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MietrechtRückständige Betriebskosten als Kündigungsgrund: Wer die Hauptsache für erledigt erklärt, bekommt die Streitfrage nicht entschieden
| Im Rahmen des Mietverhältnisses sind neben der Kaltmiete auch Nebenkostenvorauszahlungen und letztlich auch Nachzahlungen aus der Jahresabrechnung zu zahlen. Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung liegt nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB insbesondere vor, wenn der Mieter für zwei aufeinanderfolgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht. Streitig ist, ob bei der Bemessung der rückständigen Miete auch die Nebenkosten zu berücksichtigen sind. Eine Entscheidung des BGH zeigt auf, wie eine prozessuale Lage die Entscheidung der Streitfrage verhindert und zugleich, welche Prozesskostenrisiken darin liegen. |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Der Beklagte mietete ab Oktober 2009 ein in D. gelegenes Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von circa 135 qm von den damaligen Eigentümern. Die monatliche Nettokaltmiete betrug 400 EUR. Im Dezember 2016 erwarben die Kläger die Immobilie in der Absicht, den Beklagten – den Bruder der Klägerin zu 1 – vor dem Hintergrund, dass dieser nun Sozialleistungen bezog, zu unterstützen. Vereinbarungsgemäß wurde das Haus in zwei Wohnungen geteilt. Der Beklagte bewohnt seit dem 4.9.17 die im Hinterhaus gelegene Zwei-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von 75 qm. Über die vom Beklagten hierfür zu zahlende Nettokaltmiete konnten die Parteien sich nicht einigen.
Mit Schreiben vom 1.5.18 rechneten die Kläger über die Betriebskosten des Jahres 2017 ab und gelangten zu einem Nachzahlungsbetrag zulasten des Beklagten in Höhe von 477,86 EUR. Die Kläger erklärten mehrfach, zuletzt mit Schriftsatz vom 28.4.20, die außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses unter Bezugnahme auf rückständige Miete sowie – zuletzt – die ausstehende Betriebskostennachzahlung für 2017. Nur in dieser Kombination konnte die fristlose Kündigung gerechtfertigt sein.
Die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung sowie – nach einer vor der ersten mündlichen Verhandlung erfolgten Teilklagerücknahme in Höhe von 9.950 EUR – auf Zahlung rückständiger Miete in Höhe von 649,60 EUR und Nachzahlung von Betriebskosten für das Jahr 2017 in der o. g. Höhe gerichtete Klage hat vor dem AG nur teilweise Erfolg gehabt. Das AG hat den Beklagten zur Zahlung rückständiger Miete in Höhe von 125,17 EUR verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger hat das LG zurückgewiesen.
Mit der vom LG zugelassenen Revision haben die Kläger ihr Klagebegehren, soweit dieses bisher keinen Erfolg gehabt hat, weiterverfolgt. Nachdem der Beklagte auf die Revisionsbegründung der Kläger zunächst erwidert hatte, haben beide Parteien unter Berufung auf einen freiwilligen Auszug des Beklagten aus der Wohnung den Räumungs- und Herausgabeantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt. Hinsichtlich des weiterverfolgten Zahlungsantrags haben die Kläger die Revision zurückgenommen. Demnach ist nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden.
Entscheidungsgründe
Der BGH macht deutlich, dass bei der Entscheidung über die Kosten der Hauptsacheprozess nicht einfach fortgeführt wird, sondern prozessuale Grundregeln gelten.
Leitsatz: BGH 13.8.24, VIII ZR 255/21 |
Nach übereinstimmender Erledigungserklärung ist im Rahmen der Kostenentscheidung nicht durch summarische Prüfung die Rechtsfrage zu klären, ob ein Betriebskostenrückstand des Wohnungsmieters als Zahlungsrückstand und wichtiger Grund i. S. d § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses anzusehen ist (Abruf-Nr. 243823). |
Der BGH hat eine auf § 516 Abs. 3 S. 1, § 565 S. 1, § 269 Abs. 3 S. 2, § 91 Abs. 1 S. 1, § 91a Abs. 1 S. 1, § 100 Abs. 1 ZPO beruhende Kostenmischentscheidung getroffen.
Wer zurücknimmt, trägt die Kosten
Soweit das LG die Berufung der Kläger hinsichtlich ihres Zahlungsantrags zurückgewiesen hat, ist sein Urteil mit der Rücknahme der Revision der Kläger rechtskräftig geworden. Für die Revisionsinstanz ergibt sich dann aus § 516 Abs. 3 S. 1, § 565 S. 1 ZPO, dass die Kläger insoweit die Kosten des Rechtsstreits tragen müssen. Für die Tatsacheninstanzen folgt die Pflicht der Kläger, die Kosten in Bezug auf den Zahlungsantrag zu tragen, aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO bzw. – soweit die Kläger bereits in der ersten Instanz ihren Zahlungsantrag in Höhe von 9.950 EUR (vor der ersten mündlichen Verhandlung) zurückgenommen haben – aus § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
Erledigungserklärung: Sach- und Streitstand maßgeblich
Soweit beide Parteien den Räumungs- und Herausgabeanspruch in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war über die diesbezüglichen Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Für jede Instanz gelten andere Maßstäbe
Maßgeblich hierfür ist der mutmaßliche Ausgang des Revisionsverfahrens (BGH 9.2.21, VIII ZR 346/19; 8.3.22, XI ZR 571/21; 9.4.24, XI ZR 328/22) und nicht der Umstand, dass der Beklagte, der auf Räumung und Herausgabe der Wohnung in Anspruch genommen wurde, aus dieser Wohnung nach Erlass des Berufungsurteils freiwillig ausgezogen ist. Zwar kann nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO in bestimmten Fällen berücksichtigt werden, dass der Beklagte sich durch die Zahlung einer noch streitgegenständlichen Forderung freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begibt, auch wenn nicht zugleich erklärt wird, die Kosten des Rechtsstreits zu übernehmen (BGH 27.7.10, VI ZR 154/08; 21.9.10, VI ZR 11/10; 8.6.21, VI ZR 1232/20; 22.3.23, V ZR 268/21).
Aber ein freiwilliger Auszug des Mieters aus einer Wohnung erlaubt nicht in vergleichbarer Weise wie die freiwillige Zahlung einer noch streitgegenständlichen Forderung durch den Schuldner einen Rückschluss darauf, dass damit der Rechtsstandpunkt der Gegenpartei im Ergebnis hingenommen wird, sondern kann auf anderen Motiven unterschiedlicher Art – u. a. beruflichen Notwendigkeiten, dem Wunsch nach örtlicher Veränderung, verändertem Platzbedarf oder finanziellen Gesichtspunkten – beruhen.
Auch hat der Beklagte vorliegend durch die zunächst erfolgte Erwiderung auf die Revisionsbegründung und den von ihm gestellten Kostenantrag im Rahmen der Teilerledigungserklärung hinreichend deutlich gemacht, dass er der rechtlichen Einschätzung der Kläger widerspricht.
Keine Klärung von Rechtsfragen
Es ist nicht Zweck einer Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden (BGH 17.7.06, II ZR 163/03; 23.10.13, V ZB 166/11; 7.2.18, VII ZB 28/17; 25.10.22, VIII ZB 58/21).
Grundlage der Entscheidung ist demgemäß lediglich eine summarische Prüfung, bei der das Gericht grundsätzlich davon absehen kann, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verteilung der Kosten alle für den hypothetischen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu klären (BGH 18.4.13, III ZR 156/12; 17.7.06, II ZR 163/03; 23.10.13, V ZB 166/11; 7.2.18, VII ZB 28/17; 19.9.23, VIII ZB 44/22).
Folge dieser Sichtweise ist es, dass bei Anlegung des dargestellten Prüfungsmaßstabs im Hinblick auf den Räumungs- und Herausgabeanspruch die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben sind. Der BGH sieht sich deshalb nicht veranlasst, die Rechtsfrage zu klären, ob ein Nachzahlungsbetrag aus einer Betriebskostenabrechnung bei der Berechnung des Zahlungsrückstands im Sinne des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB zu berücksichtigen ist. Tatsächlich ist diese Frage umstritten:
BGH schafft keine Rechtssicherheit Merke | Der BGH will sich hier nicht positionieren, obwohl dies natürlich für die Praxis in solch existenziellen Fragen wichtig wäre. Es ist bedauerlich, dass der BGH solche Möglichkeiten nicht nutzt, frühzeitig Rechtssicherheit zu schaffen. |
- Die ganz überwiegende Auffassung verneint diese Frage (OLG Koblenz NJW 84, 2369 [noch zu § 554 BGB a. F.]; LG Berlin 20.2.15, 63 S 202/14 und 24.11.15, 63 S 158/15; LG Dessau-Roßlau ZMR 17, 481; MüKo/Bieber, BGB, 9. Aufl., § 543 Rn. 46; Staudinger/V. Emmerich, Neubearb. 2021, § 543 BGB Rn. 68; BeckOGK-BGB/Mehle, Stand: 1.4.24, § 543 Rn. 160; Siegmund: in Blank/Börstinghaus/Siegmund, Miete, 7. Aufl., § 543 BGB Rn. 97; Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 16. Aufl., § 543 BGB Rn. 165; Grüneberg/Weidenkaff, 83. Aufl., § 543 BGB Rn. 23; BeckOK-BGB/Wiederhold, Stand: 1.5.24, § 543 Rn. 35; Erman/Lützenkirchen/Selk, BGB, 17. Aufl., § 543 Rn. 23; Börstinghaus, WuM 17, 254, 256; Lehmann-Richter, ZMR 17, 372, 375; Meyer-Abich, NZM 23, 61, 72; Schwab, NZM 19, 36, 40 f.; zum kombinierten Rückstand von Miete und Betriebskostennachzahlung ausdrücklich Hinz, WuM 19, 673, 679 f.; Schmidt-Futterer/Streyl, a. a. O. Rn. 45; Siegmund in: Blank/Börstinghaus/Siegmund, a. a. O. Rn. 26;
- Anderer Ansicht ist das OLG Frankfurt am Main (NJW-RR 89, 973 [zu § 554 BGB a. F.]), während Lützenkirchen (Mietrecht, 3. Aufl., § 543 BGB Rn. 218a) zweifelt, ob dies nicht zu berücksichtigen ist.
Bleibt diese Frage mithin offen, ist – da der geltend gemachte Mietrückstand für sich genommen die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB nicht erfüllte – ungewiss, welchen Ausgang das Verfahren im Hinblick auf den mit der Revision weiterverfolgten Räumungs- und Herausgabeantrag genommen hätte. Denn die Kläger haben ihre fristlose Kündigung vom 28.4.20 auch auf den o. g. Nachzahlungsbetrag aus einer Betriebskostenabrechnung gestützt und darauf, dass das Bestehen dieses Anspruchs bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht ausgeschlossen ist.
Mangels anderer Verteilungskriterien sind die auf den Räumungs- und Herausgabeantrag bezogenen Kosten daher gegeneinander aufzuheben.
Relevanz für die Praxis
Für das Forderungsmanagement bleibt die weiter offene Streitfrage unbefriedigend. Die Möglichkeit der fristlosen Kündigung wegen Zahlungsrückständen aus dem Mietverhältnis ist immer auch ein – zulässiges – Mittel, um einem Zahlungsverlangen Nachdruck zu verleihen.
Beachten Sie | Das ist besonders bei den Betriebskosten wichtig, weil es sich für den Vermieter regelmäßig um Echtkosten handelt, die auch er hat entrichten müssen und nun nicht erstattet bekommt.
Da die überwiegende Auffassung in der Literatur die Berücksichtigung der rückständigen Betriebskosten bei der Berechnung der kündigungsrelevanten Miete nicht berücksichtigen will, können der Gläubiger und seine Bevollmächtigten allerdings auf die gespaltene obergerichtliche Rechtsprechung verweisen und zumindest die Gefahr der fristlosen Kündigung in den Raum stellen.
AUSGABE: FMP 5/2025, S. 84 · ID: 50387372