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BerufsunfähigkeitsversicherungDie Leistungsprüfung in der Berufsunfähigkeitsversicherung – das gilt es zu wissen

Abo-Inhalt10.01.2023768 Min. LesedauerVon Susanne Aydinlar (LL.M. Versicherungsrecht) und Katrin Link, Rechtsund Fachanwältinnen für Versicherungsrecht, Berlin

| Stolze 38,36 Prozent aller Leistungsablehnungen in der BU-Versicherung sind darauf zurückzuführen, dass der Versicherte die Kommunikation mit dem Versicherer abbricht, seinen Leistungsantrag also nicht weiterverfolgt. Das hat eine Analyse der Rating-Agentur Morgen & Morgen ergeben. VVP nimmt das zum Anlass, einen Überblick darüber zu geben, wie die Leistungsprüfung in der BU-Versicherung abläuft, welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten und was unbedingt zu beachten ist. |

Die Anzeige der Berufsunfähigkeit

Bereits vor Anzeige seiner Berufsunfähigkeit stellen sich dem Versicherten die ersten (Rechts-) Fragen:

Wann ist der Versicherungsfall anzuzeigen?

Anders als in anderen Sparten enthalten die üblichen Bedingungen in der BU-Versicherung keine Obliegenheit, den Versicherungsfall unverzüglich anzuzeigen. Allerdings sehen einige Bedingungen eine Ausschlussfrist vor. Danach erhält der Versicherte BU-Leistungen erst mit Beginn des Monats der Anzeige, wenn er den Eintritt seiner Berufsunfähigkeit nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums mitgeteilt hat (vgl. § 1 Abs. 3 S. 3 der Musterbedingungen des GDV für die Berufsunfähigkeitsversicherung, Stand: 28.04.2021).

PRAXISTIPP | Liegt der Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit bei Meldung bereits länger zurück, ist das berufliche Restleistungsvermögen unter Umständen schwerer zu beurteilen – vor allem bei zwischenzeitlicher Besserung des Gesundheitszustands des Versicherten und unzureichender Patientendokumentation. Diese Probleme werden bei frühzeitiger Meldung der Berufsunfähigkeit vermieden. Andere Fallkonstellationen hingegen können einen Aufschub der Anzeige gebieten, etwa wenn der Versicherte Krankentagegeld bezieht und ihm Rückforderungsansprüche bei rückwirkendem Bezug von BU-Leistungen drohen. Letztlich ist es immer eine Frage des Einzelfalls, wann der Versicherungsfall angezeigt werden sollte.

Wie ist der Versicherungsfall anzuzeigen?

Die meisten Versicherungsbedingungen sehen für die Anzeige der Berufsunfähigkeit keine Formvorschriften vor. Der Eintritt der Berufsunfähigkeit kann also formlos gegenüber dem Berufsunfähigkeitsversicherer angezeigt werden, etwa mit einfachem Schreiben per Post oder mit einer E-Mail.

PRAXISTIPP | Die Anzeige der Berufsunfähigkeit sollte der Versicherte – wie die weitere Korrespondenz – in Kopie verwahren.

Die Leistungsprüfung

Mit Anzeige der Berufsunfähigkeit wird die Leistungsprüfung in Gang gesetzt. Der Versicherte erhält in der Regel ein mehrseitiges Antragsformular mit umfangreichen Fragen insbesondere zu seinen beruflichen Tätigkeiten und wirtschaftlichen Verhältnissen, zu seinen Beschwerden bzw. Erkrankungen und zu (avisierten) Behandlungen. Informationen hierzu muss er weitergeben und – in dem Antragsformular konkret benannte – Nachweise vorlegen.

Rechtsgrundlagen für Auskunftsansprüche und Mitwirkungsobliegenheiten

Rechtsgrundlage für den Auskunftsanspruch des Versicherers ist § 31 Abs. 1 S. 1 VVG. Danach kann der Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalls jede Auskunft vom Versicherungsnehmer verlangen, die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht erforderlich ist. Belege darf der Versicherer (nur) insoweit verlangen, als deren Beschaffung dem Versicherungsnehmer billigerweise zugemutet werden kann (§ 31 Abs. 1 S. 2 VVG).

Wichtig | Zu den „erforderlichen“ Auskünften gehören auch solche, die der Feststellung dienen, ob der Versicherte seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit (VVA) verletzt hat. Solche Auskünfte darf der Versicherer selbst dann beanspruchen, wenn Anhaltspunkte für eine VVA gar nicht vorliegen (BGH, Urteil vom 22.02.2017, Az. IV ZR 289/14, Abruf-Nr. 193773).

Mit dem Auskunftsanspruch des Versicherers korrespondieren Mitwirkungsobliegenheiten des Versicherten, die in den Bedingungen (vgl. § 7 Abs. 1 und 2 der Musterbedingungen) geregelt sind. Danach muss der Versicherte auf seine Kosten vor allem folgende Informationen bzw. Nachweise vorlegen:

  • a) Eine Darstellung der Ursache für den Eintritt der Berufsunfähigkeit.
  • b) Ausführliche Berichte der Ärzte, die den Versicherten gegenwärtig behandeln bzw. behandelt oder untersucht haben, über Ursache, Beginn, Art, Verlauf und voraussichtliche Dauer seines Leidens sowie über den Grad der Berufsunfähigkeit.
  • c) Eine Beschreibung des zuletzt ausgeübten Berufs, die Stellung und Tätigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit und danach eingetretener Veränderungen.
  • d) Angaben über das Einkommen aus beruflicher Tätigkeit.
  • e) Eine Aufstellung
    • der Ärzte, Krankenhäuser, Krankenanstalten, Pflegeeinrichtungen oder Pflegepersonen, bei denen der Versicherte in Behandlung war, ist oder – sofern bekannt – sein wird,
    • der Versicherungsgesellschaften, Sozialversicherungsträger oder sonstiger Versorgungsträger, bei denen der Versicherte ebenfalls Leistungen wegen Berufsunfähigkeit geltend machen könnte,
    • über den derzeitigen Arbeitgeber und frühere Arbeitgeber.

Wichtig | Diese Angaben sind unaufgefordert beizubringen. Weitere Auskünfte muss der Versicherte nur auf Verlangen des Versicherers erteilen (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2017, Az. IV ZR 289/14, Abruf-Nr. 193773). Dazu gehören vor allem (vgl. § 7 Abs. 2 der Musterbedingungen)

  • ärztliche Untersuchungen durch vom Versicherer beauftragte Ärzte, sowie
  • notwendige Nachweise, Auskünfte und Aufklärungen auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse und ihre Veränderungen.

Wichtig | Ist der Versicherer der Ansicht, eine Leistungsentscheidung anhand der ihm vorliegenden Informationen nicht treffen zu können, muss er konkret erklären, welche (weiteren) Angaben erforderlich sind, um die Einstandspflicht abschließend beurteilen zu können. Tut er dies nicht, werden die BU-Leistungen fällig (OLG Hamm, Urteil vom 26.09.2012, Az. 20 U 23/12, Abruf-Nr. 123689).

Kommt der Versicherte einem berechtigten Mitwirkungsverlangen des Versicherers nicht nach, wird sein Leistungsanspruch nicht fällig. Beauftragt er gleichwohl einen Rechtsanwalt, hat er dessen Kosten selbst zu tragen; sie sind weder vom BU-Versicherer noch vom Rechtsschutzversicherer zu erstatten. Eine trotz fehlender Fälligkeit erhobene Klage wird als derzeit unbegründet und kostenpflichtig abgewiesen.

Inhalt der Leistungsprüfung

Auf Basis der obigen Rechtsgrundlagen prüft der Versicherer Folgendes:

PRAXIStipp | Die Angaben zum Beruf bilden die Grundlage für die (medizinische) Beurteilung des beruflichen (Rest-)Leistungsvermögens durch einen medizinischen Berater bzw. Gutachter des Versicherers. Kann der Versicherte sich aufgrund seiner Erkrankung bspw. nur mit einem Rollstuhl fortbewegen, wird er nicht mehr als Dachdecker arbeiten können, womöglich aber noch als Büroangestellter. Der Versicherer muss deshalb eine konkrete Vorstellung darüber erlangen, mit welchen Anforderungen an seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der Beruf des Versicherten verbunden ist.

PRAXIStipp | Die Darstellung erfordert eine konkrete Arbeitsbeschreibung bspw. in Form eines Stundenplans. In der Regel enthalten die Antragsformulare Tabellen, in die die Einzeltätigkeiten einzutragen sind, die mit der beruflichen Tätigkeit verbunden sind.

  • Die Angaben bei Vertragsabschluss: Jedenfalls bei Verträgen, die nicht älter als zehn Jahre sind, darf der Versicherer nach aktueller Rechtsprechung prüfen (und tut dies in aller Regel auch), ob der Versicherte seine VVA verletzt, also vor allem die Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag falsch beantwortet hat (BGH, Urteil vom 22.02.2017, Az. IV ZR 289/14, Abruf-Nr. 193773). Unzutreffende Angaben können ein Anfechtungs-, Rücktritts-, Kündigungs- und/oder Vertragsanpassungsrecht begründen und den Versicherer berechtigen, die Leistung abzulehnen und/oder den Vertrag (rückwirkend) zu beenden bzw. anzupassen (vgl. §§ 19 ff VVG).
  • Das Tätigkeitsbild: Weiterer wesentlicher Bestandteil der Leistungsprüfung ist die Prüfung der beruflichen Tätigkeit. Maßgeblich ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH die „zuletzt in gesunden Tagen“ ausgeübte Tätigkeit (z. B. BGH, Urteil vom 14.12.2016, Az. IV ZR 527/15, Abruf-Nr. 191023). Damit bleiben vor allem leidensbedingte Berufswechsel außer Betracht.
  • Jedenfalls im Prozess genügt die bloße Angabe des Berufstyps und der Arbeitszeit nicht. Dem Versicherten wird vielmehr abverlangt, dass er eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung abgibt, mit der die anfallenden Leistungen ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (BGH, Urteil vom 30.09.1992, Az. IV ZR 227/91).
  • Medizinischer Sachverhalt: Schließlich prüft der Versicherer den sog. medizinischen Sachverhalt, also die Beschwerden des Versicherten und deren Auswirkungen auf sein berufliches Leistungsvermögen. Feststellungen hierzu trifft der Versicherer vor allem anhand von Krankenunterlagen und Gutachten.

Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten bei Dritten

Der BU-Versicherer fordert Krankenunterlagen und andere personenbezogene Gesundheitsdaten nicht nur unmittelbar beim Versicherten an, sondern auch bei Dritten. In diesem Fall ist § 213 VVG zu beachten. Danach muss u. a. die Kenntnis der Daten für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich sein und der Versicherte seine Einwilligung in deren Erhebung erteilt haben. Zu der Einwilligung gilt nach einschlägiger Rechtsprechung (BVerfG, Beschluss vom 17.07.2013, Az. 1 BvR 3167/08, Abruf-Nr. 132608 sowie Urteil vom 23.10.2006, Az. 1 BvR 2027/02, Abruf-Nr. 063400; BGH, Urteil vom 22.02.2017, Az. IV ZR 289/14, Abruf-Nr. 193773 und Urteil vom 05.07.2017, Az. IV ZR 121/15, Abruf-Nr. 195754) Folgendes:

  • Der Versicherte ist nicht verpflichtet, generell in die Erhebung seiner Gesundheitsdaten durch Abgabe einer allgemeinen Schweigepflichtentbindungserklärung einzuwilligen. Klauseln in Versicherungsbedingungen, die eine derartige Obliegenheit vorsehen, sind unwirksam.
  • Der Versicherte muss bei der Datenerhebung durch den Versicherer nur insoweit mitwirken, als dies zur Prüfung seiner Leistungspflicht relevant ist. Hierzu muss eine gestufte, einem Dialog vergleichbare Datenerhebung erfolgen. Die Obliegenheit des Versicherten erstreckt sich also zunächst (nur) auf die Mitteilung weniger weitreichender und persönlichkeitsrelevanter Vorinformationen, die dem Versicherer eine Konkretisierung der benötigten Informationen ermöglichen, die für die Leistungsprüfung relevant sind.
  • Dem Versicherten bleibt es unbenommen, von sich aus eine unbeschränkte Schweigepflichtentbindungserklärung abzugeben und die Leistungsprüfung so zu beschleunigen. Das setzt allerdings Freiwilligkeit voraus. Sie ist nur gegeben, wenn der Versicherte von den ihm zustehenden Wahlmöglichkeiten unterrichtet wird (OLG Stuttgart, Urteil vom 21.12.2017, Az. 7 U 101/17, Abruf-Nr. 231127); sprich darauf hingewiesen wird, die Einwilligung gänzlich verweigern und die Daten selbst beschaffen und beibringen oder aber nur schrittweise (beschränkt) einwilligen zu dürfen (LG Berlin, Urteil vom 18.08.2021, Az. 23 O 180/18, Abruf-Nr. 229689).

Wichtig | Ist die Einwilligung in die Datenerhebung aufgrund fehlender Hinweise rechtswidrig, werden die BU-Leistungen fällig. Das gilt unabhängig davon, ob die verlangte Mitwirkung Erhebungen betrifft, die zur Feststellung der Eintrittspflicht notwendig sind (LG Berlin, Urteil vom 18.08.2021, 23 O 180/18, Abruf-Nr. 229689).

Neben dem Erfordernis der Einwilligung muss der Versicherer die Vorgaben des § 213 Abs. 2 bis 4 VVG beachten: Danach muss er den Versicherten von der geplanten Datenerhebung und der Möglichkeit des Widerspruchs unterrichten (§ 213 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 VVG). Er muss außerdem darauf hinweisen, dass der Versicherte jederzeit verlangen kann, dass eine Datenerhebung nur erfolgt, wenn jeweils in die einzelne Erhebung eingewilligt worden ist (§ 213 Abs. 3, Abs. 4 VVG).

Begutachtung

Es kann sein, dass die Krankenunterlagen zur Feststellung der Berufsunfähigkeit nicht ausreichen. In dem Fall muss der Versicherte sich nach den üblichen Versicherungsbedingungen (vgl. § 7 Abs. 2 der Musterbedingungen) ärztlichen Untersuchungen durch vom Versicherer beauftragte Ärzte auf dessen Kosten unterziehen, soweit dies zur Feststellung der Leistungspflicht erforderlich ist.

Die Leistungsentscheidung

Konnte der Versicherer dank der Auskünfte des Versicherten alle notwendigen Erhebungen zur Feststellung seiner Leistungspflicht anstellen, hat er nach einer (oftmals vertraglich bestimmten) Prüf- und Überlegensfrist eine Leistungsentscheidung in Form eines Anerkenntnisses oder einer Ablehnung zu treffen (§ 173 Abs. 1 VVG). Ein Anerkenntnis darf er nur unter bestimmten Voraussetzungen befristen (§ 173 Abs. 2 VVG) oder mit einer Nachprüfungsentscheidung gemäß § 174 VVG verbinden (sog. „uno actu“-Entscheidung). In beiden Fällen erhält der Versicherte die Versicherungsleistungen nur für einen begrenzten Zeitraum.

Anstatt über seine Leistungspflicht verbindlich zu entscheiden, bieten Versicherer nicht selten eine Kulanzzahlung oder eine Regulierungs- bzw. Abfindungsvereinbarung (Vergleich) an. Solche Abreden unterliegen ebenfalls strengen Anforderungen.

Fazit | Die Leistungsprüfung in der BU-Versicherung ist ein komplexes Verfahren, das viele Rechtsfragen aufwirft und von Versicherten häufig unterschätzt wird. Bislang ist dazu nur eine überschaubare Anzahl gerichtlicher Entscheidungen ergangen. Denn viele Versicherte werden im Stadium der Leistungsprüfung noch nicht anwaltlich unterstützt oder scheuen das Kostenrisiko, ihren Anspruch auf BU-Leistungen gerichtlich feststellen zu lassen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung, aber auch die Versicherungsbedingungen in diesem Bereich weiter entwickeln werden, und welchen Einfluss die Digitalisierung auf die Leistungsprüfung nehmen wird. VVP hält Sie auf dem aktuellen Stand.

AUSGABE: VVP 2/2023, S. 20 · ID: 48562313

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