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BüroführungWas die EU-Taxonomie für Planer am Bau bedeutet und welche Chancen sie eröffnet

Abo-Inhalt25.07.20226060 Min. LesedauerVon Prof. Dr.-Ing. Patrick Teuffel, CIRCULAR STRUCTURAL DESIGN, Berlin

| Die Europäische Kommission stellt sich mit dem EUROPÄISCHEN GREEN DEAL den ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Europas Wirtschaft soll zu einer modernen, ressourceneffizienten und Paris-konformen Wirtschaft umgebaut werden. Dabei spielt die EU-Taxonomie eine Schlüsselrolle. Sie soll neue Möglichkeiten für eine nachhaltige, architektonische Gestaltung schaffen und so die Nachfrage nach Taxonomie-konformen Objekten signifikant steigen lassen. Erfahren Sie, inwieweit die planenden Berufe hierzulande davon betroffen sind. |

Hinter- und Ausgangspunkt der EU-Taxonomie

40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und etwa der gleiche Anteil an Treibhausgas Emissionen sind dem Gebäudesektor zuzuschreiben. Wollen wir die globale Erwärmung auf einem Pfad deutlich unter 2°C halten, müssen wir die gebäudebezogenen Emissionen drastisch senken. Für den Umbau der europäischen Wirtschaft bedarf es laut Kommission eines jährlichen Investitionsvolumens zwischen 175 bis 290 Mrd. Euro. Davon muss der größte Teil von privaten Investoren aufgebracht werden. Daraus folgern zwei Hauptziele:

  • Nachhaltiges Investment muss massiv gesteigert werden.
  • Die Qualität nachhaltiger Investitionen muss klar definiert werden.

In den letzten Jahren sind immer mehr Projekte mit den Siegeln „grün“, „nachhaltig“ oder „ESG (Environment Social Governance)“ auf den Weg gebracht worden. Weil es an einheitlichen Maßstäben der Bewertung mangelt, sind diese aber fachlich schwer vergleichbar. Hier greift die Taxonomie Verordnung: Um nachhaltig bezeichnet zu werden, müssen ab 2022 sowohl Finanzmarktteilnehmer als auch größere Unternehmen den Taxonomie Anforderungen entsprechen.

Welche Chancen ergeben sich daraus für Planer am Bau?

Projektentwickler und Bauherren, die Zugang zu „grünen Finanzierungen“ erhalten wollen, müssen sicherstellen, dass ihre Projekte resilient und nachhaltig sind. Diese Anforderungen wirken sich natürlich auf den Finanzmarkt (sustainable investment), aber auch auf die Arbeit der Planer aus.

Die Nachfrage nach Taxonomie-konformen Objekten wird in Zukunft steigen. Nachhaltig zu investieren, wird sowohl für private Investoren interessant sein als auch für staatlich aufgelegte Fonds. Der norwegische Staatsfonds (einer der größten Staatsfonds der Welt) investiert die Öleinnahmen des Landes bereits nach strengen ethischen Richtlinien. Insbesondere in den frühen Phasen des Lebenszyklus von Gebäuden ist der Einfluss von Planenden groß.

Aufgaben der Planer in den Taxonomie-Lebenszyklusphasen

Anhand der Lebenszyklusphasen von Gebäuden wird dieser Einfluss klar. Die Matrix macht sichtbar, welche Mehrwerte Planer am Bau durch zielgerichtetes Tun für Eigentümer, Investoren und Nutzer realisieren können.

Aufgaben für die Planer

Maßnahmen

Ziele

Planung/Design

Standort

Bau- materialien

Konstruktion

Gebäude nach Fertigstellung

Klimawandel abschwächen

innovative Energiekonzepte → Energieeffizienz erhöhen (Sonnenkollektoren/kompaktere Bauweisen/Energiekonzepte auf Quartierebene

Biobasierte, upge- cycelte, recycelte und sekundäre Rohstoffe verwenden

Luftdichtheit sicherstellen/Thermografie Messung

Anpassung an den Klimawandel

Anpassung an lokale Klimabedingungen/thermischen Komfort im Außenbereich & Mikroklima verbessern/multifunktionale Landnutzungskonzepte

Standort auf zukünftige Klimaszenarien prüfen/autochthon bauen

Kreislaufwirtschaft stärken

Gebäudeflexibilität maximieren/Nutzungen diversifizieren, z. B.: modulare Raumgestaltung/tragende Wände minimieren/Gebäudetiefe und Deckenhöhen berücksichtigen/mehr Gemeinschaftsräume

Material-Upcycling/Recycling-Architektur/biobasierte Materialien/Ressourceneffizientes Planen/Materialzerlegbarkeit/hochwertige Verarbeitung/Mono-Materialien

Materialwiederverwendung früherer Bauvorhaben/vor Ort Material recyceln

Wasser nachhaltig nutzen

Wassersparende Geräte/neue Wasserkonzepte/nachhaltiges Regenwassermanagement

Risiken für Erhal- tung der Wasserqualität minimieren/Materialien zum Schutz vor Wasser und Meeresressourcen verwenden

Verschmutzung verhindern

Analyse Bodenverschmutzung

Kein gefährliches Baumaterial/Materialien mit geringstmöglichen Umweltauswirkungen verwenden

Vorgefertigte Ele- mente nutzen/kon- struktive Lösungen, keine Klebstoffe/Schäume; Hersteller wählen, die keinen Staub, Lärm und Schad-

stoffe erzeugen

Aufgaben für die Planer

Ziele

Planung/Design

Standort

Bau- materialien

Konstruktion

Gebäude nach Fertigstellung

Biodiversität/Ökosysteme schützen/wiederherstellen

Mikroklima verbessern = ökologischen Wert schaffen/vielfältige Lebensräume/Grünflächen schaffen/einheimische Flora und Fauna fördern

Umwandlung von Industriebrachen bzw. untergenutzter Flächen/vorhandene Ökosysteme schützen/Land- nutzungseffizienz gewährleisten

Die Vorteile erkennen und kommunizieren

Während Sie also sicherstellen, dass die aus der Taxonomie abgeleiteten Nachhaltigkeitsaspekte eingehalten werden, können Sie auch andere am Bau Beteiligte und politische Entscheidungsträger mit ins Boot holen. Es ist sinnvoll, sich für mehr Transparenz bei den Umweltauswirkungen von Baumaterialien und für nachhaltigere Lösungen von Produktherstellern einzusetzen. Länder und Gemeinden müssen die Flächennutzungseffizienz bei der Neuausweisung von Gebieten höher bewerten. Energieberater und Gebäudeeigentümer sind gefordert, sich mit realen Lebenszykluskosten von Energiealternativen auseinanderzusetzen.

Die Taxonomie betrifft alle Akteure des Bausektors. Die Chancen sind riesig. Denn nicht nur Investoren haben einen großen Gewinn davon, auch die Besitzer und die zukünftigen Nutzer der Gebäude.

Die Vorteils-Trias

Investoren

Besitzer

Nutzer

Höherer Verkaufspreis

Langsamere Abschreibung

Verbesserte Gesundheit und Wohlbefinden

Niedrigere Planungs- und Baukosten (angesicht steigender Materialpreise ist ein positiver Effekt auf die Baukosten zu erwarten; ob und welcher Einfluss auf die Planungskosten vorliegt, ist in den nächsten Jahren zu untersuchen)

Geringere Leerstandsquoten

Gesteigerte Produktivität (abgedeckt durch zukünftige soz. Kriterien)

Schnellerer Verkauf

Wertsteigerung Erhaltung/Potenzial

Verbessertes Risikomanagement

Finanzierungssicherheit

Schnellere Rendite

Geringe Betriebskosten

Geringe Wartungskosten

Unternehmensimage und Prestigewert

Einhaltung gesetzlicher und CSR-Anforderungen

Wie sich unser Büro in dem Bereich konkret aufstellt

Im Juni 2022 haben wir von CIRCULAR STRUCTURAL DESIGN zusammen mit TEUFFEL ENGINEERING CONSULTANTS und dem Lehrstuhl Innovative Structural Design der TU Eindhoven einen gemeinsamen Workshop veranstaltet, um Chancen und Herausforderungen, die dieses Thema im Alltag von Tragwerksplanern bietet, besser zu verstehen. Hier standen vier Themen im Vordergrund:

  • 1. Politische bzw. gesellschaftliche Randbedingungen
  • 2. Ökologie
  • 3. Ökonomie
  • 4. Ingenieurtechnische Aspekte

Aktuelle Baupreisentwicklungen sind ein Treiber

Wie oben beschrieben gibt es auf allen politischen Ebenen, aber auch gesellschaftlich, ein Streben, dass das Bauen der Zukunft nachhaltig werden muss. Während die ökologischen Vorteile offensichtlich sind, gibt es weiterhin das Vorurteil, dass nachhaltiges Bauen teurer ist. Aber angesichts der aktuell drastisch gestiegenen Materialpreise wird auch hier klar, dass es vernünftig ist, in diese Richtung zu gehen.

Die Umsetzung in aktuellen Projekten

Aktuell arbeiten wir schon an verschiedenen Projekten in Deutschland mit Bauherren, die mit uns untersuchen möchten, ob und wie vorhandene Bauteile aus bestehenden Bauwerken in neuen Projekten wiederverwendet werden können. Die Vorgehensweise ist in allen Fällen vergleichbar:

Fazit | Klar ist: Große Konzerne und Finanzinstitute werden mit ›ökologisch nachhaltigen Fonds‹ werben. Daneben sind von der EU-Taxonomie auch Immobilienentwickler und Planer betroffen, da die Finanzierungsfähigkeit solcher Projekte in Zukunft immer mehr von deren Nachhaltigkeit abhängen wird. So werden die Vorgaben der EU-Taxonomie (s. Art. 9 der Offenlegungsverordnung) auf lange Sicht wohl weiter greifen als auf den ersten Blick ersichtlich. Es lohnt sich für jedes Planungsbüro, sich mit dem Thema zu befassen.

  • In einem ersten Schritt erfolgt eine Inventarisierung der vorhandenen Bauteile sowie eine Beurteilung hinsichtlich verschiedener technischer Aspekte, wie Tragfähigkeit, aber natürlich auch Schadstofffreiheit.
  • Darauf aufbauend kann ein Bauteilkatalog erstellt werden, der für die Planenden der neuen Aufgabe eine Grundlage bietet.
  • Eine Bewertung der ökologischen sowie ökonomischen Vor- und Nachteile begleiten den Planungsprozess. Gleiches gilt für Überlegungen, wie das bestehende Bauwerk zerstörungsfrei und selektiv zurück gebaut werden kann.

AUSGABE: PBP 8/2022, S. 18 · ID: 48368833

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