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BetreuungsrechtMuss die Beschwerdekammer eine Anhörung vornehmen oder reicht ein Kammermitglied aus?

Abo-Inhalt18.03.202420 Min. LesedauerVon RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen

| Es kann gar nicht deutlich genug betont werden, welch hohen Stellenwert eine Anhörung im Betreuungsverfahren hat. Der BGH hat diesbezüglich darüber entschieden, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die Anhörung des Betroffenen auf ein Mitglied der Beschwerdekammer übertragen werden darf. Der Beitrag erläutert, wie Sie reagieren müssen, wenn die Anhörung zu Unrecht nur durch ein Kammermitglied erfolgt. |

Sachverhalt

Die Betroffene B wendet sich wie auch ihre Tochter T dagegen, dass eine Betreuung eingerichtet und eine Berufsbetreuerin Bt bestellt worden ist. Zwar hatte die B der T eine Vorsorgevollmacht ausgefertigt, die für den Fall, dass eine gerichtliche Betreuung erforderlich würde, auch eine Betreuungsverfügung für die T enthielt. Diese Vollmacht war aber von der im einstweiligen Verfügungsverfahren bereits bestellten Bt widerrufen worden, nachdem die Betreuung ausdrücklich um die entsprechenden Befugnisse erweitert worden war. Im Hauptsacheverfahren wurde die Bt mit einem umfassenden Aufgabenkreis bestätigt, nachdem ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt und eine Verfahrenspflegerin bestellt worden war. Auf die dagegen gerichteten Beschwerden wurde zwar veranlasst, dass die B angehört wurde. Es wurde aber keine Abhilfe geschaffen. Das LG hat daraufhin durch die beauftragte Richterin der Kammer die B erneut angehört. Anschließend wurde ein Sachverständigengutachten zu den Voraussetzungen und dem Umfang einer Betreuung eingeholt. Im Ergebnis wurde unter Abweisung der Beschwerden im Übrigen eine neue Berufsbetreuerin bestellt. Hiergegen wenden sich erfolgreich die Rechtsbeschwerden (BGH 1.3.23, XII ZB 285/22, Abruf-Nr. 235456).

Entscheidungsgründe

Das LG durfte nach Eingang des im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten nicht davon absehen, die B persönlich anzuhören. Die B hat einen Anspruch auf rechtliches Gehör, das durch eine Anhörung gewährleistet wird. Durch die Anhörung wird zudem sichergestellt, dass sich das Gericht vor der Entscheidung einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft. Hierdurch wird das Gericht in die Lage versetzt, das eingeholte Sachverständigengutachten in Bezug auf den Betroffenen zu würdigen.

Die Entscheidung ist zudem rechtsfehlerhaft ergangen, da die B nur durch ein beauftragtes Mitglied der Beschwerdekammer angehört worden ist. Zwar muss die Beschwerdekammer im Rahmen der ihr obliegenden Amtsermittlung darüber befinden, ob es für ihre Entscheidung wegen der Besonderheiten des Falls darauf ankommt, ob sich die gesamte Kammer einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschafft. Das Ergebnis einer solchen Prüfung kann sein, dass auch eine vom beauftragten Richter durchgeführte Anhörung eine ausreichende Grundlage für die zu treffende Entscheidung ist. Im Fall einer Anhörung durch den beauftragten Richter darf aber die Kammer nur deren objektiven Ertrag verwerten. Vorliegend hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft den persönlichen Eindruck der beauftragten Richterin seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es hätte daher zwingend eines persönlichen Eindrucks aller Kammermitglieder bedurft.

Schließlich hat das Beschwerdegericht auch nicht frei von Rechtsfehlern dargelegt, dass die T ungeeignet ist, die Betreuung zu führen. Ein Kind des Betroffenen ist bei der Betreuerauswahl besonders zu berücksichtigen, wenn

  • eine Bindung zum Betroffenen besteht und
  • ein entsprechender Betreuervorschlag durch diesen gemacht wurde.

Davon darf nur abgewichen werden, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten entgegenstehen, das Kind zum Betreuer zu bestellen. Dies bedarf tatrichterlicher Feststellungen. Wenn der Tatrichter in seiner Entscheidung ausdrücklich bezweifelt, dass das benannte Kind zum Betreueramt geeignet oder es gegenüber dem Elternteil redlich ist, und sich hierbei auf Mitteilungen Dritter berufen will, muss zuvor das als Betreuer vorgeschlagene Kind zu den von Dritten mitgeteilten Tatsachen angehört werden. Eine solche Gelegenheit zur Stellungnahme ist der T vorliegend nicht eingeräumt worden.

Relevanz für die Praxis

Die Anhörung des Betroffenen garantiert verfahrensrechtlich das Grundrecht auf rechtliches Gehör. Sie ist damit ein ganz zentrales Element des Betreuungsverfahrens. Der Gesetzgeber hat daher auch für die Beschwerdeinstanz enge Grenzen dafür gezogen, unter welchen Voraussetzungen auf eine Anhörung verzichtet werden kann. Das Beschwerdegericht kann von einer erneuten Anhörung nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

Werden neue Tatsachen bekannt, wie etwa ein Sachverständigengutachten, muss ggf. erneut angehört werden. Das Gericht soll sich zudem einen eigenen Eindruck vom Betroffenen machen können.

Nach diesen Maßstäben muss es auch bewertet werden, die Anhörung durch die Beschwerdekammer auf ein einzelnes Mitglied zu übertragen (BGH 22.3.17, XII ZB 358/16, FamRZ 17, 996). Danach darf eine Übertragung auf ein einzelnes Kammermitglied nur erfolgen, wenn ein persönlicher Eindruck der erkennenden Richter für die Entscheidungsfindung nicht erforderlich ist. Ein persönlicher Eindruck kann insbesondere entbehrlich sein, wenn ein Betroffener nicht dazu in der Lage ist, seinen Willen und seine Wünsche zu artikulieren. Der einzig durch den beauftragten Richter gewonnene persönliche Eindruck kann dagegen nicht herangezogen werden, um die Beschwerdeentscheidung zu begründen.

Erfolgt die Anhörung danach zu Unrecht nur durch ein Kammermitglied, sollte der Anwalt des Betroffenen gegen die Entscheidung eine Rechtsbeschwerde erheben.

AUSGABE: FK 4/2024, S. 62 · ID: 49493240

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