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SteuerhinterziehungSpielautomaten-Vergnügungssteuer hinterzogen: Es gilt die verlängerte Festsetzungsfrist
| Der VGH Baden-Württemberg musste klären, unter welchen Voraussetzungen eine verlängerte Festsetzungsverjährungsfrist nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c KAG Baden-Württemberg i. V. m. § 169 Abs. 2 S. 2 AO bei Hinterziehung von Spielautomaten-Vergnügungssteuer greift. Nach § 1 Abs. 1 AO sind die Bestimmungen der AO nicht direkt auf kommunale Steuern anwendbar. Die KAG der verschiedenen Bundesländer erklären aber Vorschriften der AO für sinngemäß anwendbar. Zudem beinhaltet § 7 KAG Baden-Württemberg einen eigenen Straftatbestand, der dem § 370 AO ähnelt. |
Sachverhalt
Die A-GmbH & Co. KG (A) betrieb in einer Gemeinde B in Baden-Württemberg in den Jahren 13 bis 16 Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit, die sie im Café C aufstellte. Auf Grundlage einer kommunalen Satzung wurde nach § 9 Abs. 4 KAG Baden-Württemberg in B Vergnügungssteuer auf Spielautomatenumsätze erhoben. Die Steuerfahndung C hat die B darüber unterrichtet, dass ein Steuerstrafverfahren gegen die Gesellschafter bzw. Geschäftsführer der A geführt werde. Es seien Feststellungen dazu getroffen worden, dass die Bruttokassenumsätze der A im Café C zu erhöhen seien, nachdem die tatsächlichen Bruttokassenumsätze anhand von sichergestellten Auslesestreifen der Geldspielgeräte ermittelt worden waren. Insofern übermittelte die Steuerfahndung C der B eine Tabelle der tatsächlichen Umsätze für die Jahre 13 bis 16, weitere Informationen war die Steuerfahndung C der B mit Hinweis auf das Steuergeheimnis bzw. § 31 Abs. 1 S. 1 AO nicht bereit zu geben. Aufgrund dieser Tabelle nahm die B mit Bescheid eine Nachveranlagung zur Vergnügungssteuer für die Jahre 13 bis 16 nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c KAG Baden-Württemberg (BW) i. V. m. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor. Dabei beliefen sich im gesamten Zeitraum für jedes Quartal die Umsätze z. T. um mehrere Zehntausend EUR höher als erklärt, wobei diese teils sogar zehnmal höher wie von der A angegeben waren. Es ergab sich ein Mehrbetrag an Vergnügungssteuer von insgesamt 68.507,99 EUR.
Strittig ist, ob der Nachveranlagung nicht teilweise der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegensteht. Dies war in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den Nachveranlagungsbescheid zu klären.
Entscheidungsgründe
Abruf-Nr. 229506
Der VGH Baden-Württemberg sah keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Nachveranlagung gem. § 80 Abs. 5 S. 1 i. V. m. § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO (24.1.22, 2 S 3137/21, Abruf-Nr. 229506). Ein lediglich als offen erscheinender Verfahrensausgang würde dagegen im Hinblick auf die nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO bei Abgabenbescheiden gesetzlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit keine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage rechtfertigen (VGH Baden-Württemberg 14.10.15, 2 S 1685/15, NVwZ-RR 16, 114).
Der Anwendungsbereich der zehnjährigen Festsetzungsfrist nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c KAG BW i. V. m. § 169 Abs. 2 S. 2 AO sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eröffnet. Da § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c KAG BW § 169 AO für „sinngemäß“ anwendbar erklärt, prüft der VGH Baden-Württemberg, ob der Tatbestand einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO erfüllt ist, auch wenn eine Bestrafung nach § 370 AO nicht aufgrund § 1 Abs. 1 AO möglich wäre. Vielmehr ist die Abgabenhinterziehung gem. § 7 KAG BW der einschlägige Straftatbestand. Dabei braucht die Person des Täters nicht festzustehen, wenn nur feststeht, dass einer von mehreren Verdächtigen eine Steuerhinterziehung begangen hat (BFH 19.3.98, V R 54/97, BStBl II 98, 466).
§ 169 Abs. 2 S. 3 AO gibt dem Steuerpflichtigen nur eine Einrede, wenn weder er noch sein Erfüllungsgehilfe die Tat begangen hat, dass er keinen Vermögensvorteil aus der Tat gezogen hat und diese nicht darauf beruht, dass er die erforderlichen Vorkehrungen zu ihrer Verhinderung unterlassen hat zu treffen – Exkulpation (BFH 30.10.90, VII R 18/88, BFH/NV 91, 721). Hierfür sieht der VGH Baden-Württemberg indes keine Anhaltspunkte.
Hier liegt eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vor, wobei diese zumindest bedingten Vorsatz erfordert (FG Baden-Württemberg 14.3.19, 3 K 2728/17, juris).
Ob die Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung erfüllt sind, ist nicht nach den Regeln der StPO, sondern nach den nach dem KAG für anwendbar erklärten Bestimmungen der AO bzw. der VwGO zu klären (BFH 15.11.17, I B 27/17, BFH/NV 18, S. 542). Sind dabei Zweifel nicht zu beheben, greift der Grundsatz in dubio pro reo, wobei das Gericht aber nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis gewonnenen Überzeugung entscheiden muss, § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO. Dies erfordert, dass eine Steuerhinterziehung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht (BFH 7.11.06, VIII R 81/04, BStBl II 07, S. 364), wobei ein ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel ausschließt, genügt (BVerwG 28.4.11, 2 C 55.09, DÖV 11, 944 Ls.).
Merke | Die materielle Beweislast für das Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung trägt dabei die Behörde (BFH 5.3.79, GrS 5/77, BStBl II 79, 570). |
Anhand der Auslesestreifen der Geldspielautomaten hat die Steuerfahndung C den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung festgestellt. Substanzielle Einwendungen hat die A gegen diese Feststellungen nicht erhoben. In diesem Zusammenhang lässt der VGH Baden-Württemberg die überlassene Tabelle mit den Bruttoumsätzen ausreichen, da die Steuerfahndung C wegen des Steuergeheimnisses gehindert ist, weitergehende Informationen zur Verfügung zu stellen, wohingegen die Gesellschafter-Geschäftsführer der Komplementär-Gesellschaft der A aufgrund des gegen sie geführten Steuerstrafverfahrens im Zuge des ihnen dort zustehenden Akteneinsichtsrechts gem. § 147 StPO über hinreichende weitere Informationen verfügten. Dieser Wissensstand ist der A zuzurechnen, sodass ein pauschales Bestreiten der A nicht ausreicht.
Wegen des Umstands, dass Auslesestreifen manipuliert, über vier Jahre hinweg erhebliche Verkürzungen festgestellt wurden und durch die Entnahme des Geldes aus den Geldspielgeräten dies den Gesellschafter-Geschäftsführern der Komplementär-Gesellschaft die Verkürzung bekannt sein musste, ist von vorsätzlichem Handeln auszugehen.
Da A an der ihr möglichen und zumutbaren Sachverhaltsermittlung nicht weiter mitwirkt, muss das Gericht keine weitere Sachverhaltsaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO vornehmen. Die festgestellten Indizien dürfen zulasten der A gewertet werden (OVG Bremen 26.1.21, 1 B 273/20; BVerwG 7.1.16, 1 A 3.15).
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung beweist, dass sich aus Steuerstrafverfahren auch weitreichende Folgen für die Verkürzung von kommunalen Abgaben ergeben können, wobei die Kommunen die für das Besteuerungsverfahren erforderlichen Informationen von den Finanzämtern nach § 31 Abs. 1 S. 1 AO erhalten. Allerdings können die Kommunen nach h. M. aus dieser Vorschrift kein Akteneinsichtsrecht herleiten, lediglich bei den Realsteuern besteht ein solches nach § 21 Abs. 3 FVG (Rüsken in Klein, AO, 16. Aufl., § 31, Rn. 7f.).
Jedoch ergibt sich aus der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg, dass ein weitgehender Gleichklang von dem von den Landesfinanzbehörden geführten Besteuerungsverfahren und dem von den Kommunen in solchen Fällen geführten Abgabeverfahren bestehen kann, wenn keine substanziierten Einwende gegen die Feststellungen der Landesfinanzbehörde durch den Steuerpflichtigen vorgetragen werden. Insofern ist es wichtig, zumindest ggf. über das Akteneinsichtsrecht nach § 147 StPO im Steuerstrafverfahren diesbezüglich Erkenntnisse zu gewinnen.
Die Besonderheit, dass bei Hinterziehung von kommunaler Vergnügungssteuern bezüglich der Frage der verlängerten Festsetzungsverjährung § 370 AO zu prüfen ist, obgleich eine Strafbarkeit nach diesem Tatbestand gem. § 1 Abs. 1 AO ausscheidet, ergibt sich auch in anderen Bundesländern (BGH. 16.4.15, 1 StR 490/14, wistra 15, S. 431; Jäger in Klein, AO Komm., 16. Aufl., § 370, Rn. 22).
So stellen z. B. § 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b KAG NRW, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b Doppellit. bb KAG Bayern, § 4 Abs. 1 Nr. 4 lit. b Hessisches KAG, § 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG Rheinland-Pfalz, § 11 Abs. 3 Niedersächsisches KAG oder § 3a Abs. 2 S. 2 KAG Sachsen dem § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c KAG BW vergleichbare Regelungen dar. Die Abgabenverkürzung sind vergleichbar z. B. auch in § 17 KAG NRW, Art. 14 KAG Bayern, § 5 Hessisches KAG, § 15 KAG Rheinland-Pfalz, § 16 Niedersächsisches KAG sowie § 5 KAG Sachsen geregelt.
Neben der Strafbarkeit wegen Abgabenverkürzung tritt auch Umsatzsteuerhinterziehung sowie bei Manipulation der Aufzeichnungen des Geldspielapparats auch eine solche nach § 268 Abs. 3 i. V. m. § 268 Abs. 1 Nr. 1 StGB – Fälschung technischer Aufzeichnungen – wegen störenden Einwirkens auf den Aufzeichnungsvorgang hinzu (BGH 16.4.15, 1 StR 490/14, wistra 15, 431). Zur Offenbarung auch dieser Taten ist die Finanzverwaltung gegenüber der Staatsanwaltschaft nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 lit. a sowie Abs. 5 AO befugt.
AUSGABE: PStR 2/2024, S. 32 · ID: 48096667