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AutokaufFernabsatz: Urteil des LG Hamburg unterstreicht Relevanz der Widerrufsbelehrung
| Es verblüfft immer wieder, wie sorglos professionelle Kfz-Händler ihre Fahrzeuge via Internet an Verbraucher verkaufen, ohne die notwendige Widerrufsbelehrung zu erteilen. Das Motto lautet wohl „Bis jetzt ist es doch immer gut gegangen“. Und wenn es mal nicht gut geht, wird mit abenteuerlichen Argumenten versucht, einen Fernabsatz in Abrede zu stellen. So kürzlich geschehen vor dem LG Hamburg. |
Kfz-Händler versäumt Widerrufsbelehrung bei Online-Verkauf
Im konkreten Fall hatte ein Kfz-Händler ein Fahrzeug auf der Internetplattform „mobile.de“ inseriert. Ein Verbraucher interessierte sich für das Fahrzeug und wandte sich per E-Mail an den Kfz-Händler. Der übersandte dem Verbraucher einen Vordruck für eine verbindliche Kfz-Bestellung; der Verbraucher unterzeichnete diese und schickte sie zurück an den Kfz-Händler, der die verbindliche Bestellung per Mail bestätigte. Eine Belehrung über eine Widerrufsmöglichkeit war dem Verbraucher in dem gesamten Mailverkehr und in den schriftlichen Unterlagen unstreitig nicht erteilt worden.
LG Hamburg bestätigt Fernabsatzvertrag
Unternehmer an Verbraucher, keine gleichzeitige körperliche Anwesenheit bei Vertragsverhandlung und -abschluss, ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln – das sind die Zutaten des Fernabsatzvertrags (§ 312 c Abs. 1 und 2 BGB). Bis dahin ist das völlig eindeutig – und das LG Hamburg sah all das auch mit guter Begründung als gegeben an.
Kfz-Händler beruft sich auf fehlende Versandabteilung
Der letzte Rettungsanker des Kfz-Händlers ist der von ihm vorzutragende und zu beweisende Umstand, der Vertrag sei nicht in einem für den Fernabsatz eingerichteten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zustande gekommen. Da kam nun der Einwand des Kfz-Händlers, er habe keine „Versandabteilung“ – und die sei doch Voraussetzung für einen Fernabsatz. Der Verbraucher habe das Fahrzeug doch selbst in Osnabrück abgeholt.
Das LG Hamburg hat den Fall auf der tatsächlichen Ebene gelöst. Es gab nämlich eine Werbung des Händlers, die da lautete: „Wir liefern ihren Traumwagen natürlich gratis zum Bestimmungsort!“ (LG Hamburg, Urteil vom 10.09.2024, Az. 314 O 10/24, Abruf-Nr. 244172).
Die „Versandabteilungsfrage“ ist vom BGH längst geklärt
Doch darauf wäre es gar nicht angekommen. Es geht um den systematischen Vertragsschluss unter den Umständen des § 312c Abs. 1, 1. HS BGB. Auf das, was danach kommt, kommt es nicht an. Das hat der BGH rund um einen im Fernabsatz geschlossenen Maklervertrag herausgearbeitet (BGH, Urteil vom 07.07.2016, Az. I ZR 68/15, Abruf-Nr. 188843).
Risiko für den „unlauteren“ Händler ist groß Fazit | Wer nicht belehrt, hat die verlängerte Widerrufsfrist gegen sich (§ 356 Abs. 3 S. 2 BGB) und bekommt mangels Belehrung keinen Wertersatz für die Benutzung (§ 357a Abs. 1 Ziffer 2 BGB). Der Kfz-Händler, der sich mit dem „Keine Versandabteilung“-Argument retten möchte, riskiert die Zusatzkosten durch einen Rechtsstreit ohne Erfolgsaussichten. |
- Beim BGH heißt es zu der „Es sei denn“-Ausnahme unter Rz. 51, der Gesetzesbegründung sei zu entnehmen: Nur Geschäfte, die unter gelegentlichem, eher zufälligem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, sollen aus dem Anwendungsbereich ausscheiden. Der sachliche Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts soll demnach z. B. nicht schon dann eröffnet sein, wenn der Inhaber eines Geschäfts ausnahmsweise eine telefonische Bestellung entgegennimmt und die Ware dem Kunden nicht in seinem Ladenlokal übergibt, sondern mit der Post versendet.Nur gelegentliche Fernkommunikation schließt Fernabsatz aus
- Zum systematischen Vertrieb heißt es beim BGH unter Rz. 52: Die Maklerin habe ersichtlich den Vertrieb ihrer Leistungen über das Internet und damit für den Fernabsatz organisiert. Es könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Makler, der seine Dienste im Internet über Internetportale anbietet und der einen Kontakt zu seinen Kunden auf elektronischem oder telefonischem Weg herstelle, Fernabsatzverträge nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig schließe.Auftritt auf Internetportalen lässt Regelmäßigkeit vermuten
- Dass es nicht auf die Durchführung des Vertrags ankommt, verdeutlicht die BGH-Passage unter Rz. 53: Es komme nicht auf den Umstand an, dass die Durchführung des Maklervertrags möglicherweise nicht immer und nicht ausschließlich auf elektronischem Weg stattfinde. Entscheidend sei allein, ob die Provisionszahlungspflicht des Maklerkunden auf einem Vertragsschluss im Fernabsatz beruhe. Der Verbraucher, der ohne persönlichen Kontakt zum Dienstleister eine Leistungsverpflichtung eingehe, sei nicht deswegen weniger schutzbedürftig, weil im Anschluss an den Vertragsschluss ein persönlicher Kontakt bei der Ausführung der Dienstleistung erfolgte.Entscheidung des Käufers bei Vertragsschluss wird geschützt
- Wichtig | Dasselbe gilt laut BGH für die Bestellung von Waren im Fernabsatz. Der Besteller einer Sache verpflichtet sich dabei zunächst zum Kauf und erhält erst später die Möglichkeit, die Ware zu prüfen. Es ist gerade der Zweck der Richtlinie 97/7/EG und der ihrer Umsetzung in deutsches Recht dienenden Vorschrift des § 312 Abs. 1 S. 1 BGB a. F., die Wahlfreiheit des Verbrauchers zu schützen, der ohne die Möglichkeit, die Ware oder die Dienstleistung zu prüfen, eine vertragliche Verpflichtung zur Bezahlung der Ware oder der Dienstleistung eingegangen ist. Von seiner Wahlfreiheit kann der Verbraucher nur bei Vertragsschluss Gebrauch machen. Zu diesem Zeitpunkt soll der Gefahr von Fehlentscheidungen des Verbrauchers begegnet werden, weil er aufgrund der räumlichen Distanz die vom Unternehmer angebotene Ware in der Regel nicht vor Vertragsschluss in Augenschein nehmen oder sich Kenntnis von den Eigenschaften der Dienstleistung verschaffen kann. Diese Gefahr kann durch spätere persönliche Kontaktaufnahmen nach Vertragsschluss, auch wenn diese von Anfang geplant und gewünscht waren, nicht beseitigt werden. Eine hiervon abweichende Betrachtung liefe dem Schutzzweck des Fernabsatzrechts zuwider.
AUSGABE: ASR 11/2024, S. 5 · ID: 50208182