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Anlagengruppe 8Leistungssoll in der Gebäudeautomation: Normenchaos führt zu „Grundleistungs-Explosion“
| Bereits seit vielen Jahren beschäftigen sich verschiedene Gremien damit festzulegen, welche Inhalte zu einer vollständigen Planungsleistung der Gebäudeautomation gehören. Dabei gelangen unterschiedliche Gremien leider auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. PBP macht Sie deshalb mit den Unterschieden, Lücken und deren Auswirkung auf Honorar und Vertragsabwicklung vertraut. Wehren Sie sich insbesondere gegen Tendenzen, allzu viele Leistung den Grundleistungen zuzuordnen. Das ist nämlich fachlich nicht haltbar. |
Der Rahmen der Leistungssolldefinition
Auch wenn eine Planung in der Gebäudeautomation (GA) auf den ersten Blick immer sehr ähnlich aussieht, so sind die Vorschriften, die zu dieser Planung führen, doch mitunter sehr unterschiedlich. Fünf Vorschriften sind zu unterscheiden:
- 1. DIN EN ISO 16484
- 2. VDI 3814
- 3. VOB/C DIN 18386
- 4. AMEV GA
- 5. VDI 6026
Die grundlegendste Vorschrift, die auch als grundsätzlich gültig angesehen werden kann, ist die DIN EN ISO 16484. Sie definiert im Teil 1 unter 5.2 relativ weit gefasste Anforderungen an die Planungsphase. Hier werden auch eher inhaltliche Fragestellungen aufgeworfen, die im Rahmen der Planung geklärt werden müssen. Es werden kaum Dokumente definiert, mit denen diese Aufgaben vereinheitlicht erledigt werden können. Insofern bietet diese Norm zwar eine gute und richtige Basis für die Planungsarbeit. Sie liefert aber kaum Anhaltspunkte, welche Dokumente konkret zu erstellen sind.
Wichtig | Die DIN EN ISO 16484 ist dabei aber die einzige Vorschrift, die bei jedem Vertrag anzuwenden ist. Alle anderen Vorschriften, die ebenfalls Planungsinhalte definieren, hängen bezüglich ihrer Gültigkeit von der individuellen Vertragsgestaltung ab.
Die VDI 3814 und ihre Tücken
Die am weitesten bekannte Vorschrift ist die VDI 3814. In den Versionen vor der Novellierung ab 2019 bildete sie die Grundlage der meisten GA-Planungen. Sie war überwiegend akzeptiert und hat sich in der Praxis bewährt. Man konnte also davon ausgehen, dass es sich um eine allgemein anerkannte Regel der Technik handelte.
Demnach konnte ein Auftraggeber darauf vertrauen, dass die darin genannten Inhalte auch durch den von ihm beauftragten Planer umgesetzt wurden.
2019er-Novellierung ist in der Praxis noch nicht angekommen
Seit der Novellierung dieser Richtlinie ab 2019 sieht das ganz anders aus. Die alte VDI 3814 ist vom VDI vollständig zurückgezogen worden. Die Novellierung selbst ist aber noch gar nicht ganz vollständig erschienen. Das Blatt 4.3 ist ganz neu erst seit Juli 2022 erhältlich. Die Blätter 3.2 und 5 sind gar erst im Projektstadium und werden frühestens im Frühjahr 2024 erwartet.
Folge: Die neue VDI 3814 ist in der Praxis noch nicht angekommen. Planer hatten noch gar nicht ausreichend Zeit, sich einzuarbeiten, geschweige denn, die Norm umzusetzen. Die einschlägigen Planungsprogramme decken diese neue Planungsmethodik ebenfalls noch nicht durchgängig ab bzw. müssen noch darauf hin parametriert werden.
Inhaltliche Akzeptanz hält sich auch in Grenzen
Zudem hält sich auch die inhaltliche Akzeptanz der Richtlinie in Grenzen. Insgesamt muss man also davon ausgehen, dass die neue VDI 3814 auch nicht per se zur Definition von Planungsinhalten herangezogen werden kann.
Wichtiges für die Vertragsgestaltung
Für das Vertragsverhältnis zwischen Ihrem Auftraggeber und Ihnen als Planer ist das ein wichtiger Klärungspunkt. Wird im Vertrag nur lapidar die VDI 3814 vereinbart, müssen Sie genau fixieren, welche Version gemeint ist. Während die „alte“ VDI 3814 auch nur vergleichsweise vage Vorgaben zu den Inhalten einer Planung macht, geht die „neue“ doch sehr ins Detail. U. a. gibt sie in Blatt 2.2 ganz genau vor, was in jeder einzelnen Lph zu machen ist.
Klarstellung zur Leistungsabgrenzung
Beachtenswerterweise nimmt die VDI 3814 2.2 dabei explizit auf die VOB/C DIN 18386 Bezug. In deren Nummer 3.1.3 werden Unterlagen aufgezählt, die der Auftraggeber dem Auftragnehmer als Grundlage für dessen M+W-Planung übergeben muss. Der VDI folgert daraus, dass alle diese Unterlagen vom Fachplaner zu erstellen sind. Dies ist aber auf keinen Fall ausschließlich der Fachplaner Gebäudeautomation.
... und Honorar-
parameter klären Praxistipp | Prüfen Sie den Leistungsumfang je nach Projektkonstellation ab und klären Sie im Vorfeld die Honorarparameter. |
- Mindestens das dort genannte Brandschutzkonzept wird sicher nicht vom Fachplaner der GA erstellt.... jetzt gewerkefremde Unterlagen für die M+W-Planung erstellen?
- Auch die erwähnten Anlagenschemata kommen natürlich vom jeweiligen Fachplaner der betreffenden Anlage bzw. von deren ausführender Firma.
- Beim Adressierungskonzept, dem Störungsmelde- und Störungsmeldeweiterleitungskonzept sowie dem Visualisierungskonzept muss man differenzieren, ob es sich um
- Auftraggeber mit Bestandsanlagen handelt, bei denen diese Konzepte im Bestand bereits vorhanden sind oder ob
- diese unter Beratung des Fachplaners GA neu zu entwickeln sind. Dementsprechend entsteht hier natürlich auch ein unterschiedlicher Aufwand, der nach HOAI aber nicht gesondert vergütet wird. Eine solche Unterscheidung kennt die Honorarordnung nicht.Leistungsumfang im Vorfeld prüfen ...
Querverweise eröffnen Vertragslücken
Weiterhin interessant ist, dass die VOB/C DIN 18386:2019-09 ihrerseits wiederum sowohl auf die DIN EN ISO 16484 als auch auf die VDI 3814 Blatt 2.1 und 2.2 Bezug nimmt und diese als gültige Grundlagen für die Herstellung von Systemen der Gebäudeautomation angibt. Wenn aber das Blatt 2.2, das es ausschließlich in der novellierten Fassung gibt, generell im Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und ausführender Firma gilt, dann bedeutet das, dass diese ausführende Firma Anspruch auf alle Planungsunterlagen hat, die in der Detaillierung dieser Vorschrift genannt sind.
Ist aber die novellierte Fassung der VDI 3814 zwischen Ihnen und Ihrem Auftraggeber gar nicht vereinbart, so entsteht hier eine Lücke, die Ihr Auftraggeber schließen muss. Schließlich ist er gegenüber der ausführenden Firma dafür verantwortlich, alle Grundlagen zu übergeben. Es ist also ersichtlich, dass ein Auftraggeber, der seinen Bauvertrag nach VOB abschließen will, nicht daran interessiert sein kann, Planerverträge abzuschließen, in denen die Freiheitsgrade der alten VDI 3814 oder eben nur der DIN EN ISO 16484 gelten.
Was sind die Unterschiede zwischen VDI 3814 alt und neu?
Die alte Version beschreibt in Blatt 1 unter 11.2 generell Anforderungen an die Dokumentation in der Planungsphase. Es gibt dort keine Unterscheidung in die einzelnen Lph. Die Entscheidung, welche der aufgeführten Inhalte in welcher Detailtiefe zu erstellen sind, obliegt in erster Linie dem Planer. Er muss damit natürlich die Erwartungen des Auftraggebers erfüllen und sich in dem Rahmen bewegen, der üblicherweise für eine vergleichbare Leistung zu erwarten ist. Alleine schon aus dieser Formulierung ist klar, dass es darüber immer wieder Diskussionen gibt. Der Wunsch nach einer verbindlichen Definition der Planungsinhalte je Lph ist verständlich.
Die Novellierung kommt diesem Wunsch definitiv nach. Zum leichteren Verständnis werden hier die wesentlichen Inhalte der Ausführungsplanung verglichen. Diese stellen die Schnittstelle zwischen der Arbeit des Planers und der ausführenden Firma dar und sind eben bzgl. den Anforderungen der VOB wichtig.
Definition von Grundleistungen durch die Hintertür?
Bemerkenswert ist, dass die Novellierung explizit darauf hinweist, dass die dort aufgezählten Leistungen als HOAI-Grundleistung zu erbringen sind. Sinnvolle Besondere Leistungen werden gesondert aufgezählt.
Nachfolgend soll deshalb exemplarisch auf die plakativsten dieser vermeintlichen HOAI-Grundleistungen hingewiesen werden. Diese führen zu deutlichem Mehraufwänden die über das Honorar für Grundleistung nicht wirtschaftlich abgedeckt werden können.
HOAI-Grundleistungen nach VDI 3814 neu | |
| Klarstellung: Die VOB/C fordert lediglich die Übergabe eines Adressierungskonzepts. Nach VDI 3814 müssen jetzt alle Adressen bereits durch den Planer vergeben werden. |
| ... kritisch hinterfragen und Klarstellung: Nach der alten VDI 3814 war das Thema Systemintegration eine Leistung, die ausdrücklich nicht im Leistungsbild der HOAI verankert ist und damit gesondert zu vergüten war. |
| Klarstellung: Die Planung der MBE war in der alten VDI 3814 auf die Management- und Bedienfunktionen in der Funktionsliste und die Angabe der Örtlichkeiten beschränkt. Weiterhin konnten natürlich in den System- und Funktionsbeschreibungen Eigenschaften definiert werden. Die Festlegung einzelner Applikationen geht darüber sicher hinaus. |
| Klarstellung: Die Ausschreibung hatte bislang nichts mit der Ausführungsplanung zu tun, sondern war ausschließlich in der Lph 6 angesiedelt. |
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Zudem wird in den Lph 1 und 2 die Prüfung von Bestandsdokumentationen als Grundleistung genannt. Dies widerspricht der bisherigen Auslegung der HOAI, in der Bestandserfassungen immer gesondert zu vergüten sind.
Vorsicht vor Scheingenauigkeiten und vorpreschender Planung
Zudem soll nach Maßgabe der VDI bereits in der Vorplanung das Kennzeichnungssystem bis zur Anlagenebene vergeben werden und es sollen GA-Funktionslisten (Abschnitt 1+2) erstellt werden. Es muss hierbei darauf hingewiesen werden, dass gerade durch die Aufzählung von einzelnen Datenpunkten eine Genauigkeit vorgegaukelt wird, die durch die Grundlage der gewerkeseitigen Planungen oft gar nicht vorhanden ist.
Weiterhin sollen Anlagen-Funktionsbeschreibungen bereits in der Lph 3 erstellt werden. Üblicherweise werden alle diese Leistungen aber erst in der Lph 5 erbracht, um weitreichende Änderungen zu vermeiden (z. B. weil Detaillierungen noch gar nicht ausreichend vorliegen).
AMEV und die öffentliche Hand
Betrachtet man noch das Leistungsbild, das die AMEV Richtlinie Gebäudeautomation von 2019 ebenfalls als Grundleistung der HOAI beschreibt, so erkennt man im Wesentlichen Übereinstimmung mit der novellierten VDI 3814. Beachtenswert ist, dass es hinsichtlich der Anwendung auch bei der AMEV einer vertraglichen Festlegung bedarf. Üblicherweise schreibt die öffentliche Hand in ihren Planerverträgen die Einhaltung aller AMEV-Richtlinien vor. Damit ist die Anwendung der AMEV GA obligatorisch. Sollte in der Planung BACnet verwendet, so gilt zudem noch die AMEV BACnet. Diese enthält u. a. eigene Vorgaben zur Befüllung der Bemerkungsspalte der GA-Funktionsliste (Abschnitt 9), die dann beachtet werden müssen. Dies führt zu zusätzlichem Aufwand, dessen Vergütung ebenfalls geregelt werden muss.
Die VDI 6026 und ihre Folgen
Als letzte relevante Vorschrift, die hier betrachtet werden soll, bleibt nun noch die VDI 6026 übrig. Sie ist im August 2022 in einer überarbeiteten Version erschienen. Inhaltlich entspricht die VDI 6026 weitgehend der novellierten VDI 3814, bedient sich auch deren Terminologie. Teilweise gehen die geforderten Informationen allerdings nochmals über die bisher genannten Richtlinien hinaus. So gehören z. B. Wartungshinweise, die sonst erst in der Lph 6 relevant werden, dort bereits zur Ausführungsplanung.
Auch der Begriff der Regel- und Steuerparameter sollte noch inhaltlich detailliert werden. Versteht man darunter Sollwerte und Betriebszeiten, so gehört das ohnehin zum Planungsumfang. Sollten damit aber die Parameter der Regler wie Verstärkung Kp, Nachstellzeit Tn und Vorhaltzeit Tv gemeint sein, so gehört das sicher nicht in die Planungsphase, sondern wird üblicherweise durch die ausführende Firma anhand von praktischen Erfahrungswerten parametriert und während der Phase der Inbetriebnahme optimiert.
Wichtig | Auch die VDI 6026 gilt nicht per se, sondern muss zwischen Ihnen als Planer und dem Auftraggeber individuell vereinbart werden. In der Einleitung der Richtlinie selbst ist das so ausdrücklich festgehalten.
Die Konsequenz für die Praxis
Man kann also abschließend festhalten, dass die „alten“ Forderungen an GA-Planungen durch die neueren Richtlinien mehr oder weniger übereinstimmend detailliert und auf jeden Fall deutlich erhöht wurden. Ob diese Forderungen so universell richtig und notwendig sind oder ob nicht ein höherer Spielraum hinsichtlich der individuellen Abhängigkeiten innerhalb der Projekte sinnvoll wäre, sei an dieser Stelle als Denkanstoß unbeantwortet gelassen.
Wichtig bleibt, dass Sie genau darauf achten müssen, nach welchen Richtlinien Sie Ihre Leistung erbringen müssen. Ggf. muss eine Richtlinie auch nicht in ihrer Gesamtheit vereinbart werden und es können auch individuelle Einschränkungen abgestimmt werden. Da aber sowohl die VDI 3814 (neu) als auch die AMEV GA und VDI 6026 Bezug auf die Grundleistungen der HOAI nehmen, wird es viel Verhandlungsgeschick bedürfen, um innerhalb dieser Leistungsbilder höhere Vergütungen durchzusetzen.
AUSGABE: PBP 10/2022, S. 17 · ID: 48567516