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SteuerhinterziehungSteuerhinterziehung durch einen Arzt, der sich der Vollstreckung zu entziehen versucht
| Ob die Tätigkeit eines Arztes „in freier Praxis“ erfolgt, ist normativ in Abgrenzung zur ärztlichen Tätigkeit im Angestelltenverhältnis zu bestimmen. Das hat der BGH entschieden. |
Sachverhalt
Der Angeklagte (A) betrieb als niedergelassener Vertragsarzt eine Praxis für Laboratoriumsmedizin. Um seine Einnahmen der Besteuerung und Zwangsvollstreckung durch das FA zu entziehen, gründete er einen Verein und schloss mit diesem einen „Geschäfts-Kooperationsvertrag“. Darin vereinbarte A die schenkweise Übertragung sämtlicher Geräte und Einrichtungen des medizinischen Labors. Die Präsidentin des Vereins war im Labor des A beschäftigt; er selbst war Mitglied des Vereins. Der Verein sollte für alle in der Praxis des A anfallenden Einnahmen und Ausgaben verantwortlich sein und in alle bestehenden Rechte und Pflichten außerhalb der ärztlichen Tätigkeit eintreten. Der A selbst sollte für seine ärztlichen Leistungen eine Aufwandsentschädigung i. H. v. 900 EUR pro Monat erhalten. Zudem trat A alle Honoraransprüche für Praxisleistungen an gesetzlich Versicherte gegen die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KV) schenkweise ab.
Hintergrund dafür, den Verein zu gründen, waren Steuerschulden des A, die immer wieder zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen führten. A beabsichtigte jedoch nicht, die Entscheidungsgewalt und wirtschaftliche Macht auf den Verein zu übertragen. Sein Ziel bestand allein darin, die Leitung der Praxis „auf dem Papier“ an den Verein abzugeben, um die dort vereinnahmten Gelder der Besteuerung und dem Vollstreckungszugriff des FA zu entziehen.
Das LG hat A wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und ihn im Übrigen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil es sich nicht von Täuschungshandlungen gegenüber der zuständigen KV hat überzeugen können. Namentlich sei A bei Erbringung der abgerechneten Leistungen nach sozialrechtlichen Gesichtspunkten als Vertragsarzt „in freier Praxis“ tätig gewesen; die von ihm geschaffene „Papierlage“ habe daran als bloße Scheingestaltung nichts geändert. Es fehle daher auch jeweils an einem entsprechenden Irrtum des Sachbearbeiters bei der KV.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Vorwurf des Betrugs zum Nachteil der KV (§ 263 StGB) blieb erfolglos. Die von der Staatsanwaltschaft beanstandete Beweiswürdigung des LG Stuttgart hält nach Ansicht des BGH (2.10.24, 1 StR 156/24, Abruf-Nr. 244639) rechtlicher Überprüfung stand. Ob sich der A gegen seine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung gewehrt hat, wird nicht erkennbar.
Merke | Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Deshalb ist es vom Revisionsgericht i. d. R. hinzunehmen, wenn der Angeklagte freigesprochen wird, weil der Tatrichter Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind. Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung bei einem Freispruch aber auch, wenn der Tatrichter an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt und nicht beachtet hat, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist (BGH 16.2.22, 2 StR 399/21). |
Relevanz für die Praxis
Gestaltungen, mit denen sich jemand der Vollstreckung wegen Steuerschulden durch das FA entziehen will, sind gefährlich. Sie können neben steuerstrafrechtlichen Risiken auch dazu führen, dass der abrechnungsrechtliche Anspruch entfällt. Insoweit hatte der A allerdings noch Glück.
Nach Ansicht des BGH ist das LG zutreffend davon ausgegangen, dass eine Täuschung nach § 263 Abs. 1 StGB vorliegt, wenn ein Arzt Leistungen abrechnet, obwohl er nach Kassenarztrecht nicht dazu berechtigt ist und in der Abgabe einer Sammelerklärung nach dem Empfängerhorizont die Erklärung liegt, die rechtlichen Abrechnungsvoraussetzungen lägen vor. Dazu gehört insbesondere die Zulassung als Vertragsarzt (BGH 19.8.20, 5 StR 558/19). Zu Recht habe das LG seine daran anschließende Prüfung, ob der A die abgerechneten ärztlichen Leistungen i. S. v. § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV „in freier Praxis“ erbrachte, an den geltenden sozialrechtlichen Maßstäben ausgerichtet.
Nach den im Tatzeitraum geltenden – insoweit inhaltsgleichen – Fassungen von § 106a Abs. 1 und 2 SGB V prüfen die KV und die Krankenkassen die Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen in der vertragsärztlichen Versorgung. Die Prüfung und Feststellung zielen darauf ab, ob die Leistungen im Einklang mit den maßgeblichen gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften erbracht worden sind; das schließt die Leistungserbringung in „freier Praxis“ ein (BSG 29.11.17, B 6 KA 31/16 R, BSGE 124, 266, 275).
Merke | Eine Tätigkeit in „freier Praxis“ setzt danach zum einen eine wirtschaftliche Komponente – die Tragung des wirtschaftlichen Risikos wie auch eine Beteiligung an den wirtschaftlichen Erfolgen der Praxis – und zum anderen eine ausreichende Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht voraus. |
Das wirtschaftliche Risiko trägt der Arzt, wenn ihn Chancen und das Risiko des beruflichen Erfolgs oder Misserfolgs persönlich treffen. Kennzeichnend für berufliche und persönliche Handlungsfreiheit ist es, dass der Vertragsarzt sein Personal selbst auswählt, das Hilfspersonal seinem Direktionsrecht unterliegt und ihm die Praxis mit den medizinischen Geräten jederzeit persönlich zur Verfügung steht. Die Eigentumsverhältnisse an den Praxisräumen und der Ausstattung sind rechtlich unerheblich. Entscheidend ist seine eigenverantwortliche Berufsausübung.
AUSGABE: PStR 4/2025, S. 82 · ID: 50294383