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Geschlechtliche IdentitätGelebte Geschlechtsidentität ist für die Registrierung als Flüchtling maßgeblich
| Der EuGH hat sich damit beschäftigt, ob und unter welchen Voraussetzungen die Eintragung der geschlechtlichen Identität eines Flüchtlings aufgrund der DSGVO von einem Mitgliedstaat korrigiert werden muss. |
Sachverhalt
2014 erhielt eine Iranerin in Ungarn einen Flüchtlingsstatus. Sie wurde als weiblich geboren, wies allerdings bei ihrer Einreise durch ärztliche Atteste nach, nun dem männlichen Geschlecht anzugehören. Eine Änderung der Geschlechtsidentität im Iran erfolgte nicht. Die ungarische Behörde registrierte sie als Frau. Sie beantragte erfolglos, die Geschlechtsangabe auf „männlich“ zu berichtigen und ihren Vornamen gem. Art. 16 DSGVO zu ändern. Auf ihre dagegen erhobene Klage wandte sich das ungarische Gericht an den EuGH, um zu klären, ob dafür eine geschlechtsangleichende Operation notwendig ist (EuGH 13.3.25, C-247/23, Abruf-Nr. 247463).
Entscheidungsgründe
Der EuGH hat eine Pflicht zur Berichtigung angeordnet und herausgestellt, dass zum Nachweis einer neuen Geschlechtsidentität keine Geschlechtsangleichung gefordert werden kann. Maßgeblich für die Entscheidung war die europarechtliche Auslegung der DSGVO: Dasjenige, was als Daten i. S. v. Art. 16 DSGVO gespeichert und verwendet werden kann, wird durch das in Art. 8 Abs. 2 S. 2 der Charta verankerte Recht näher bestimmt, wonach jede Person das Recht hat, Auskunft über die sie betreffenden Daten zu erhalten und eine Berichtigung zu erwirken, wenn diese falsch sind. Zur Konkretisierung ist auf Art. 5 Abs. 1d DSGVO abzustellen, wonach die Daten sachlich richtig und erforderlichenfalls auf dem neuesten Stand sein müssen.
Nach § 81c Asylgesetz Ungarn dienen diese Daten dazu, die betroffene Person zu identifizieren. Die zu registrierenden Angaben müssen sich auf die von der Person gelebte Geschlechtsidentität beziehen und nicht auf die ihr bei der Geburt zugewiesene. Es kommt daher auf den Zeitpunkt der Eintragung in Form der Verwendung dieser Daten in das Flüchtlingsregister an, nicht jedoch auf die bei der Geburt zugewiesene Geschlechtsidentität. Danach war die antragstellende Person ein Mann und hätte insoweit als männlich registriert werden müssen. Soweit die ungarischen Behörden eine von Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 DSGVO abweichende Auffassung vertreten, ist das europarechtswidrig und verstößt gegen das in Art. 8 Abs. 2 der Charta und Art. 16 DSGVO konkretisierte Recht auf Berichtigung einer falschen Eintragung. Allenfalls möglich sind innerstaatliche Gesetzgebungsmaßnahmen, um personenbezogene Daten abweichend von ihrer glaubhaft gemachten Richtigkeit zu erfassen. Dafür müsste eine solche gesetzliche Regelung jedoch i. S. d. allgemeinen öffentlichen Interesses begründet sein. Derartige Gründe waren hier nicht erkennbar.
Auch ohne ein besonderes gesetzliches Verfahren zur Anerkennung geschlechtlicher Transidentität besteht ein unionsrechtlicher Anspruch darauf, dass falsche Daten zu berichtigen sind. Behördliche Anordnungen oder Forderungen, die das verhindern oder unverhältnismäßig erschweren, sind unionsrechtswidrig (Rn. 37 unter Hinweis auf die Mirin-Entscheidung des EuGH, dazu Oldenburger FK 25, 47). Der Anspruch auf Berichtigung erfordert zwar Dokumente zum Nachweis der Datenunrichtigkeit. Das bezieht sich aber keinesfalls auf Forderungen, eine Geschlechtsangleichung durchzuführen bzw. diese nachzuweisen. Die Geschlechtsidentität ist ein Grundrecht gem. Art. 8 EMRK und Art. 7 der Charta. Ihre Anerkennung kann nicht von ärztlichen Eingriffen abhängen.
Relevanz für die Praxis
Diese Entscheidung konkretisiert die unionsrechtliche Vorgabe, wie mit wandelbaren geschlechtlichen Identitäten umzugehen ist, größtenteils i. S. d. in Deutschland seit November 24 geltenden Umsetzung in Form des SBGG.
Ob ein Mitgliedstaat überhaupt die subjektive Neubestimmung der Geschlechtsidentität gesetzlich beschränken kann, lässt der EuGH offen. Einschränkungen dürften aber wohl nur durch geeignete Gesetzgebungsmaßnahmen gem. Art. 23 DSGVO akzeptiert werden. Geschlechtsangleichende Operationen dürfen aber in keinem Fall als Nachweis gefordert werden (siehe für entsprechende Regelungen im TSG BVerfG NJW 11, 909; 82, 2061).
Der Zweck des Flüchtlingsregisters (wie das AZR in Deutschland) ist, Personen zum Registrierungszeitpunkt zu identifizieren. Das deutsche IPR sieht insoweit in Art. 7a EGBGB vor, dafür das Heimatrecht der Person anzuwenden, solange noch kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet wurde. Es wird aber vertreten, dass das unionsrechtliche Anerkennungsprinzip insoweit für unionsinterne Sachverhalte dessen Anknüpfungsregeln überlagert (Anm. Rieländer zu EuGH 4.10.24, C-4/23, NZFam 25, 46).
Das deutsche AZR sieht in § 3 vor, dass Status und Geschlecht aus amtlichen Dokumenten hervorgehen müssen. Ohne nachweisbare Änderung des Geschlechts ist eine abweichende Registrierung nicht möglich, die Person wäre auf ein Verfahren gem. § 2 SBGG zu verweisen. Anders als in Ungarn liegt insoweit jedoch eine gesetzliche Regelung vor.
Merke | Mitgliedstaaten werden durch diese Entscheidung angehalten, nationale Regelungen über Voraussetzungen und Verfahren zur Änderung der geschlechtlichen Identität einzurichten. Geschlechtsangleichende Operationen dürfen sie jedoch keinesfalls fordern. Entspricht das jeweilige Recht diesen unionsrechtlichen Anforderungen nicht, müssen aktuell belegbare Personendaten (Geschlecht, Vorname) beachtet und registriert werden. Diese Daten im Flüchtlingsregister entsprechen dann nicht mehr jenen des Heimatstaates, die u. a. im (mitgeführten) Ausweis dokumentiert sind. |
AUSGABE: FK 7/2025, S. 117 · ID: 50366307