetzung/Dörndorfer, 24. Aufl., Kap. 2 Rn. 337). Sofern der materiell-rechtliche Erstattungsanspruch über den prozessualen Kostenerstattungsanspruch hinausgeht, könnte der Erstattungsberechtigte diesen Anspruch zwar nicht im Kostenfestsetzungsverfahren, aber ggf. in einem neuen Klageverfahren isoliert verfolgen.
Beachten Sie | Sofern die Kostenregelung nicht differenziert, sind bei der Erklärung einer vergleichsweisen Übernahme der „Kosten des Rechtsstreits“ im Zweifel die Kosten des Vergleichs mitumfasst (BGH RVG prof. 09, 19; OLG Rostock JurBüro 05, 655).
Im Beispiel: Im vorliegenden Fall decken sich die gerichtliche Kostenentscheidung und die vergleichsweise Regelung: In beiden Fällen hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreites zu tragen bzw. übernommen. Dabei hat er im außergerichtlichen Vergleich ausdrücklich auch die Übernahme der Kosten des Vergleichs erklärt.
4. Dem Anwalt steht eine Terminsgebühr zu
Nach Anm. Abs. 1 Nr. 2 zu Nr. 3105 VV RVG entsteht für den Rechtsanwalt auch bei Erlass eines VU im schriftlichen Vorverfahren eine 0,5-Terminsgebühr. Eine um 0,7 erhöhte 1,2-Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG fällt für den Rechtsanwalt dagegen nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 3104 VV RVG an, wenn in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein Vertrag i. S. d. Nr. 1000 VV RVG geschlossen wird.
Im Beispiel: Im vorliegenden Zivilrechtsstreit handelte es sich um ein Verfahren, für das die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (§ 128 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsanwalt des Klägers hat mit dem Beklagten in diesem Rechtsstreit durch Abschluss des Vergleichs einen Vertrag i. S. d. Nr. 1000 VV RVG geschlossen. Für den Anwalt ist eine 1,2-Terminsgebühr entstanden, die er anstelle (und nicht neben) einer aufgrund des erst später wirksamen VU entstandenen 0,5-Terminsgebühr fordern kann (vgl. § 15 Abs. 2 RVG).
5. Es fällt auch eine Einigungsgebühr an
Nach Anm. Nr. 1 zu Nr. 1000 VV RVG erhält der Rechtsanwalt eine 1,5-Einigungsgebühr, wenn er beim Abschluss eines Vertrags mitwirkt, durch den der Streit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Ist über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges Beweisverfahren anhängig, ist der Gebührensatz der Nr. 1000 Nr. 1 VV RVG gem. Nr. 1003 VV RVG auf 1,0 beschränkt.
Im Beispiel: Der Rechtsanwalt des Klägers hat im vorliegenden Rechtsstreit einen Vergleich mit dem Beklagten geschlossen und damit an einem Vertrag i. S. d. Nr. 1000 Nr. 1 VV RVG mitgewirkt. Da das VU zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs mangels Zustellung an beide Parteien noch nicht wirksam und der Rechtsstreit damit noch nicht beendet war, konnten die Parteien damit den „Streit über ein Rechtsverhältnis“ noch „beseitigen“. Für den Rechtsanwalt ist jedoch lediglich eine 1,0-Einigungsgebühr entstanden, weil zum Zeitpunkt des Abschlusses über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges Beweisverfahren anhängig war.
6. Das sind die Voraussetzungen für die Erstattbarkeit
Nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sind die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Die Kosten eines außergerichtlichen Vergleichs sind nur zu erstatten, wenn eine entsprechende Regelung im Vergleich enthalten ist. Anderenfalls gelten die Kosten als gegeneinander aufgehoben (§ 98 ZPO; vgl. BGH 15.3.11, VI ZB 45/09, Abruf-Nr. 111321).
Lösung |
Die Parteien haben im Beispiel im Vergleich die ausdrückliche Kostenregelung getroffen, dass der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits und auch des Vergleichs trägt. Der Kläger hat somit einen Anspruch gegenüber dem Beklagten auf volle Erstattung und Festsetzung der bei seinem Rechtsanwalt entstandenen Vergütung. Diese setzt sich aus der 1,3-Verfahrens-, der 1,2-Termins-, der 1,0-Einigungsgebühr sowie der Auslagen nach Nrn. 7000 ff. VV zusammen. |
Beachten Sie | Die aufgrund des außergerichtlichen Vergleichs geltend zu machenden Kosten und die Kostenübernahme des Beklagten müssen dem Gericht gegenüber zum Zwecke der Kostenfestsetzung glaubhaft gemacht werden (§ 104 Abs. 2 S. 1 ZPO). Daher muss der außergerichtliche Vergleich, der auch die Kostenregelung zulasten des Beklagten enthält, beim Gericht eingereicht werden. Eine Kopie ist ausreichend.
AUSGABE: RVGprof 2/2022, S. 34 · ID: 47892280