Logo IWW Institut für Wissen in der Wirtschaft
Login
FeedbackAbschluss-Umfrage

UmsatzsteuerhinterziehungBeim zweiten Erwerber wird der Vorsteuerabzug vollständig versagt

Abo-Inhalt18.01.2024624 Min. LesedauerVon RD David Roth, LL.M. oec., Köln

| Im Nachgang zum Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH (Rs. C-596/21, „Finanzamt M“) hat das FG Nürnberg entschieden, dass einem zweiten Erwerber in der Lieferkette der Vorsteuerabzug voll zu versagen ist, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass der Umsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen war. Eine anteilige Begrenzung auf den tatsächlichen (ggf. geringeren) Steuerschaden lehnt das FG – wie der EuGH – ab. |

Sachverhalt

C (der sich als W ausgab) verkaufte einen gebrauchten Audi A8 an den Kläger A. W billigte C‘s handeln. C stellte W eine Rechnung über die Lieferung des PKW und wies darin rund 9.900 EUR USt aus. Diese Steuer bezahlte C an das FA. W stellte eine Rechnung an A und wies darin rund 12.300 EUR USt aus. Diese Rechnung übergab W an C, der diese an A weiterleitete. A zahlte den Betrag nebst 12.300 EUR USt an C. Dieser behielt den Betrag für sich, führte jedoch nur 9.900 EUR USt (s. o.) an das FA ab. W erfasste die Vorgänge nicht in seiner Buchhaltung und entrichtete hierzu auch keine USt. Bei einer Betriebsprüfung des A versagte das FA diesem den Vorsteuerabzug i. H. v. rd. 12.300 EUR, da er von der Steuerhinterziehung des C habe wissen müssen.

Entscheidungsgründe

Das FG Nürnberg (8.4.23, 2 K 345/20, Abruf-Nr. 236736) bestätigt, wie der EuGH, die vollständige Versagung des Vorsteuerabzugs i. H. v. rund 12.300 EUR. Der Vorsteuerabzug war ausgeschlossen, weil C USt auf die Lieferung an W hinterzog und der Kläger dies hätte wissen müssen. Bei der dabei vorzunehmenden Auswertung der Umstände des Einzelfalls weist das FG auf folgende Ungereimtheiten hin, die dem A hätten auffallen müssen:

  • fehlende Prüfung der Identität des Geschäftspartners,
  • anderer Eigentümer und Halter im Kfz-Brief benannt,
  • vermeintlicher Verkäufer W kein gewerblicher Kfz-Händler,
  • Auffälligkeiten in der Rechnung (u. a. kein im Geschäftsverkehr gebräuchlicher, ansprechender Briefkopf sowie Angabe einer E-Mail-Adresse, die einen unprofessionellen Eindruck vermittelte, etc.).

Beachten Sie | Das BMF hat mit Schreiben vom 15.6.22 im UStAE 25f.1. einen Kriterienkatalog mit Merkmalen aufgestellt, die Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten bzw. eine Steuerhinterziehung darstellen sollen, z. B.: dem Unternehmer werden Waren oder Leistungen angeboten, deren Preis unter dem Marktpreis liegt; es erfolgen branchenunübliche Barzahlungen oder ungewöhnliche Zahlungsabwicklungen; Ansprechpartner im Unternehmen wechseln oft; den Beteiligten fehlt berufliche Erfahrung und Branchenkenntnis, u. v. m.

Dass der W (als vorangehendes Lieferkettenglied) ebenfalls von der Hinterziehung des C wusste, ist nicht relevant. Wie der EuGH stellt auch das FG hier darauf ab, dass allein der Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger als entscheidende aktive Handlung anzusehen ist. Durch diese wird eine Steuerhinterziehung begünstigt, da der (weitere) Absatz des Fahrzeugs dadurch erst ermöglicht werde. Der alleinige Erwerb des Fahrzeugs reicht damit aus, um den Vorsteuerabzug zu versagen, unabhängig davon, ob der „Mehrwertsteuerbetrug“ auf der Umsatzstufe, an dem der Kläger selbst beteiligt war, oder auf einer vorhergehenden oder eventuell späteren Umsatzstufe der Lieferkette stattfindet.

Es ist zulässig, den Vorsteuerabzug in voller Höhe zu versagen und betragsmäßig nicht auf den Steuerschaden i. H. v. lediglich 2.400 EUR (Gesamtbetrachtung der Lieferkette) zu begrenzen. Betrügerischen Umsätzen soll per se entgegengewirkt werden, indem den Waren/Dienstleistungen, die Gegenstand eines in eine Steuerhinterziehung einbezogenen Umsatzes waren, der Absatzmarkt genommen wird. Der Zweck, den Vorsteuerabzug zu versagen, ist insofern unabhängig davon zu beurteilen, ob ein Beteiligter an einer Steuerhinterziehung einen wirtschaftlichen Vorteil erlangte oder das Steueraufkommen gefährdet ist. Sie dient mithin nicht der Schadenskompensation, sondern soll Druckmittel zur sorgfältigen Prüfung sein. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität des Mehrwertsteuerregimes soll darin nicht zu sehen sein, wenngleich aufseiten der Finanzbehörden letztlich eine Überkompensation zu konstatieren ist.

Relevanz für die Praxis

Mit der FG-Entscheidung werden die vom EuGH in der Rs. C-596/21, „Finanzamt M“ genannten Grundsätze national umgesetzt. Die Fragen sind folglich als geklärt anzusehen. Für Unternehmer ist es aufgrund der vollständigen Versagung des Vorsteuerabzugs – ohne Begrenzung auf einen ggf. geringeren Steuerschaden in der Gesamtlieferkette – wichtig, etwaigen Vorwürfen der „Bösgläubigkeit“ durch ausreichend dokumentierte Überprüfung ihrer Lieferanten und Dienstleister zu begegnen, auch wenn die Beweislast für Bösgläubigkeit bei der Finanzbehörde liegt. Dabei bietet es sich an, den von den Finanzbehörden im UStAE 25f.1. genannten Kriterienkatalog in den Blick zu nehmen. Es kann nur davor gewarnt werden, diese Sorgfaltspflichten auf die leichte Schulter zu nehmen. Wie der Fall zeigt, kennen EuGH und nationale Finanzgerichte keine Gnade: Dem leichtfertig Handelnden kann sogar eine höhere Vorsteuerversagung drohen, als den kriminellsten Hintermännern. Beim Fiskus führt die Rechtsprechung zu Steuereinnahmen, die er bei einem regulären Ablauf der Geschäftsbeziehungen nicht erzielt hätte.

Noch nicht geklärt, aber wegen der Vorgabe des EuGH, den Vorsteuerabzug vollständig zu versagen, fast naheliegend, ist die Frage einer Doppelsanktion beim selben Steuerpflichtigen. Etwa wenn dieser eingangsseitig eine Ware mit Vorsteuerabzugsberechtigung erwirbt und die Ware ausgangsseitig an einen Abnehmer steuerfrei als innergemeinschaftliche Lieferung weiterverkauft. Nach der vom EuGH und FG vertretenen Linie („vollständige Versagung“) ist eine Doppelsanktion desselben Steuerpflichtigen (Versagung der Vorsteuer eingangsseitig und der Steuerbefreiung ausgangsseitig) wohl nicht gänzlich ausgeschlossen.

AUSGABE: PStR 2/2024, S. 35 · ID: 49649383

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2024

Bildrechte