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KindesunterhaltWechselmodell: So wird das Kind richtig vertreten

Abo-Inhalt13.08.20241313 Min. LesedauerVon RiOLG Paul Wesseler, Hamm

| Im Fall des Wechselmodells sind nicht (mehr) verheiratete Elternteile hinsichtlich des gegen den jeweils anderen Elternteil gerichteten Unterhaltsteilanspruchs vertretungsbefugt. Das hat der BGH entschieden. |

Sachverhalt

Die nicht miteinander verheirateten und gemeinsam sorgeberechtigten V und M streiten um Unterhalt für ihre beiden Kinder K (Antragsteller). Den Umgang regelten sie wie folgt: Die Betreuung an den Wochenenden und in den Schulferien wird hälftig geteilt. Im Übrigen sollten die K an sieben Tagen im Monat (jeweils beginnend mit dem Vorabend ab 18 Uhr) von M betreut werden. Sonst sollten sie bei V leben. V hat im Namen der K beantragt, M zu verpflichten, laufenden und rückständigen Unterhalt zu zahlen sowie der Auszahlung des hälftigen Kindergelds an ihn für die Zeit von Juni bis Oktober  22 zuzustimmen. Das AG hat die Anträge mangels Vertretungsbefugnis des V als unzulässig verworfen. Das OLG hat die Beschwerde des V zurückgewiesen. Der BGH hat den Beschluss des OLG aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen (BGH 10.4.24, XII ZB 459/23, Abruf-Nr. 241808).

Entscheidungsgründe

M ist befugt, die antragstellenden K zu vertreten. Es kommt nicht darauf an, ob die K sich in der Obhut von V befinden oder im Wechselmodell betreut werden.

Grundsätzlich vertreten die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern das Kind nach § 1629 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB gemeinschaftlich.

Von diesem Grundsatz gibt es folgende Ausnahmen:

  • Gem. § 1629 Abs. 1 S. 3 BGB vertritt ein Elternteil das Kind allein, soweit er die elterliche Sorge allein ausübt oder ihm die Entscheidung nach § 1628 BGB übertragen ist.
  • Gem. § 1629 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB können der Vater und die Mutter das Kind insoweit nicht vertreten, als nach § 1824 BGB (bis 31.12.22: § 1795 BGB a. F.) ein Betreuer von der Vertretung des Betreuten ausgeschlossen ist.
  • Steht die elterliche Sorge für ein Kind den Eltern gemeinsam zu, kann der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen.

Gem. § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB i. V. m. § 1824 Abs. 1 Nr. 3 BGB (einem Rechtsstreit zwischen dem Ehegatten oder einem Verwandten des Betreuers in gerader Linie und dem Betreuten) besteht ein Vertretungsausschluss bei einem Rechtsstreit zwischen dem Kind und dem Ehegatten des Elternteils.

Ausschlussgrund bei einem Elternteil bedeutet nicht Ausschluss des anderen

Anderes gilt jedoch bei nicht miteinander verheirateten, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern. Der BGH hat die Rechtsprechung aufgegeben, wonach ein Elternteil auch von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen war, wenn er mit dem anderen Elternteil nicht (mehr) verheiratet, aber gemeinsam sorgeberechtigt war und die Eltern dementsprechend zur Gesamtvertretung befugt waren (24.3.21, FamRZ 21, 1127). Er hat in dieser Entscheidung Folgendes klargestellt: Der bei einem Elternteil verwirklichte Ausschlussgrund schließt nicht zugleich auch den anderen Elternteil aus. Vielmehr bleibt dieser vertretungsbefugt und kann das Kind alleine vertreten.

Dass das Gesetz in anderem Zusammenhang (§§ 1678, 1680 BGB) die alleinige Sorge des einen Elternteils hervorhebt, wenn ein Elternteil verhindert oder verstorben ist, führt nicht zu dem Umkehrschluss, dass der vom Ausschlussgrund nicht betroffene Elternteil das Kind ebenfalls nicht vertreten kann (so aber: BeckOK BGB/Veit § 1629 Rn. 37.2 m. w. N., Stand: 1.1.23). Vielmehr kommt eine aus § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB hergeleitete zusammenfassende Betrachtung der Eltern im Hinblick auf den nur in Person eines Elternteils gegebenen Ausschlussgrund schon deswegen nicht in Betracht, weil das Gleichberechtigungsgesetz vom 18.6.57 (BGBl. I, 609), auf das die heutige Fassung des § 1629 BGB zurückgeht, keine Gesamtvertretung durch die Eltern vorsah (BGH 24.3.21, FamRZ 21, 1127). Da das Gleichberechtigungsgesetz zudem insoweit wegen Verfassungswidrigkeit nichtig war, lassen sich aus dem von ihm vorgesehenen – seinerzeit noch generellen – Ausschluss der Mutter von der Vertretung des Kindes weder systematische noch teleologische Gründe für einen „automatischen“ Ausschluss des nicht vom Ausschlussgrund betroffenen Elternteils von der elterlichen Vertretungsbefugnis nach heutiger Gesetzeslage herleiten.

Die Alleinvertretung durch den nicht von der Vertretung ausgeschlossenen Elternteil folgt zwingend daraus, dass es mangels eines gesetzlichen Vertretungsausschlusses insoweit bei der vom Gesetz begründeten – und von Art. 6 Abs. 2 GG grundrechtlich gewährleisteten – elterlichen Vertretungsbefugnis verbleibt. Ist daneben kein anderer (gesamt-)vertretungsberechtigter Elternteil vorhanden, kann es sich nur um eine Alleinvertretungsbefugnis handeln.

Neue Rechtsprechung ist auch auf Kindesunterhaltsverfahren anzuwenden

Die neuere Rechtsprechung des Senats ist auch auf die Vertretung des minderjährigen Kindes im Verfahren auf Kindesunterhalt zu übertragen. Der Ausschluss eines Elternteils von der gesetzlichen Vertretung des Kindes wegen Insichprozesses erstreckt sich mithin nicht auf den anderen, vom Ausschlussgrund selbst nicht betroffenen Elternteil. Für die Vertretung, um Unterhaltsansprüche geltend zu machen, ist indessen die davon abweichende Regelung in § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB zu beachten. Diese weist die alleinige Vertretungsbefugnis insoweit dem Elternteil zu, in dessen Obhut sich das Kind befindet. Dass es sich hierbei um eine verdrängende Zuweisung handelt, der andere Elternteil also neben dem Obhutselternteil nicht zugleich ebenfalls vertretungsbefugt ist, wird aus der Gesetzesentwicklung und dem mit der Regelung verfolgten Zweck hinreichend deutlich.

Schon mit dem Gleichberechtigungsgesetz wurde eine Regelung in § 1629 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BGB eingeführt, die für Unterhaltsansprüche eine Ausnahme vom Vertretungsausschluss von Vater und Mutter vorsah. Diese Vertretungsbefugnis betraf aber mangels gemeinsamer Vertretungsbefugnis der Eltern hinsichtlich der Mutter nur den Fall, dass das Gericht ihr zuvor die alleinige Personensorge übertragen hatte. Diese Regelung wurde durch das 1. Eherechtsreformgesetz vom 14.6.76 (BGBl I, 1421) dahin gehend geändert, dass die Vertretungsbefugnis für Unterhaltsansprüche nicht generell beiden Eltern zustehen sollte, sondern dem Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet. Der Gesetzgeber ging von einer gleichzeitig bestehenden Vertretungsbefugnis beider Eltern aus. Der Begriff „Obhut“ sollte klarstellen, welcher Elternteil den Kindesunterhalt geltend machen kann (BT-Drucks. 7/650, 175).

In der Entwurfsbegründung war zwar nicht berücksichtigt, dass jedenfalls für die gerichtliche Geltendmachung des Unterhalts eine gleichzeitige Vertretungsbefugnis beider Eltern für denselben Unterhaltsanspruch von vornherein nicht bestehen konnte. Der tatsächlichen Obhut ist aber dessen ungeachtet ausdrücklich die gleiche Legitimationswirkung wie der gerichtlichen Sorgerechtsübertragung zugemessen worden (BT-Drucks. 7/650, 175; BeckOK BGB/Veit [Stand 1.1.23] § 1629 Rn. 79). Den Gesetzesmotiven ist damit hinreichend deutlich zu entnehmen, dass wie bei einer gerichtlichen Sorgerechtsübertragung auch aus dem Begriff der Obhut eines Elternteils dessen alleinige Vertretungsbefugnis bezüglich des Kindesunterhalts folgt.

Kindesunterhalt beim Wechselmodell: Beide Eltern haben Vertretungsmacht

Im Ergebnis besteht somit bei der alleinigen Obhut eines Elternteils auch dessen alleinige Vertretungsbefugnis für den Kindesunterhalt. Fehlt es dagegen, vor allem im Fall eines von den Eltern praktizierten Wechselmodells, an der alleinigen Obhut eines Elternteils, steht die Vertretungsmacht folglich beiden (nicht miteinander verheirateten) Eltern zu. Jeder Elternteil kann in diesem Fall den Unterhaltsanspruch des Kindes, soweit dieser nach § 1606 BGB gegen den anderen Elternteil gerichtet ist, als gesetzlicher Vertreter des Kindes geltend machen. Es ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Senats weder die Bestellung eines Ergänzungspflegers noch die teilweise Übertragung des Sorgerechts nach § 1628 BGB erforderlich.

Wenn dabei die Konstellation entsteht, dass das Kind als Antragsteller – jeweils vertreten durch einen Elternteil – Unterhaltsansprüche gegen beide Eltern geltend macht, ist dies unbedenklich zulässig. Denn es handelt sich bei den gegen die Eltern als Teilschuldner (§ 1606 BGB) gerichteten Unterhaltsansprüchen um verschiedene Verfahrensgegenstände. Die gleichzeitige Geltendmachung des Unterhalts gegen die Eltern in einem Verfahren ist insoweit einem Antrag des volljährigen Kindes gegen die Eltern als einfache Streitgenossen vergleichbar und erscheint auch als verfahrensökonomisch, um abschließend den gesamten Unterhalt in einem Verfahren zu klären (BGH FamRZ 98, 361; vgl. auch „Ein faires Unterhaltsrecht für Trennungsfamilien: Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz zur Modernisierung des Unterhaltsrechts“ in der Fassung vom 24.8.23, veröffentlicht auf iww.de/s11222, S. 3, 7).

Etwaige Interessenwiderstreite zwischen dem jeweils vertretenden Elternteil und dem Kind im Hinblick auf die anteilige Unterhaltspflicht des vertretenden Elternteils wie auch dessen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt unterscheiden sich nicht wesentlich von der Alleinvertretung durch einen Elternteil und wird vom Gesetz hingenommen. Im Einzelfall kann die Vertretungsbefugnis entzogen werden, § 1629 Abs. 2 S. 3 Hs. 1 i. V. m. § 1789 Abs. 2 S. 3 und 4 BGB.

Relevanz für die Praxis

Diese Entscheidung des BGH ist wegweisend bezüglich der Geltendmachung von Kindesunterhalt minderjähriger Kinder, die im Wechselmodell betreut werden. Bisher fehlte im Fall eines Wechselmodells demjenigen Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält, die Vertretungsbefugnis gem. § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB. Der Elternteil musste

  • entweder einen Pfleger für das Kind für das Verfahren bestellen lassen oder
  • beantragen, ihm gem. § 1628 BGB die Entscheidung, Kindesunterhalt geltend zu machen, allein zu übertragen (OLG Frankfurt 12.7.16, 6 UF 60/16; BGH FamRZ 14, 917 Rn. 16).

Im Rahmen eines Wechselmodells gilt: Das Kind kann als Antragsteller, jeweils gesetzlich vertreten durch einen Elternteil, Unterhaltsansprüche gegen beide – nicht miteinander verheiratete – Eltern geltend machen.

Eckpunkte des BMJ, um das Kindesunterhaltsrecht zu modernisieren

Auch das Eckpunktepapier bezeichnet es als unbefriedigend, dass zur Geltendmachung im symmetrischen Wechselmodell eine dem Unterhaltsverfahren vorausgehende sorgerechtliche Entscheidung erforderlich ist (S. 3). Daher ist eine gesetzliche Alleinvertretung durch jeden Elternteil im Wechselmodell beabsichtigt (S. 7), in dem § 1629 Abs. 2 und 3 BGB geändert werden sollen. Der BGH hat nun im Vorgriff mit seiner Entscheidung diesen unbefriedigenden Zustand – jedenfalls bei nicht miteinander verheirateten, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern – behoben.

Kurswechsel schon früher beim Vaterschaftsanfechtungsverfahren

Angekündigt hatte sich dieser Kurswechsel des BGH bereits in seiner Entscheidung vom 24.3.21 (FamRZ 21, 1127) zur Vertretung des Kindes im Vaterschaftsanfechtungsverfahren. In dieser Entscheidung hatte der BGH folgenden Grundsatz aufgestellt: Aufgrund der gemeinsamen elterlichen Sorge sind die Eltern nach § 1629 Abs. 1 BGB gesetzliche Vertreter des Kindes. Da das Anfechtungsrecht aber darauf gerichtet ist, die rechtliche Vaterstellung zu beseitigen, ist der rechtliche Vater von der gesetzlichen Vertretung des Kindes ausgeschlossen. Nach gefestigter Rechtsprechung (BGH FamRZ 12, 859 Rn. 15 ff.) gilt der Vertretungsausschluss nach § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB i. V. m. § 1824 Abs. 1 Nr. 3 BGB n. F. [bis 31.12.22: § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB a. F.] auch für die mit dem rechtlichen Vater verheiratete Kindesmutter. Der BGH hat erstmals hergeleitet, dass bei nicht verheirateten, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern der bei einem Elternteil verwirklichte Ausschlussgrund nicht zugleich auch zum Ausschluss des anderen, vom Ausschlussgrund nicht betroffenen Elternteils führt. Folge: Die nicht (mehr) mit dem rechtlichen Vater verheiratete Mutter, die nicht vom gesetzlichen Sorgerechtsausschluss betroffen ist, kann im Vaterschaftsanfechtungsverfahren das Kind allein vertreten.

AUSGABE: FK 9/2024, S. 151 · ID: 50082914

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