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SteuerhinterziehungInlandsbezogene Ausweisung ist u. a. nach einer versuchten Steuerhinterziehung möglich

Abo-Inhalt18.03.2024794 Min. LesedauerVon RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin

| Die Ausweisung eines Ausländers aus spezialpräventiven Gründen dient dazu, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen, die nach Würdigung seines bisherigen Verhaltens und seiner Gesamtpersönlichkeit von ihm selbst gegenwärtig und in Zukunft ausgehen. Das hat das VG Hannover entschieden. |

Sachverhalt

Der Kläger K wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von sechs Jahren angeordnet wurde. Er ist 1979 in Beirut (Libanon) geboren und reiste 1990 als Minderjähriger mit seinem Vater und drei Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Großvater väterlicherseits ist türkischer Staatsangehöriger. Der Vater V des K ist hingegen nicht im türkischen Personenstandsregister eingetragen. Der V sowie einige andere Familienangehörige des K leben in Deutschland; in der Türkei leben die Verwandten des V und im Libanon u. a. seine Mutter M und weitere Geschwister. Die Familie des K meldete sich zunächst als Asylsuchende und erhielt Aufenthaltsgestattungen, erklärte aber, keinen Asylantrag gestellt zu haben. Nachdem sein Aufenthalt anschließend aus tatsächlichen Gründen geduldet worden war, erhielt K erstmals am 7.11.96 eine für sechs Monate gültige Aufenthaltsbefugnis, die fortlaufend verlängert wurde. 2005 bekam er eine bis zum 27.1.07 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Staatsangehörigkeit des K ist ungeklärt.

K tritt seit Jahren regelmäßig strafrechtlich in Erscheinung. Nach drei Jugendstrafen ab 1997 folgten Strafbefehle und Urteile wegen Beleidigung, BtM-Handel, Diebstahl, Raub, Computerbetrug und versuchter Steuerhinterziehung (Geldstrafe von 150 Tagessätzen). Nach einer Anhörung wies die Beklagte den K aus dem Bundesgebiet aus und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von sechs Jahren an. Die hiergegen erhobene Klage war erfolglos.

Entscheidungsgründe

Die Ausweisung des K ist rechtmäßig (VG Hannover 10.5.23, 5 A 3710/21, Abruf-Nr. 239859). Rechtsgrundlage ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Interessenabwägung erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nun gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

Merke | Die Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG setzt eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird und gem. § 53 Abs. 2 AufenthG die näher dargelegten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen muss.

Die strafrechtlichen Verurteilungen des K erfüllen unter mehreren Aspekten die Anforderungen an besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen i. S. v. § 54 AufenthG, die weiterhin fortdauern. K ist zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden.

Relevanz für die Praxis

Die ausländerrechtlich maßgebliche Gefährdung bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht (POR) entwickelten Grundsätzen (BVerwG 22.2.17, BVerwG 1 C 3.16). Bei der eigenständigen Prognose der Gerichte sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt.

Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 Hs. 1 AufenthG gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (OVG Niedersachsen 6.5.20, 13 LB 190/19).

Merke | Für bestimmte Fallgruppen besonders schwerer und schädlicher Delikte sind an den Grad der Wiederholungsgefahr nur geringe Anforderungen zu stellen. Zu diesen Fallgruppen gehören neben schweren Gewalt- und Eigentumsdelikten vor allem auch schwere Betäubungsmitteldelikte. Eine grenzenlose Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach unten ist jedoch auch bei schwersten Schäden nicht zulässig. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Begründung eines spezialpräventiven Ausweisungsinteresses ist bei schwerwiegenden Gefahren bereits die „ernsthafte Möglichkeit“ einer Wiederholung.

Hinsichtlich der Eigentums- und Vermögensdelikte zeugt die strafrechtliche Historie mit wiederholten Diebstahls- und Betrugstaten sowie einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung von einem verfestigten Verhaltensmuster des K, sich auf Kosten anderer unrechtmäßig finanzielle Vorteile zu sichern. Noch größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass K auch aufgrund seiner Persönlichkeitszüge und der insoweit nachvollziehbar diagnostizierten Verbitterungsstörung dazu neigt, seinen Unmut in unsachlicher Weise zu äußern und damit andere Personen – auch Mitarbeiter der Polizei, der Behörden und der Justiz – zu verunglimpfen, zu bedrohen oder zu beleidigen. Soweit sich diese Taten gegen den Staat und seine Einrichtungen richten und deren Arbeit beeinträchtigen, berühren sie damit zugleich ein Grundinteresse der Gesellschaft.

AUSGABE: PStR 4/2024, S. 79 · ID: 49832465

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