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ArbeitsrechtArbeitszeiterfassung im Büro: Acht Fragen aus der Praxis und die Antworten einer Expertin dazu
| Das Thema „Erfassung der Arbeitszeit nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG)“ bewegt immer noch die Gemüter der Personalverantwortlichen. Ein Leser hat PBP deshalb acht Fragen gestellt, die Rechtsanwältin Heike Mareck von der Kanzlei Mareck beantwortet. |
Frage 1: „Unsere Mitarbeiter tragen ihre Stunden eigenständig bei „Unterm Strich“ ein. Verfolgt seitens mir als Arbeitgeber wird nur, dass die Einträge augenscheinlich vollständig sind und innerhalb der Projekte die Zuordnungen passen. In 99,9 Prozent der Fälle werden Arbeitszeiten gemäß Arbeitsschutzgesetz eingehalten. Nicht eingetragen werden aktuell Beginn und Ende der Arbeitszeit. Habe ich damit trotzdem bereits meine Pflichten als Arbeitgeber erfüllt?“
Antwort: Leider nein. Auf der Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes hat der Arbeitgeber lt. BAG (Beschluss vom 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21, Abruf-Nr. 231296) in Anlehnung an das EuGH-Urteil (vom 19.05.2019, Rs. C-55/18, Abruf-Nr. 215595) die Pflicht, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Mitarbeiter zu erfassen und aufzuzeichnen. Hingegen ist er auch nach derzeitiger Auffassung des BAG weitgehend frei darin, auf welche Weise er diese Pflicht erfüllt. Dies können z. B. vielfältig auf dem Software-Markt erhältliche IT-Zeiterfassungstools oder auch die klassische „Stechuhr“ sein.
Frage 2: Reicht es also beispielhaft so aus: Montag, 27.02.2023, 8.00 – 17.00 Uhr = acht Stunden zuzüglich eine Stunde Pause?
Antwort: Wohl schon, siehe oben.
Frage 3: Die Erfassung von Beginn und Ende der Pausen oder privaten Arbeitsunterbrechungen ist nicht zwingend geboten. Es genügt also die Summe der Arbeitsstunden pro Arbeitstage?
Antwort: Eher nein. Allein die Tatsache, dass die Erfassung des Beginns und des Endes der individuellen Pausenzeiten nach derzeitiger Meinung des BAG nicht zwingend geboten ist, führt nicht dazu, dass Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit nicht erfasst werden müssen.
Frage 4: Die Delegation der Erfassung und Aufzeichnung von Arbeitszeiten auf den einzelnen Mitarbeiter ist zulässig; der Mitarbeiter kann aber nicht freiwillig auf die Erfassung verzichten. Als Chef fordere ich jeden Mitarbeiter auf, die Zeit zu erfassen und habe ein Problem, wenn er es nicht bzw. nicht ordentlich macht, was dann?
Antwort: Die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung besteht nach den klaren Entscheidungen des BAG und des EuGH auf Grundlage des deutschen Arbeitsschutzgesetzes bzw. auf europäischer Ebene der einschlägigen Arbeitszeitrichtlinie. Delegiert ein Arbeitgeber solche Pflichten – wie im Arbeitsleben üblich – auf einen Mitarbeiter, muss er zur Not mit dem Sanktionsinstrumentarium des Arbeitsrechts dafür sorgen, dass die Pflichten erfüllt werden.
Frage 5: Die Verletzung der durch das Arbeitsschutzgesetz begründeten Aufzeichnungspflicht kann nicht zu unmittelbaren Sanktionen der Aufsichtsbehörden führen – also ist das Gesetz eine Empfehlung und doch nicht verpflichtend?
Antwort: Die Bezirksregierungen in NRW sind für die Kontrolle der Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes zuständig. Natürlich können sie auch bei Verstößen entsprechende Maßnahmen einleiten. Hingegen wird der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationssicherheit in NRW aus eigener Machtvollkommenheit keine Sanktionen bei Unterlassung der Aufzeichnungspflicht hinsichtlich der Arbeitszeiten einleiten.
Frage 6: Es besteht keine Verpflichtung, eine betriebliche Zeitkontenführung zu etablieren. Vertrauensarbeitszeit bleibt als Arbeitszeitmodell möglich, solange die arbeitszeitgesetzlichen Grenzen beachtet und durch entsprechende Zeiterfassung überwacht werden. Sobald ein Mitarbeiter die Aufgabe der Dokumentation übertragen bekommen hat, bin ich in der Vertrauensarbeitszeit. Was sind entsprechende Instrumente zur Überwachung der Zeiterfassung? Eine Stechuhr (bei Home-Office und externen Baustellen eher schwierig)?
Antwort: Natürlich ist es schwer, die Arbeitszeiten bei Home-Office oder externen Baustellen zu kontrollieren. Aber auch da bleibt es dabei: Auch hier gilt das Arbeitszeitgesetz.
Frage 7: Eine gesetzliche Vorgabe für die Aufbewahrungsfrist aufgezeichneter Arbeitszeitdaten besteht nur im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes, nicht für die erweiterte Aufzeichnungspflicht – d. h. für wie lange?
Antwort: Arbeitsschutz- und Betriebsschutzvorgänge bzw. die Daten und Unterlagen hierzu sind sechs Jahre aufzubewahren. § 16 Abs. 2 ArbZG verpflichtet den Arbeitgeber, die über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre aufzubewahren.
Frage 8: Unternehmen müssen sich auf eine arbeitszeitgesetzliche Neuregelung der Zeiterfassungspflicht einstellen. Was bedeutet das konkret?
Antwort: Eigentlich wollte das Bundesminsterium für Arbeit und Soziales (BMAS) bis März 2023 einen Gesetzentwurf zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung ins Kabinett bringen. Nach dem EuGH-Urteil und der BAG-Entscheidung plant das Ministerium wohl die vollständige Erfassung mit nur wenigen Ausnahmen. Damit wird der Vertrauensarbeitszeit wohl die Grundlage entzogen. Da hilft es nur wenig, dass die Erfassung nach den Plänen des BMAS auch digital erfolgen kann. So könnte zukünftig das Smartphone zur Stechuhr werden.
AUSGABE: PBP 4/2023, S. 25 · ID: 49251403