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Persönlichkeitsrecht96 Stunden ans Bett gefesselt, aber nicht durch Krankheit! – Verfassungsbeschwerde erfolgreich
| Falls Sicherungsverwahrte zur medizinischen Versorgung temporär in ein Krankenhaus verlegt werden müssen, stellt sich regelmäßig die Frage, in welchem Umfang Sicherungsvorkehrungen zu treffen sind. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen Beschluss gefasst: Die Fesselung eines Sicherungsverwahrten über 96 Stunden an das Krankenbett verstößt gegen dessen Grundrechte (BVerfG, Beschluss vom 19.01.2023, Az. 2 BvR 1719/21). Zwar ist für die Fesselung von Sicherungsverwahrten die Justizvollzugsanstalt (JVA) verantwortlich, dennoch enthält das Urteil praktische Hinweise, die auch für Krankenhäuser relevant sind. |
Hintergrund: Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB
Die Sicherungsverwahrung wird nach § 66 Strafgesetzbuch (StGB) zusätzlich zu einer Strafe angeordnet, wenn von Schwerstkriminellen eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Im Jahre 2022 gab es etwa in Baden-Württemberg 64 Sicherungsverwahrte. In 43 von diesen Fällen wurde die Sicherungsverwahrung wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und in fünf Fällen wegen Tötungsdelikten angeordnet.
Sicherungsverwahrter wird 96 Stunden ans Bett gefesselt ...
Ein Sicherungsverwahrter musste von einer JVA in ein Krankenhaus für eine OP verlegt werden. Die Fahrt ins Krankenhaus erfolgte mit einer Handfesselung in einem vollvergitterten Transporter. Auch bei der Voruntersuchung legte man dem Sicherungsverwahrten Handfesseln an. Bei der Fahrt im eigenen Bett in den OP-Vorraum war er zunächst mit dem Fuß an sein Bett gefesselt und später wurden ihm wieder Handfesseln angelegt. Die Handfesseln wurden ihm erst während der Vollnarkose entfernt. Nachdem der Patient aufgewacht war, wurden ihm wieder Handfesseln angelegt. Er wurde dann weitere drei Tage mit einer Fußfessel an sein Bett gefesselt. Nur während der Spaziergänge tauschte man die Fußfessel gegen eine Handfessel aus.
... und beschwert sich letztlich mit Erfolg!
Gegen diese Fesselung beschwerte sich der Sicherungsverwahrte beim zuständigen Landgericht (LG) Arnsberg. Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde zurückgewiesen. Das LG verwies auf die Regelungen des § 69 Abs. 9 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) des Landes Nordrhein-Westfalen i. V. m. § 69 44195207. Demnach sei eine Fesselung bei Untergebrachten grundsätzlich zulässig, ohne dass Anzeichen für eine konkrete Entweichungsgefahr des Untergebrachten vorliegen müssen. Das LG verwies darauf, dass keine Erfahrungswerte mit dem Verhalten des Sicherungsverwahrten bei Transporten vorlagen und die Sicherungsverwahrung mit unbestimmter Dauer einen besonderen Fluchtanreiz biete.
Gegen den ablehnenden Beschluss des LG erhob der Sicherungsverwahrte Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht (OLG) Hamm. Das OLG erkannte kein ermessensfehlerhaftes Handeln der JVA und wies die Beschwerde daher zurück. Dagegen erhob der Sicherungsverwahrte Verfassungsbeschwerde zum BVerfG. Das BVerfG half der Verfassungsbeschwerde ab. Es hob die Beschlüsse der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung ans LG Arnsberg zurück.
Die Begründung des BVerfG
Das BVerfG war der Auffassung, dass das LG das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht hinreichend berücksichtigt habe. Zudem monierten die Karlsruher Richter, dass sich das LG nicht mit der Dauer der Fesselungsanordnung befasst habe. Es sei nicht ersichtlich, dass das LG den verschärften Prüfungsmaßstab beachtet habe, der bei längeren Sicherungsmaßnahmen gelte. Eine 96-stündige Fesselung sei in diesem Fall unverhältnismäßig und verfassungsrechtlich unzulässig. Das ergebe sich schon aus der einfachgesetzlichen Regelung des § 70 Abs. 6 S. 1 StVollzG NRW, der bei einer mehr als drei Tage andauernden Fesselung eine Meldung an die Aufsichtsbehörde vorschreibe.
Ferner hätte es nahegelegen, die Fesselungsanordnung teilweise auszusetzen und die Entweichungsgefahr durch Hinzuziehung weiterer Vollzugsbeamter zu minimieren. Das bisherige beanstandungsfreie Verhalten in der Sicherungsverwahrung hätte ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Auch die gesundheitlichen Einschränkungen, die eine Flucht erschweren, hätten in die Abwägung miteingestellt werden müssen. Ferner wurde der Sicherungsverwahrte vor dem Transport auf Gegenstände untersucht, die einer Flucht dienlich hätten sein können, was in der Abwägung hätte berücksichtigt werden müssen.
BVerfG verweist auf EGMR-Rechtsprechung als Richtschnur
In seiner Entscheidung nahm das BVerfG in instruktiver Weise auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Fesselungen Bezug. Der EGMR hatte Folgendes entschieden:
- Bereits die eintägige Fesselung eines Gefangenen an sein Krankenbett unter Anwesenheit von zwei Sicherungskräften könne eine unmenschliche Behandlung darstellen. Das sei der Fall, wenn unter Berücksichtigung von Alter, Gesundheitszustand oder konkreter Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko eine Unverhältnismäßigkeit der Fesselung vorliege.Fesselung von Sicherungsverwahrten: Diese Kriterien legt der EGMR an
- Ferner müsse das Wohlergehen der gefesselten Person regelmäßig überprüft und dokumentiert werden. Hält sich ein Gefangener in einer gesicherten Umgebung auf, ist die routinemäßige Fesselung stets unverhältnismäßig.
- Ferner solle keine Fesselung an feste Gegenstände erfolgen. Maßgeblich sei zu berücksichtigen, ob sich der Gefangene in Haft beanstandungsfrei geführt habe.
AUSGABE: CB 4/2023, S. 16 · ID: 49238716