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KindeswohlgefährdungEinholen eines Sachverständigengutachtens ist erforderlich
. 229002
| Die Beurteilung, ob die Rückführung eines kurz nach der Geburt in Obhut genommenen Kindes zu seinen Herkunftseltern zu einer Kindeswohlgefährdung führt, bedarf i. d. R. eines psychologischen Gutachtens. Dies gilt insbesondere, wenn sich ein Jugendamt und der Verfahrensbeistand des Kindes gegen eine Rückführung aussprechen (OLG Frankfurt a. M. 3.3.22, 6 UF 225/21, Abruf-Nr. 229002). |
Die 2020 geborene T ist die Tochter der nicht miteinander verheirateten Eltern, die über das gemeinsame Sorgerecht verfügten. Die T war wenige Tage nach der Geburt gegen den Willen der Eltern in Obhut genommen worden und lebte seitdem bei Pflegeeltern. Diese begehrten im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens, dass das Gericht den dauerhaften Verbleib der T bei ihnen anordnet. Das für den Aufenthaltsort der Eltern zuständige Jugendamt (JA) setzte sich – anders als das am Verfahren beteiligte und für den Aufenthaltsort der T zuständige JA – für eine Rückführung zu den Eltern ein; vorbereitend sollten intensivierte Umgänge stattfinden. Der Verfahrensbeistand (VB) der T lehnte die Rückführung ab. Das AG sah keine Kindeswohlgefährdung im Fall der Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Herkunftseltern. Es erließ die beantragte Verbleibensanordnung nicht. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Pflegeeltern und des vormaligen Amtspflegers führten zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens.
Die Entscheidung über die Folgen der Trennung des Kindes von seiner sozialen Familie kann i. d. R. nur mithilfe eines psychologischen Sachverständigengutachtens entschieden werden. Das Gericht muss insbesondere umfassend aufklären, ob und wenn ja, in welchem Umfang das Kind Bindungen zu seinen Pflegepersonen und deren Umfeld aufgebaut hat und durch einen Abbruch dieser Bindungen in seinem Wohl gefährdet werden würde, um die Wahrscheinlichkeit einer Kindeswohlgefährdung beurteilen zu können. Diesbezüglich darf sich das AG nicht allein auf die Angaben des nicht am Verfahren beteiligten JA am Wohnort der Eltern stützen. In diesem Fall war zu beachten, dass die T besonders sensibel auf Stresssituationen reagierte, die z. T. auch pathologische Reaktionen bewirkten.
Praxistipp | Das Gericht kann die Verbleibensanordnung mit einer Umgangsregelung versehen (BayObLG NJW 84, 2168, 2169). Denn das Ziel, das Kind in den Haushalt der Eltern (zurück) zu führen, darf mit Rücksicht auf das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht aufgegeben werden. Deshalb ist mit einer Umgangsregelung sicherzustellen, dass das Kind schrittweise an die Herkunftsfamilie herangeführt werden kann (BVerfG FamRZ 04, 771; OLG Brandenburg 19.5.08, 10 UF 94/07). Gerade zu dem Zweck, ein Kind schrittweise an seine Herkunftsfamilie heranzuführen, ist der Erlass einer Umgangsregelung begleitend zur Verbleibensanordnung häufig sogar geboten (BVerfG FamRZ 04, 771). Neben den Grundrechten der Eltern (Art. 6 GG) ist auch die Grundrechtsposition des Kindes (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) zu beachten (BVerfG, a. a. O.). (GM) |
AUSGABE: FK 9/2024, S. 146 · ID: 48286129