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EinziehungVollstreckung der Einziehungsentscheidung: Entreicherungseinwand greift nicht immer durch
| Das LG Nürnberg-Fürth hat dazu Stellung genommen, inwiefern die Vollstreckung aus einer Einziehungsentscheidung nach § 459g Abs. 5 S. 1 StPO unverhältnismäßig ist. Die Entscheidung war zu der ab dem 1.7.21 geltenden Fassung von § 459g Abs. 5 S. 1 StPO ergangen. Fraglich ist, ob allein der Umstand, dass das durch die Steuerhinterziehung Erlangte in Form der Steuerersparnis nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist, zu einer entsprechenden Unverhältnismäßigkeit führt. |
Sachverhalt
Der Antragsteller A war 2018 rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden. Zudem wurde gegen ihn vom Gericht die Einziehung von Wertersatz i. H. v. 52.801,38 EUR angeordnet. Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin die Beitreibung des Wertersatzes ein. Im Zuge dessen wurde bei A, der inzwischen in die Türkei ausgewandert war, bei seiner Wiedereinreise nach Deutschland am Flughafen ein Bargeldbetrag von 200 EUR beschlagnahmt. Da der A nur eine türkische Rente von rund 310 EUR und eine deutsche Rente von 423,80 EUR bezieht, die beide zusammen unter der Pfändungsfreigrenze liegen, und er kein inländisches Vermögen besitzt, beantragte er erfolglos, die Vollstreckung einzustellen.
Entscheidungsgründe
Abruf-Nr. 243325
Der Antrag ist unbegründet (LG Nürnberg-Fürth 6.8.24, 12 KLs 505 Js 871/18, Abruf-Nr. 243325). Auch wenn die gerichtliche Anordnung der Einziehung vor dem 1.7.21 erfolgt war, also bevor die jetzige Fassung des § 459g Abs. 5 StPO aufgrund des Gesetzes zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.6.21 (BGBl I 21, 2099) in Kraft getreten war, beurteilt sich der Fall nach der aktuellen Gesetzesfassung, weil es sich um eine verfahrensrechtliche Regelung handelt, sodass § 2 Abs. 3 und 4 StGB nicht greift (KG 7.6.24, 5 Ws 47/24 – 161 GWs 24/24, BeckRS 2024, 13786).
War in der bis 30.6.21 geltenden Fassung des § 459g Abs. 5 S. 1 StPO noch die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung einzustellen, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden oder die Vollstreckung sonst unverhältnismäßig ist, enthält die derzeitige Fassung von § 459g Abs. 5 S. 1 StPO nur noch die Vollstreckungseinstellung wegen Unverhältnismäßigkeit. Hintergrund der Einengung ist, dass der Gesetzgeber durch die alte Regelung die Zielsetzung des Einziehungsrechts konterkariert sah, das durch die Straftat erlangte Vermögen effektiv nach den Wertungen des Bereicherungsrechts abzuschöpfen. Insofern konnte nach der alten Rechtslage der Betroffene der Einziehung einfach durch möglichst raschen Verbrauch bzw. Ausgabe des Erlangten entgehen. Dies ist durch die Neuregelung des § 459g Abs. 5 S. 1 StPO n. F. nun abgestellt (BT-Drucks. 19/27654, 111).
Dem Übermaßverbot wird folglich hinreichend bereits durch die Pfändungsschutzvorschriften nach § 459g Abs. 1 S. 2 StPO, § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG und §§ 850 ff. ZPO Rechnung getragen. Für § 459g Abs. 5 S. 1 StPO n. F. bleibt somit im Wesentlichen nur noch ein Anwendungsfall, wenn der Einziehungsadressat das durch die Straftat Erlangte auf schicksalhafte und in einer nicht von ihm zu vertretenen Weise wie infolge schwerer Krankheit verloren hat (BT-Drucks. 19/27654, 112). Solch ein Sachverhalt war aber nicht gegeben.
Auch sonst erweist sich die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung im Fall nicht als unverhältnismäßig. Denn auf die Renten des A, die unter den Pfändungsfreigrenzen liegen (§ 54 Abs. 4 SGB I, § 850c ZPO), greift die Staatsanwaltschaft sowieso nicht zu. Dabei hat die Staatsanwaltschaft allerdings nicht zum Nachteil des A geprüft, ob wegen seines Wohnsitzes in der Türkei und der dort ggf. niedrigeren Lebenshaltungskosten ein Abschlag bei der Höhe der Pfändungsfreigrenzen vorzunehmen ist (vgl. LG Kaiserslautern, 26.5.23, 5 T 37/23, BeckRS 2023, 18599).
Einzige Gefahr, die dem A hinsichtlich der Vollstreckung aus der Einziehungsentscheidung droht, ist, dass er bei Einreise nach Deutschland aufgrund von Fahndungsmaßnahmen aufgegriffen wird. Aufgrund seiner derzeitigen Vermögensverhältnisse resultieren daraus aber keine weiteren Einschränkungen für ihn. Dieser Aufgriff ist aber weiterhin zulässig, wie sich aus § 459g Abs. 5 S. 2 StPO herleitet, weil durchaus sich die Vermögensverhältnisse des A in Zukunft ändern können bzw. er pfändbare Vermögenswerte bei sich führen könnte.
Relevanz für die Praxis
Nach dem zivilrechtlichen Bereicherungsrecht kann sich derjenige, der aufgrund eines vorsätzlich begangenen Vermögensdelikts die Bereicherung erlangt hat und daher bösgläubig ist, nicht auf Entreicherung nach § 819 Abs. 1 i. V. m. § 818 Abs. 4 BGB berufen, was auch im Hinblick auf das Einziehungsrecht relevant ist (BT-Drucks. 19/27654, 112). Das LG Nürnberg-Fürth hat diese Wertung des Bereicherungsrechts hinlänglich berücksichtigt, als es § 459g Abs. 5 S. 1 StPO in der jetzigen Fassung ausgelegt hat. Danach gilt: Wurden die finanziellen Mittel, die durch die Steuerersparnis aufgrund einer Tat nach § 370 AO erlangt wurden, einfach ausgegeben, führt das nicht dazu, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung einzustellen wäre.
Damit ist die vorliegende Entscheidung vom gesetzgeberischen Anliegen getragen, dass sich Straftaten nicht lohnen dürfen (Köhler, NStZ 17, 497, 498; BVerfG 14.1.04, 2 BvR 564/95, BeckRS 2004, 22094). Dieses Anliegen liegt dem gesamten Einziehungsrecht zugrunde.
In Anbetracht dessen, dass der Einziehung im Steuerstrafrecht aufgrund des am 1.7.17 in Kraft getretenen Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.17 (BGBl I 17, 872) eine immer größere Praxisrelevanz zukommt (Gehm, StB 19, S. 368; derselbe, StW 20, 163), beantwortet die Besprechungsentscheidung die wichtige Frage, inwiefern sich der von der Einziehung Betroffene auf Entreicherung berufen kann.
AUSGABE: PStR 12/2024, S. 271 · ID: 50136176