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AgenturrechtVentillösungsmodelle in der Praxis: Das sind die aktuellen rechtlichen Anforderungen
| Die Rahmenbedingungen in der Versicherungsvermittlung haben sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Als Folge dessen ziehen Versicherer immer wieder „Ventillösungen“ in Betracht, um ihren Ausschließlichkeitsvermittlern zu ermöglichen, Risiken, die sie nicht bei sich platzieren können, bei einem anderen Versicherer einzudecken. Die Ausgestaltung der Ventillösung unterscheidet sich von Versicherer zu Versicherer. VVP nimmt daher die Ventillösungsmodelle unter die Lupe und erläutert die rechtlichen Anforderungen. |
Inhaltsverzeichnis
- Die Ventillösung im Wandel der Zeit
- Diese Ventillösungsmodelle existieren in der Praxis
- Konsequenzen für die Praxis für Agent als Mehrfachvertreter
- Vertreter als Mehrfachvertreter für Maklergesellschaft?
- Mehrfachvertreter als Ventillösung statt Ausschließlichkeit?
- Mehrfachvertretung und Ausgleichsanspruch
Die Ventillösung im Wandel der Zeit
Die rechtlichen Regelungen bei der Ventillösung haben sich im Lauf der Zeit gewandelt.
Bis 2007: Tätigkeit als Vertreter und Makler in einer Person/Firma möglich
Bis Mai 2007, also bis zur VVG-Reform, war eine doppelte Tätigkeit als Versicherungsvertreter und -makler in einer Person/Firma möglich; es gab keine Zulassungsvorschriften. Folglich gab es keine Probleme, wenn eine Ventillösung mit dem Versicherer vereinbart war, gleich ob über eine separate Maklergesellschaft des Versicherers oder ob über eine Tätigkeit des Vertreters auch als Makler.
Kam es damals zu Interessenskonflikten, lagen diese eher im Bereich der Fehlberatung gegenüber dem Kunden (mit der Frage, ob jemand Makler oder Ausschließlichkeitsvertreter ist) und weniger im wettbewerbsrechtlichen Bereich durch Abmahnungen von anderen Versicherern oder Maklern.
Heute: Keine zeitgleiche Erlaubnis als Vertreter und Makler mehr
Seit Mai 2007 hat sich das grundlegend geändert: Der Versicherungsvermittler kann sich bei der IHK nun entweder eine Erlaubnis als Versicherungsvertreter (auch Mehrfachvertreter) nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 GewO oder als Versicherungsmakler nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 GewO (Wortlaut: „oder“) besorgen. Doppelregistrierungen sind nicht erlaubt, ein Auftreten im Geschäftsverkehr als Makler ohne Erlaubnis kann abgemahnt bzw. es kann auf Unterlassung geklagt werden. Denn es handelt sich bei diesen Bestimmungen der Gewerbeordnung um Marktverhaltensregelungen nach § 3a UWG (LG Freiburg, Urteil vom 30.12.2015, Az. 12 O 86/15 RN 16, Abruf-Nr. 240043).
Diese Ventillösungsmodelle existieren in der Praxis
In der Praxis unterscheidet sich die Ausgestaltung der Ventillösung von Versicherer zu Versicherer.
Allgemeine Ventillösung mit Beratung
Es gibt den Fall, dass der Versicherer mit einer Mehrfachvertretungsgesellschaft zusammenarbeitet und dem Ausschließlichkeitsvertreter in den Fällen, in denen Geschäft bei ihm nicht versichert werden kann, erlaubt, die Versicherungsverträge über diese Mehrfachvertretungsgesellschaft zu den dahinterstehenden Versicherungen zu vermitteln. Oder der Versicherer erlaubt in solchen Fällen die Vermittlung direkt an diese Produktpartner.
In all diesen Fällen findet eine Beratung des Vertreters zu den Ventilprodukten statt. Der Vorteil liegt darin, dass er die Kunden nicht „aus der Hand gibt“.
Diese Konstruktionen, explizit die der Direktvermittlung an Produktpartner, hat der BGH für wirksam erachtet, wenn
- die Ventilprodukte untereinander und mit denen des Versicherers nicht konkurrieren,
- diese Ventilvermittlungen nur einen „geringen Teil“ der Vermittlungen ausmachen (vorliegend waren es drei Prozent) und
- die Versicherung die unbeschränkte Haftung für den Vertreter übernimmt (BGH, Urteil vom 30.01.2014, Az. I ZR 19/13, Abruf-Nr. 142102).
Das Kriterium „keine konkurrierenden Produkte“ entnimmt der BGH direkt aus § 34d Abs. 7 Nr. 1 GewO. Dort heißt es:
§ 34d Abs. 7 Nr. 1 GewO |
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Das Kriterium „geringer Teil“ der Vermittlungen entnimmt der BGH der Lehrmeinung. Dieses Kriterium gilt auch für die Vermittlung des Ventilgeschäfts über eine Mehrfachvertretungsgesellschaft; der Versicherer muss also klar vorgeben, welche Produkte, die nicht zu seinen und die nicht untereinander in Konkurrenz stehen dürfen, über diese Schiene vermittelt werden dürfen. Und er muss diese Liste auch aktuell halten.
Durch dieses Vorgehen wird von vorneherein verhindert, dass der Vertreter gegen die Interessen seines Versicherers beraten müsste; innerhalb der Ventilgesellschaften muss er aber nach „best advice“ für den Kunden vermitteln.
Hat der Vertreter eine eigene Erlaubnis nach § 34d Abs. Nr. 1 GewO, dürften diese beiden BGH-Kriterien nicht maßgeblich sein, da für diese Vertreter § 34d Abs. 7 GewO nicht gilt und es bei der Erlaubnis keine Unterscheidung zwischen dem Ausschließlichkeits- und Mehrfachvertreter gibt. Allerdings muss sich dann der Vertreter als Mehrfachvertreter bei der Berufshaftpflicht versichern.
Gibt der Versicherer auch dem Mehrfachvertreter nur ganz bestimmte Produkte über die Ventilvermittlung frei, muss der Mehrfachvertreter die Kunden darauf hinweisen. Andernfalls haftet der Mehrfachvertreter für den „best advice“ innerhalb der angegebenen Versicherungen.
Tritt der Mehrfachvertreter dem Kunden gegenüber wie ein Makler auf, haftet er auch wie ein solcher, hat dafür dann aber keinen Versicherungsschutz seiner Berufshaftpflichtversicherung.
Allgemeine Ventillösung ohne Beratung
In der Praxis gibt es Fälle, in denen eine Maklergesellschaft existiert, an der der Versicherer oft auch beteiligt ist und über die der Vertreter ausschließlich Ventilgeschäft als Tippgeber weitergeben darf. Dazu muss der Vertreter die ausdrückliche Genehmigung durch den Versicherer haben.
In dem Fall gibt der Vertreter den Kunden also für die Beratung durchaus „aus der Hand“ und erhält nur eine geringe Tippgeberprovision.
Tippgeber sind nach Rüffer/Halbach/Schimikowski: „Personen, die sich darauf beschränken, eine Möglichkeit zum Abschluss von Versicherungsverträgen namhaft zu machen oder einen Kontakt zwischen Kunden und Versicherungsvermittler herzustellen.“ Sprich: Es darf also keine Beratung erfolgen, sondern nur eine reine Kontaktherstellung.
Für diese Lösung ist keine behördliche Registrierung nötig. Der Tippgeber haftet auch nicht und benötigt keine Haftpflichtversicherung, weil er den Kunden nicht berät.
Individuelle Ventillösung
Gerade bei großen Agenturen gibt es immer wieder individuelle Ventillösungen. Hier kann sich z. B. der Vertreter an einer Makler-Gesellschaft beteiligen. Wegen des Verbots der Doppelregistrierung darf er aber nicht als Geschäftsführer tätig sein. Es sei denn er genießt Bestandsschutz, weil er bereits vor 2007 tätig war, als die Doppelregistrierung noch erlaubt war.
Praxistipp | Sie müssen eine individuelle Lösung immer schriftlich vereinbaren. Denn wer weiß innerhalb des Versicherers morgen noch, dass es eine mündliche Vereinbarung hierüber gibt? Können Sie die nicht vertraglich vereinbarte Sonderregelung nicht nachweisen, birgt das die Gefahr einer wirksamen fristlosen ausgleichvernichtenden Unternehmerkündigung ohne vorherige Abmahnung. |
Konsequenzen für die Praxis für Agent als Mehrfachvertreter
Ist der Agent Mehrfachvertreter, benötigt er eine Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 Nr. 1 GewO wie der Ausschließlichkeitsvertreter.
Solange der Vertreter innerhalb seiner vertretenen Versicherer im Kundeninteresse vermittelt, hat er keinen Bedarf nach einer Ventillösung. Er vermittelt nach dem Kundenbedarf innerhalb der angebotenen Produkte.
Außerhalb der vertretenen Versicherer braucht der Mehrfachvertreter eine Genehmigung durch den Versicherer über eine genehmigte weitere Mehrfachvertretung oder er braucht eine Tippgebergenehmigung (s. o).
Vertreter als Mehrfachvertreter für Maklergesellschaft?
Der Versicherungsvertreter kann nicht gleichzeitig auch Mehrfachvertreter für eine Maklergesellschaft sein. Denn § 34d Abs. 1 Nr. 2 GewO stellt klar: „... als Versicherungsmakler für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Versicherungsunternehmen oder einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein.“
Also gibt es keine Lösung „über alle Grenzen“, indem der Vertreter als Mehrfachvertreter für eine Maklergesellschaft tätig wird.
Mehrfachvertreter als Ventillösung statt Ausschließlichkeit?
Fährt ein Versicherer, wie z. B. aktuell die alte Leipziger, die Strategie, ihre Ausschließlichkeit aufzugeben, und bietet die Mehrfachvertretung als Lösung an, besteht hier das Problem in der Interessenwahrnehmungspflicht gegenüber dem Kunden. Denn der Kunde hat einen Anspruch auf den best advice innerhalb der vertretenen Versicherer.
Das bedeutet, dass der Vertreter den Alternativvertrag eines von ihm auch vertretenen Versicherers empfehlen muss, wenn er für den Kunden vorteilhafter (Stichwort: „best advice“) ist. Er muss auch die Kündigung von bestehenden Verträgen und den Abschluss bei einem weiteren vertretenen Versicherer empfehlen, wenn der Kunde daraus einen Vorteil hat.
Wichtig | Die Idee mancher Vertreter, zu Werbezwecken alle vertretenen Gesellschaften auch noch auf den Briefkopf zu setzen, führt sicherlich zu einem offensichtlichen Haftungssignal in dieser Hinsicht.
Mehrfachvertretung und Ausgleichsanspruch
Am Ende des Vertretervertrags stellt sich die Frage, was die Mehrfachvertretung für den Ausgleich bedeutet. Mehrere Versicherer in der Mehrfachvertretung führen zu separaten Ausgleichsansprüchen gegen den jeweiligen Versicherer und damit zu mehr Berechnungsaufwand. In Summe müsste, wenn jeweils nach den „Grundsätzen“ berechnet wird, das Ergebnis dasselbe sein, wie bei einem einzigen Anspruch gegen einen Versicherer.
Praxistipp | Vertreter sollten auf eine explizite Vereinbarung der „Grundsätze“ bei dem jeweiligen Versicherer achten. Und auch darauf, dass keine nebenberufliche Tätigkeit (kein Ausgleich nach § 92b Absatz 1 HGB) vereinbart ist. |
Erfolgt die Mehrfachvertretung durch eine vertragliche Verbindung zu einer Mehrfachvertretungsgesellschaft, so gibt es nur zwei Ausgleichsansprüche: Einmal gegen den originären Versicherer und einmal gegen die Mehrfachvertretungsgesellschaft. Auch hier sollten die „Grundsätze“ vereinbart sein.
AUSGABE: VVP 4/2024, S. 3 · ID: 49944535