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BerufsunfähigkeitsversicherungFalschangabe im Antrag – kein Rücktritt bei leicht fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung
| Fragt eine Berufsunfähigkeitsversicherung im Versicherungsantrag unter anderem nach Kopfschmerzen mit einer „Häufigkeit von mehr als zwei mal pro Monat“, handelt ein Versicherungsnehmer (VN) nicht grob fahrlässig, wenn er folgenlos ausgeheilte Kopfschmerzen über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten nicht angibt. Dies hat das OLG Schleswig entschieden und den Rücktritt eines Berufsunfähigkeitsversicherers für unwirksam erklärt. |
Um diesen BU-Fall ging es vor dem OLG
Die VN hatte im Antrag folgende Frage mit „Nein“ beantwortet: „Bestehen oder bestanden bei Ihnen in den letzten fünf Jahren Erkrankungen, Gesundheits- oder Funktionsstörungen, aufgrund derer Sie in Behandlung waren (z. B. bei Ärzten, Heilpraktikern, Psychologen/Psychotherapeuten) bzw. Medikamente (mehr als einmal wöchentlich) einnehmen mussten, wegen:
[...]
6.9. Kopfschmerzen (Schmerzdauer > fünf Stunden täglich, Häufigkeit > zwei mal pro Monat) oder Migräne“
Tatsächlich hatte die VN in dem erfragten Zeitraum einen Unfall, aufgrund dessen sie HWS-Beschwerden und über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten Kopfschmerzen hatte. Einige Jahre später wurde die VN berufsunfähig und stellte einen Leistungsantrag. Der Versicherer erkannte die Leistung zwar an, erklärte aber unter anderem wegen Rückenbeschwerden und Kopfschmerzen nach dem Unfall den Rücktritt. Mit ihrer Klage wandte sich die VN gegen den Rücktritt und bekam Recht (OLG Schleswig, Urteil vom 08.01.2024, Az. 16 U 107/22, Abruf-Nr. 239852).
OLG hat Rücktritt für unwirksam erklärt
Die VN hat nach Ansicht des OLG einen Anspruch auf Feststellung des Fortbestands der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Der Vertrag ist durch die Rücktrittserklärung nicht wirksam nach § 19 Abs. 2 VVG beendet worden, weil es jedenfalls an einer mindestens grobfahrlässigen Verletzung der Anzeigepflicht fehlt (§ 19 Abs. 3 VVG). Überdies macht der Versicherer selbst geltend, den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen zu haben (§ 19 Abs. 4 S. 1 VVG).
Keine grob fahrlässige Verletzung der Anzeigepflicht
Nach Ansicht des OLG handelte es sich bei den vermeintlich verschwiegenen Rückenbeschwerden tatsächlich um die unfallbedingten Nackenschmerzen. Allerdings bedurften diese keiner weiteren Behandlung, sie heilten folgenlos aus und waren laut dem OLG als „Bagatelle“ nicht anzeigepflichtig.
Die Kopfschmerzen waren hingegen zwar gefahrerheblich und hätten grundsätzlich angezeigt werden müssen. Allerdings vermochte das OLG bei der VN keine „grob fahrlässige Anzeigepflichtverletzung“ erkennen. Es führt aus, dass aufgrund der oben wiedergegebenen Frage nach Kopfschmerzen über mehr als fünf Stunden/täglich und einer Häufigkeit von mehr als zwei Mal im Monat durchaus der Eindruck entstehen konnte, dass nur chronisch wiederkehrende Kopfschmerzen gemeint sind. Soweit die VN aufgrund dieses Verständnisses der Frage die Kopfschmerzen nicht angegeben hatte, war das aus Sicht des OLG jedenfalls nicht grob fahrlässig.
Wichtig | Im Urteilsfall kam der Vertrag über einen Versicherungsmakler zustande. Hierzu stellt das OLG zweierlei klar, nämlich:
- 1. Die VN durfte auf die Einschätzung ihres Versicherungsmaklers vertrauen, dass keine Anzeige notwendig sei.
- 2. Der beauftragte Makler, der dem VN bei der Ausfüllung des Versicherungsantrags behilflich ist, ist nicht Wissenserklärungsvertreter, dessen Erklärungen dem VN zugerechnet werden. Insbesondere folgt eine solche Stellung hier nicht schon daraus, dass der Makler den Antrag neben dem VN mitunterschrieben hat. Entscheidend ist, dass auch die VN als Antragstellerin unterschrieben und damit die Angaben im Antrag als eigene gemacht hat. Sprich: Eine Zurechnung von Wissen oder Verschulden des von der VN beauftragten Versicherungsmaklers findet nicht statt.... trotz Beauftragung eines Maklers
Die Folge daraus: Der Rücktritt scheidet aus, weil es jedenfalls an einer zumindest grob fahrlässigen Verletzung der Anzeigepflicht fehlt (§ 19 Abs. 3 VVG).
Versicherungsschutz auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände
Aber auch bei einem grob fahrlässigen Verschweigen der Kopfschmerzen wäre der Rücktritt nach Ansicht des OLG ausgeschlossen nach § 19 Abs. 4 VVG. Denn der Versicherer hätte – das hatte er selbst vorgetragen – den Versicherungsvertrag auch in Kenntnis der verschwiegenen Kopfschmerzen mit einem Risikozuschlag abgeschlossen.
Das sind die Handlungsempfehlungen für die Praxis
Auch wenn die VN hier den Rücktritt abwehren konnte, sind Gesundheitsfragen immer so zu beantworten, wie sie gestellt wurden. Es sollte nicht zu viel, auf gar keinen Fall aber zu wenig angegeben werden. Gesundheitsfragen sind also immer genau zu lesen; im Zweifel sind auch vermeintliche Bagatellen anzugeben. Die Kunden sollten auf die Bedeutung der Gesundheitsfragen und die Folgen einer Falschbeantwortung hingewiesen werden.
Ob sich die Aussage des OLG zur Zurechnung des Wissens eines Versicherungsmaklers so durchsetzt, bleibt abzuwarten. Bisher haben Gerichte eine Zurechnung immer und zum Teil ohne nähere Begründung angenommen. Fehler des Maklers wurden danach wie eigene Fehler des Kunden behandelt, wofür der Makler im Innenverhältnis haftete. Bis zur abschließenden Klärung dieser Rechtsfrage ist Maklern zu empfehlen, sich den Versicherungsantrag immer vom Kunden unterschreiben zu lassen. Schenkt man dem OLG Glauben, reduziert das ein etwaiges Haftungspotenzial erheblich.
AUSGABE: VVP 4/2024, S. 23 · ID: 49919274