Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Aug. 2022 abgeschlossen.
BüroführungWas die EU-Taxonomie für Planer am Bau bedeutet und welche Chancen sie eröffnet
| Die Europäische Kommission stellt sich mit dem EUROPÄISCHEN GREEN DEAL den ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Europas Wirtschaft soll zu einer modernen, ressourceneffizienten und Paris-konformen Wirtschaft umgebaut werden. Dabei spielt die EU-Taxonomie eine Schlüsselrolle. Sie soll neue Möglichkeiten für eine nachhaltige, architektonische Gestaltung schaffen und so die Nachfrage nach Taxonomie-konformen Objekten signifikant steigen lassen. Erfahren Sie, inwieweit die planenden Berufe hierzulande davon betroffen sind. |
Hinter- und Ausgangspunkt der EU-Taxonomie
40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und etwa der gleiche Anteil an Treibhausgas Emissionen sind dem Gebäudesektor zuzuschreiben. Wollen wir die globale Erwärmung auf einem Pfad deutlich unter 2°C halten, müssen wir die gebäudebezogenen Emissionen drastisch senken. Für den Umbau der europäischen Wirtschaft bedarf es laut Kommission eines jährlichen Investitionsvolumens zwischen 175 bis 290 Mrd. Euro. Davon muss der größte Teil von privaten Investoren aufgebracht werden. Daraus folgern zwei Hauptziele:
- Nachhaltiges Investment muss massiv gesteigert werden.
- Die Qualität nachhaltiger Investitionen muss klar definiert werden.
In den letzten Jahren sind immer mehr Projekte mit den Siegeln „grün“, „nachhaltig“ oder „ESG (Environment Social Governance)“ auf den Weg gebracht worden. Weil es an einheitlichen Maßstäben der Bewertung mangelt, sind diese aber fachlich schwer vergleichbar. Hier greift die Taxonomie Verordnung: Um nachhaltig bezeichnet zu werden, müssen ab 2022 sowohl Finanzmarktteilnehmer als auch größere Unternehmen den Taxonomie Anforderungen entsprechen.
Welche Chancen ergeben sich daraus für Planer am Bau?
Projektentwickler und Bauherren, die Zugang zu „grünen Finanzierungen“ erhalten wollen, müssen sicherstellen, dass ihre Projekte resilient und nachhaltig sind. Diese Anforderungen wirken sich natürlich auf den Finanzmarkt (sustainable investment), aber auch auf die Arbeit der Planer aus.
Die Nachfrage nach Taxonomie-konformen Objekten wird in Zukunft steigen. Nachhaltig zu investieren, wird sowohl für private Investoren interessant sein als auch für staatlich aufgelegte Fonds. Der norwegische Staatsfonds (einer der größten Staatsfonds der Welt) investiert die Öleinnahmen des Landes bereits nach strengen ethischen Richtlinien. Insbesondere in den frühen Phasen des Lebenszyklus von Gebäuden ist der Einfluss von Planenden groß.
Aufgaben der Planer in den Taxonomie-Lebenszyklusphasen
Anhand der Lebenszyklusphasen von Gebäuden wird dieser Einfluss klar. Die Matrix macht sichtbar, welche Mehrwerte Planer am Bau durch zielgerichtetes Tun für Eigentümer, Investoren und Nutzer realisieren können.
Aufgaben für die Planer | |||||
Maßnahmen | |||||
Ziele | Planung/Design | Standort | Bau- materialien | Konstruktion | Gebäude nach Fertigstellung |
Klimawandel abschwächen | innovative Energiekonzepte → Energieeffizienz erhöhen (Sonnenkollektoren/kompaktere Bauweisen/Energiekonzepte auf Quartierebene | Biobasierte, upge- cycelte, recycelte und sekundäre Rohstoffe verwenden | Luftdichtheit sicherstellen/Thermografie Messung | ||
Anpassung an den Klimawandel | Anpassung an lokale Klimabedingungen/thermischen Komfort im Außenbereich & Mikroklima verbessern/multifunktionale Landnutzungskonzepte | Standort auf zukünftige Klimaszenarien prüfen/autochthon bauen | |||
Kreislaufwirtschaft stärken | Gebäudeflexibilität maximieren/Nutzungen diversifizieren, z. B.: modulare Raumgestaltung/tragende Wände minimieren/Gebäudetiefe und Deckenhöhen berücksichtigen/mehr Gemeinschaftsräume Material-Upcycling/Recycling-Architektur/biobasierte Materialien/Ressourceneffizientes Planen/Materialzerlegbarkeit/hochwertige Verarbeitung/Mono-Materialien | Materialwiederverwendung früherer Bauvorhaben/vor Ort Material recyceln | |||
Wasser nachhaltig nutzen | Wassersparende Geräte/neue Wasserkonzepte/nachhaltiges Regenwassermanagement | Risiken für Erhal- tung der Wasserqualität minimieren/Materialien zum Schutz vor Wasser und Meeresressourcen verwenden | |||
Verschmutzung verhindern | Analyse Bodenverschmutzung | Kein gefährliches Baumaterial/Materialien mit geringstmöglichen Umweltauswirkungen verwenden | Vorgefertigte Ele- mente nutzen/kon- struktive Lösungen, keine Klebstoffe/Schäume; Hersteller wählen, die keinen Staub, Lärm und Schad- stoffe erzeugen | ||
Aufgaben für die Planer | |||||
Ziele | Planung/Design | Standort | Bau- materialien | Konstruktion | Gebäude nach Fertigstellung |
Biodiversität/Ökosysteme schützen/wiederherstellen | Mikroklima verbessern = ökologischen Wert schaffen/vielfältige Lebensräume/Grünflächen schaffen/einheimische Flora und Fauna fördern | Umwandlung von Industriebrachen bzw. untergenutzter Flächen/vorhandene Ökosysteme schützen/Land- nutzungseffizienz gewährleisten | |||
Die Vorteile erkennen und kommunizieren
Während Sie also sicherstellen, dass die aus der Taxonomie abgeleiteten Nachhaltigkeitsaspekte eingehalten werden, können Sie auch andere am Bau Beteiligte und politische Entscheidungsträger mit ins Boot holen. Es ist sinnvoll, sich für mehr Transparenz bei den Umweltauswirkungen von Baumaterialien und für nachhaltigere Lösungen von Produktherstellern einzusetzen. Länder und Gemeinden müssen die Flächennutzungseffizienz bei der Neuausweisung von Gebieten höher bewerten. Energieberater und Gebäudeeigentümer sind gefordert, sich mit realen Lebenszykluskosten von Energiealternativen auseinanderzusetzen.
Die Taxonomie betrifft alle Akteure des Bausektors. Die Chancen sind riesig. Denn nicht nur Investoren haben einen großen Gewinn davon, auch die Besitzer und die zukünftigen Nutzer der Gebäude.
Die Vorteils-Trias | ||
Investoren | Besitzer | Nutzer |
Höherer Verkaufspreis | Langsamere Abschreibung | Verbesserte Gesundheit und Wohlbefinden |
Niedrigere Planungs- und Baukosten (angesicht steigender Materialpreise ist ein positiver Effekt auf die Baukosten zu erwarten; ob und welcher Einfluss auf die Planungskosten vorliegt, ist in den nächsten Jahren zu untersuchen) | Geringere Leerstandsquoten | Gesteigerte Produktivität (abgedeckt durch zukünftige soz. Kriterien) |
Schnellerer Verkauf | ||
Wertsteigerung Erhaltung/Potenzial | ||
Verbessertes Risikomanagement | ||
Finanzierungssicherheit | ||
Schnellere Rendite | ||
Geringe Betriebskosten | ||
Geringe Wartungskosten | ||
Unternehmensimage und Prestigewert | ||
Einhaltung gesetzlicher und CSR-Anforderungen | ||
Wie sich unser Büro in dem Bereich konkret aufstellt
Im Juni 2022 haben wir von CIRCULAR STRUCTURAL DESIGN zusammen mit TEUFFEL ENGINEERING CONSULTANTS und dem Lehrstuhl Innovative Structural Design der TU Eindhoven einen gemeinsamen Workshop veranstaltet, um Chancen und Herausforderungen, die dieses Thema im Alltag von Tragwerksplanern bietet, besser zu verstehen. Hier standen vier Themen im Vordergrund:
- 1. Politische bzw. gesellschaftliche Randbedingungen
- 2. Ökologie
- 3. Ökonomie
- 4. Ingenieurtechnische Aspekte
Aktuelle Baupreisentwicklungen sind ein Treiber
Wie oben beschrieben gibt es auf allen politischen Ebenen, aber auch gesellschaftlich, ein Streben, dass das Bauen der Zukunft nachhaltig werden muss. Während die ökologischen Vorteile offensichtlich sind, gibt es weiterhin das Vorurteil, dass nachhaltiges Bauen teurer ist. Aber angesichts der aktuell drastisch gestiegenen Materialpreise wird auch hier klar, dass es vernünftig ist, in diese Richtung zu gehen.
Die Umsetzung in aktuellen Projekten
Aktuell arbeiten wir schon an verschiedenen Projekten in Deutschland mit Bauherren, die mit uns untersuchen möchten, ob und wie vorhandene Bauteile aus bestehenden Bauwerken in neuen Projekten wiederverwendet werden können. Die Vorgehensweise ist in allen Fällen vergleichbar:
Fazit | Klar ist: Große Konzerne und Finanzinstitute werden mit ›ökologisch nachhaltigen Fonds‹ werben. Daneben sind von der EU-Taxonomie auch Immobilienentwickler und Planer betroffen, da die Finanzierungsfähigkeit solcher Projekte in Zukunft immer mehr von deren Nachhaltigkeit abhängen wird. So werden die Vorgaben der EU-Taxonomie (s. Art. 9 der Offenlegungsverordnung) auf lange Sicht wohl weiter greifen als auf den ersten Blick ersichtlich. Es lohnt sich für jedes Planungsbüro, sich mit dem Thema zu befassen. |
- In einem ersten Schritt erfolgt eine Inventarisierung der vorhandenen Bauteile sowie eine Beurteilung hinsichtlich verschiedener technischer Aspekte, wie Tragfähigkeit, aber natürlich auch Schadstofffreiheit.
- Darauf aufbauend kann ein Bauteilkatalog erstellt werden, der für die Planenden der neuen Aufgabe eine Grundlage bietet.
- Eine Bewertung der ökologischen sowie ökonomischen Vor- und Nachteile begleiten den Planungsprozess. Gleiches gilt für Überlegungen, wie das bestehende Bauwerk zerstörungsfrei und selektiv zurück gebaut werden kann.
AUSGABE: PBP 8/2022, S. 18 · ID: 48368833