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Kfz-VersicherungIn diesen Fällen besteht bei beschädigten Reifen Versicherungsschutz in der Kasko

Top-BeitragAbo-Inhalt10.05.2024459 Min. LesedauerVon Nicole Vater, Ass. jur.

| Bei einem Reifenschaden wird zunächst gar nicht daran gedacht, die Kaskoversicherung in Anspruch zu nehmen. Selbstbeteiligung und Höherstufung sind meist größer als der Schadensbetrag. Doch wie sieht die Rechtslage aus? Eine Inanspruchnahme der Kaskoversicherung könnte sinnvoll sein, wenn entweder weitere Bereiche am Fahrzeug beschädigt wurden oder der Versicherungsnehmer einen Schaden pro Jahr frei hat. VVP verschafft Ihnen deshalb einen Überblick, in welchen Fällen bei beschädigten Reifen Kaskoschutz besteht. |

Die vertragliche Regelung in der Kaskoversicherung

Kaskorecht ist Vertragsrecht. Hinsichtlich des Versicherungsumfangs gibt es keine gesetzlichen Mindestanforderungen. Nahezu alle Kaskoversicherer orientieren sich jedoch an den Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Die AKB 2015 mit Stand 17.04.2024 lauten hierzu wie folgt:

A.2.2.2.2 Versichert sind Schäden am Fahrzeug durch Unfall

Ein Unfall ist ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis. Keine Unfallschäden sind deshalb insbesondere:

  • Schäden am Fahrzeug, die ihre alleinige Ursache in einem Bremsvorgang haben, z. B. Schäden an der Bremsanlage oder an den Reifen.
  • Schäden am Fahrzeug, die ausschließlich aufgrund eines Betriebsvorgangs eintreten, z. B. durch falsches Bedienen, falsches Betanken oder verrutschende Ladung.
  • Schäden am Fahrzeug, die ihre alleinige Ursache in einer Materialermüdung, Überbeanspruchung oder Abnutzung haben.
  • Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug oder Anhänger ohne Einwirkung von außen, z. B. Rangierschäden am Zugfahrzeug durch den Anhänger.
  • Verwindungsschäden.

Vorhersehbare Beschädigungen des Fahrzeugs, die üblicherweise im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung des Fahrzeugs entstehen, gelten nach A.2.2.2.2 nicht als Unfallschaden. Beispiel: Schäden an der Ladeoberfläche eines Lkw durch Beladen mit Kies.

Die Klausel führt exemplarisch bereits aus, dass Schäden am Reifen aufgrund eines Bremsvorgangs nach A.2.2.2.2 nicht versichert sind.

Wichtig | Explizit mit Reifenschäden befasst sich A.2.9.3. Darin heißt es:

A.2.9.3 Reifenschäden

Kein Versicherungsschutz besteht für beschädigte oder zerstörte Reifen. Versicherungsschutz für Reifenschäden besteht jedoch, wenn durch dasselbe Ereignis gleichzeitig andere unter den Schutz der Kaskoversicherung fallende Schäden am Fahrzeug verursacht wurden.

Nach der Klausel sind Reifenschäden aller Art vom Versicherungsschutz der Teil- und Vollkaskoversicherung ausgeschlossen, sofern sie isoliert eintreten. Hintergrund ist, dass der Versicherer das hohe Versicherungsrisiko schlichtweg nicht tragen möchte.

Wichtig | Die AKB A.2.9.3 sind jedoch nicht von allen Gesellschaften in den jeweiligen Kaskobedingungen übernommen worden. Daher gilt es, die einzelnen Kaskobedingungen genau zu studieren.

Kein A.2.9.3-Ausschluss – Fallbeispiele

Nachfolgend finden Sie Fallbeispiele, in denen es keinen A.2.9.3-Ausschluss gibt bzw. dieser nicht greift:

Schäden wegen eingefahrener Fremdkörper

Ein Schaden, der dadurch entsteht, dass ein auf der Fahrbahn liegender Fremdkörper in den Reifen eindringt, ist als Unfall im Sinne der Vollkaskoversicherung anzusehen, so das OLG Karlsruhe (Urteil vom 17.12.2020, Az. 9 U 124/18, Abruf-Nr. 221831).

Begründung: Es handelt sich um ein von außen mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis. Dabei ist es unerheblich, ob der Fremdkörper ein spitzer Stein oder beispielsweise ein Nagel ist und vom Fahrzeug überfahren wird. In jedem Fall handelt es sich um eine Einwirkung von außen, die unmittelbar und plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkt. Die Kaskoversicherung ist demzufolge leistungspflichtig, sofern kein Ausschluss gemäß A.2.9.3 der AKB des GDV vereinbart wurde.

Fahrzeugschäden durch Reifenteile

Wird das Fahrzeug durch Reifenteile beschädigt, nachdem der Reifen ohne erkennbare Einwirkung von außen geplatzt ist, ist dieser Schaden an Reifen und Fahrzeug als Betriebsschaden einzustufen und somit nicht zu ersetzen. Zu dem Schluss gelangen das OLG Hamm (Urteil vom 15.11.2013, Az. I-20 U 83/13, Abruf-Nr. 141758) und das OLG Düsseldorf (Urteil vom 30.09.1997, Az. 4 U 112/96, Abruf-Nr. 241330).

Hier liegt kein Unfall i. S. v. A.2.2.2.2 der AKB vor (vgl. zur Abgrenzung Unfallschaden und Betriebsschaden VVP 11/2023, Seite 22 → Abruf-Nr. 47923067).

Der Versicherungsnehmer muss dann nachweisen, dass die Ursache für den Reifenplatzer nicht im Reifen selber lag, sondern, dass ein von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis die Ursache war. Das kann etwa ein Überfahren eines Gegenstands sein. Die Ausschlussklausel nach A.2.9.3 der AKB greift dann nicht, weil auch andere Fahrzeugteile beschädigte wurden.

Reifenschaden als Rettungskosten zur Vermeidung eines Unfalls

Im Ausnahmefall kann ein Reifenschaden auch über die Konstruktion der Rettungskosten zu erstatten sein. Die Rettungskosten sind ohne Abzug der Selbstbeteiligung zu erstatten, wenn der Fahrer eine unfallvermeidende Vollbremsung aus hoher Geschwindigkeit zur Vermeidung eines Unfalls vornimmt und die Reifen hierbei Schaden nehmen („Bremsplatten“). Der Vollkaskoversicherung bleiben die Kosten für einen erheblicheren Unfallschaden erspart. In derartigen Fällen greifen §§ 62 und 63 VVG.

Vandalismus

Zerschneiden Vandalen das Cabrio-Verdeck, zerkratzen den Lack und zerstechen die Reifen, so muss dafür die Vollkasko eintreten, entschied das AG Bremen (Urteil vom 03.06.2004, Az. 21 C 169/03, Abruf- Nr. 241331).

Selbst wenn die Ausschlussklausel A.2.9.3 vorhanden ist, erfordert „Gleichzeitigkeit“ nur einen logischen Zusammenhang. Da die Schäden durch einen einheitlichen Akt von Vandalismus entstanden sind, liegt hier „Gleichzeitigkeit“ nach AKB A.2.9.3 vor.

Unfall mit abgefahrenen Reifen

Wird ein Fahrzeug mit abgefahrenen Reifen betrieben, so liegt zunächst eine sogenannte Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 Abs. 1 VVG vor. Wird das Fahrzeug derart genutzt, trägt der Versicherer ein höheres Risiko als das, welches er kalkulierte.

Kennt der Versicherungsnehmer den Zustand der Reifen oder müsste er ihn kennen, ist auch die subjektive Komponente der ungenehmigten Gefahrerhöhung gegeben. Der Versicherer wird leistungsfrei.

Wichtig | Anders verhält es sich nur, wenn der Versicherungsnehmer nachweisen kann, dass ein Zusammenhang zwischen dem schlechten Reifenzustand und dem Unfall nicht besteht, so das OLG Saarbrücken (Urteil vom 15.01.2023, Az. 5 U 261/02, Abruf-Nr. 061363).

Annex: Brennende Reifen

Die Selbstentzündung des Reifens durch starke Hitzentwicklung und der anschließende Reifenschaden ist nicht versichert. Zwar kann von einem entschädigungspflichtigen Brandschaden bzgl. des restlichen Fahrzeugs gesprochen werden. Der Schaden am Reifen ist allerdings nicht gleichzeitig eingetreten, sondern war dem Fahrzeugschaden vorgelagert.

Anders wiederum verhält es sich, wenn das Fahrzeug in Brand ausbricht und der Brand sich auf die Reifen ausweitet. In dem diesem Fall ist ein erstattungsfähiger Kaskoschaden vorhanden, sofern die Ursache ein Unfall i. S. v. A.2.2.2.2 der AKB war.

Wichtig | Rechtsprechung liegt VVP zu dieser Fallkonstellation nicht vor.

AUSGABE: VVP 11/2024, S. 20 · ID: 50024204

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