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BetriebsprüfungKassenführung, Betriebsprüfung und Steuerstrafverfahren: alles Wichtige auf einen Blick

Abo-Inhalt11.11.2024691 Min. LesedauerVon RA Martin Figatowski, LL.M. (Taxation), GTK Rechtsanwälte, Bonn

| In der digitalen Wirtschaft spielen Kassensysteme eine zentrale Rolle, um Geschäftsvorfälle zu erfassen und zu dokumentieren. Obwohl eine technische Sicherheitseinrichtung (TSE) eingerichtet wurde, um vor Manipulationen zu schützen, ist davon auszugehen, dass Probleme und Unregelmäßigkeiten bei der Kassenführung ein häufiges Thema in Betriebsprüfungen bleiben. Manipulierte Kassensysteme, unvollständige Aufzeichnungen und fehlende Dokumentationen können erhebliche steuerliche und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Dazu im Einzelnen. |

1. Kassenführung gem. §§ 146, 146a AO

Die Kassenführung ist insbesondere in §§ 146 und 146a AO geregelt. § 146 AO verlangt, dass die Bücher und Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet geführt werden. Dies schließt ein, täglich die Bareinnahmen und -ausgaben zu erfassen. Ferner legt § 146a AO fest, dass elektronische Kassensysteme bestimmten Anforderungen entsprechen müssen, um Manipulationen zu verhindern. Die Einführung der TSE soll sicherstellen, dass alle Kassendaten manipulationssicher aufgezeichnet werden. Nach § 162 AO muss die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen u. a. schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen führen muss, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen unrichtig oder unvollständig sind, § 162 Abs. 2 AO.

Bußgeldrechtlich zu beachten sind die neu eingeführten Tatbestände in § 379 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und 5 AO. Danach handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder leichtfertig entgegen § 146a Abs. 1 S. 1 AO ein dort genanntes elektronisches Aufzeichnungssystem nicht oder nicht richtig verwendet und wer entgegen § 146a Abs. 1 S. 2 AO ein dort genanntes System nicht oder nicht richtig schützt, indem er keine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung nutzt.

2. Neues BMF-Schreiben zur TSE-Kassen und § 158 AO

Das BMF-Schreiben vom 11.3.24 (IV D 2 - S 0333/23/10001:001, Abruf-Nr. 243505) konkretisiert die Anforderungen an die formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und hebt die Bedeutung digitaler Schnittstellen hervor. Ausgangspunkt ist, dass nach § 158 AO eine formell ordnungsgemäße Buchführung als richtig vermutet wird. Die Ordnungsmäßigkeit wird nach §§ 140 bis 148 AO und den Einzelsteuergesetzen beurteilt, wobei das Gesamtbild aller Umstände des Einzelfalls berücksichtigt wird. Entscheidend ist die neue Anforderung, dass digitale Unterlagen nach den Vorgaben der einheitlichen digitalen Schnittstellen zur Verfügung gestellt werden müssen. Dies bedeutet, dass die Buchführung und Aufzeichnungen den digitalen Vorgaben der Finanzverwaltung entsprechen müssen. Wird dieser Anforderung nicht entsprochen, verliert die Buchführung ihre Beweiskraft nach § 158 Abs. 2 Nr. 2 AO. Daraus resultierend kann die Finanzverwaltung die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 1 S. 2 AO schätzen.

Bußgeldrechtlich ist auch hier der neue § 379 Abs. 2 Nr. 1h AO „Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung“ zu beachten. Wird nach einer Kassen-Nachschau zu einer Außenprüfung übergegangen und können angeforderte Daten aus dem elektronischen Aufzeichnungssystem nicht vorgelegt werden, droht neben der zuvor genannten Schätzung durch die Finanzverwaltung auch die Festsetzung eines Bußgelds nach § 379 Abs. 2 Nr. 1h AO, da die Unterlagen nach § 146b Abs. 6 AO faktisch entgegen dem Verlangen der Finanzbehörde nicht ausgehändigt werden.

Die Anforderungen des BMF-Schreibens sind kritisch zu sehen. Viele der älteren Kassensysteme sind ggf. nicht kompatibel mit den geforderten digitalen Schnittstellen. Unternehmen, die ihre Systeme nicht aktualisieren, riskieren neben einem Bußgeld, dass ihre Buchführung als formell ordnungswidrig eingestuft wird, was Zuschätzungen ermöglicht, soweit die Buchführung nicht verwertbar ist. Im schlimmsten Fall könnte dies eine Vollschätzung bedeuten, falls die Buchführung insgesamt verworfen wird.

3. Betriebsprüfung bei Kassen

Bei einer Betriebsprüfung (BP) mit Kassen geht es i. d. R. um Folgendes:

  • Verhältnis von Getränken zu Speisen: Ungewöhnliche Verhältnisse können auf nicht erfasste Umsätze hinweisen. Die Finanzverwaltung geht üblicherweise von einem Verhältnis 30 zu 70 aus (30 % der Umsätze fallen auf Getränke und 70 % auf Speisen).
  • Stornierungen: Alle Stornierungen müssen nachvollziehbar und zeitnah dokumentiert sein, um Manipulationsverdachte auszuräumen.
  • Abgleich von Wareneinsatz zu Umsatz: Ein untypisches Verhältnis zwischen Wareneinsatz und Umsatz kann auf Schwarzverkäufe hinweisen.
  • Umsatzschwankungen: Signifikante Abweichungen und Schwankungen während eines Jahres müssen plausibel erklärt werden.

4. Anhängiges BFH-Verfahren zur Richtsatzsammlung

In dem beim BFH anhängigen Verfahren (X R 19/21) ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen ein äußerer Betriebsvergleich mittels Schätzung anhand der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zulässig ist. Der Kläger, Betreiber mehrerer gastronomischer Einrichtungen, führte bis zu fünf offene Ladenkassen ohne Kasseneinzelaufzeichnungen, was zu Unstimmigkeiten zwischen Wareneinkauf und erklärten Umsätzen führte. Die BP stellte fest, dass Einnahmen nur auf Zetteln notiert werden. Verprobungen zeigten, dass nur ein geringer Anteil der möglichen Umsätze als Erlöse erklärt wurde. Die Nachkalkulation ergab einen Rohgewinnaufschlagssatz (RGAS) von 400 Prozent, was zu erheblichen Hinzuschätzungen führte. Das FG Hamburg nutzte die Richtsatzsammlung des BMF als Schätzungsgrundlage. Es erkannte diese trotz Kritik in der Literatur als anerkannte Schätzungsmethode an, besonders wenn ein interner Betriebsvergleich nicht möglich ist.

Im Beschluss vom 14.12.22 (X R 19/21) thematisierte der BFH, ob die Daten repräsentativ und regional unterschiedliche Betriebskosten berücksichtigt sind sowie die Datenerhebung transparent ist. Er hat das BMF aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen, insbesondere zur Zulässigkeit und den Voraussetzungen des äußeren Betriebsvergleichs anhand der Richtsatzsammlung. Die mündliche Verhandlung vom 17.01.24 wurde aber auf Antrag der Finanzverwaltung aufgehoben.

Interessante Aspekte ergeben sich bezüglich Steuerstrafverfahren, wenn die Besteuerungsgrundlagen geschätzt wurden und die Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des BMF herangezogen wurden. Hier könnte durch Beweisanträge die Richtsatzsammlung insgesamt angegriffen werden. Aber auch ohne entsprechende Beweisanträge könnte fraglich sein, ob eine bloße Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch den Strafrichter in Anlehnung an die Richtsatzsammlung nun durchgreifende Rechtsfehler enthält (vgl. zur Anwendung der Richtsatzsammlung im Strafverfahren BGH 20.12.16, 1 StR 505/16, PStR 17, 181).

5. Pflichten, wenn ein Anfangsverdacht bei der BP besteht

Sobald die BP einen Anfangsverdacht feststellt, muss sie die Prüfung unterbrechen und die Steuerfahndung bzw. Strafsachen- und Bußgeldstelle informieren, § 10 Abs. 1 BpO. Weitere Hinweise zu § 10 BPO ergeben sich aus den gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörde der Länder vom 31.08.09 zu den Anwendungsfragen zu § 10 Abs. 1 BpO (BStBl I , 829). Sollte der Prüfer während einer Prüfung für längere Zeit auf einmal nicht mehr erreichbar sein, könnte dies ein Indiz für eine „interne” steuerstrafrechtliche Würdigung sein. Zu beachten ist, dass eine Selbstanzeige während einer BP nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a) AO beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung gesperrt ist.

Beachten Sie | Zwar ist eine Kassen-Nachschau keine Außenprüfung i. S. d. § 193 AO. Wenn der Beamte zur Kassen-Nachschau erscheint, kann keine strafbefreiende Selbstanzeige mehr erfolgen, § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO.

Fazit | Unternehmen müssen ihre Bücher ordnungsgemäß führen, um steuerliche Risiken und Zuschätzungen nach § 162 AO zu vermeiden. Besonders im Rahmen einer BP spielt die genaue Dokumentation und Nachvollziehbarkeit der Geschäftsvorfälle eine entscheidende Rolle, insbesondere bei Abweichungen vom „Normal-Fall”. Die Konsequenzen von Mängeln in der Kassenführung können schwerwiegend sein und reichen von steuerlichen Zuschätzungen bis hin zu strafrechtlichen Ermittlungen. Die weitere Entwicklung in dem Verfahren vor dem BFH X R 19/21 ist auch im Hinblick auf Steuerstrafverfahren relevant.

AUSGABE: PStR 12/2024, S. 281 · ID: 50038812

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