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AusgleichsanspruchAusgleichsanspruch (Teil 5): So gehen Sie bei der Berechnung des Ausgleichs vor

Top-BeitragAbo-Inhalt24.03.2022750 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt Mathias Effenberger, Anwaltskanzlei Küstner, v. Manteuffel Partnerschaft mbB, Göttingen

| Der Ausgleichsanspruch stellt für viele Versicherungsvertreter die wirtschaftliche Absicherung oder gar zentrale Altersversorgung dar. In der Rechtsprechung ist und bleibt der Ausgleichsanspruch daher seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner. VVP erläutert Ihnen deshalb in einer Beitragsreihe die wichtigsten Regeln im Umgang mit dem Ausgleichsanspruch. In Teil 5 der Beitragsserie erfahren Sie anhand eines praxistypischen Beispiels, wie Sie bei der Berechnung des Ausgleichs vorgehen. |

Praxisfall: Untervertreter scheidet aus Agentur aus

Für die Berechnung wird ein Untervertreter gewählt, der aus der Agentur ausgeschieden ist.

Beispiel

Der ausgleichsberechtigte Handelsvertreter war ab dem 01.10.2010 insgesamt elf Jahre und drei Monate als echter Untervertreter eines Agenturinhabers tätig. Der Schwerpunkt seiner Vermittlungs- und Betreuungstätigkeit lag im SUH-Bereich. Dem Untervertreter wurde zu Vertragsbeginn ein Bestand übertragen, den er kontinuierlich vergrößerte. Das Vertragsverhältnis endete in gegenseitigem Einvernehmen aus Altersgründen zum 31.12.2021.

Mit dem Ausscheiden aus Altersgründen ist ein Ausgleichsanspruch dem Grunde nach entstanden. Der Agenturinhaber berechnet den Ausgleich einmal nach den „Grundsätzen“ und einmal nach dem Gesetz.

Möglichkeit 1: Berechnung nach den „Grundsätzen“

Auch ohne vertragliche Vereinbarung kann der Ausgleichsanspruch auf Basis der „Grundsätze“ geschätzt werden (BGH, Urteil vom 23.11.2011, Az. VIII R 203/10, Abruf-Nr. 120027). Für die einzelnen Sparten ergibt sich Folgendes:

Grundsätze Sach

Der vom Untervertreter betreute Bestand im Bereich SUH belief sich in den fünf Jahren vor Vertragsende auf folgende Beitragssummen:

SUH-Bestand

Jahr

Beitragssumme

Jahr

Beitragssumme

2017

123.000,00 Euro

2020

135.000,00 Euro

2018

129.000,00 Euro

2021

140.000,00 Euro

2019

127.000,00 Euro

Zu Vertragsbeginn hat der Agenturinhaber dem Untervertreter einen Bestand mit einer Beitragssumme von 66.000,00 Euro übertragen. Dieser ist nach den „Grundsätzen“ nach mehr als zehn Jahren zu einem Drittel berücksichtigungsfähig. Die Praxis verfährt dabei oft pauschal noch so, dass der nicht berücksichtigungsfähige Teil (2/3 von 66.000,00 Euro = 44.000,00 Euro) vom Jahresendbestand abgezogen wird.

Jahr

SUH-Bestand

(Beitragssumme)

./. übertragener Bestand

(2/3 x 66.000,00 Euro)

Ergebnis

2017

123.000,00 Euro

44.000,00 Euro

79.000,00 Euro

2018

129.000,00 Euro

44.000,00 Euro

85.000,00 Euro

2019

127.000,00 Euro

44.000,00 Euro

83.000,00 Euro

2020

135.000,00 Euro

44.000,00 Euro

91.000,00 Euro

2021

140.000,00 Euro

44.000,00 Euro

96.000,00 Euro

Durchschnitt

86.800,00 Euro

Wichtig | Diese sog. Bruttodifferenzmethode ist nach der Rechtsprechung unzulässig. Denn sie unterstellt, dass der übertragene Bestand auch nach vielen Jahren immer noch in voller Höhe vorhanden ist (mehr dazu in VVP 1/2022, Seite 9). Wenn der selbst geworbene und der übertragene Bestand unterscheidbar sind (etwa durch gesonderte Agenturnummern), ist eine volle Berücksichtigung des tatsächlich selbst geworbenen Bestands sowie die anteilige Berücksichtigung des übertragenen Bestandes – erst in den letzten beiden Jahren (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11.09.2017, Az. I-18 U 91/17, Abruf-Nr. 224481) – daher vorzugswürdig und rechtssicherer. Nachfolgend wird dennoch mit dem obigen Durchschnittsbestand weitergerechnet, weil hier nur ein vereinfachtes Beispiel behandelt wird.

  • Die auf den obigen Durchschnittsbestand von 86.800 Euro gezahlten Bestandspflegeprovisionen ergeben sich aus der Multiplikation mit dem (durchschnittlichen) Bestandspflege-Provisionssatz des Untervertreters, im Beispiel zehn Prozent. Somit ergibt sich eine durchschnittliche Jahresprovision der letzten fünf Jahre von 8.680,00 Euro.
  • Im SUH-Bereich einschließlich Rechtschutz beträgt der spartenabhängig vorgesehene Prozentsatz 50 Prozent hiervon, also 4.340,00 Euro.
  • Dieser Wert wird schließlich noch mit dem Faktor für die Laufzeit des Vertretervertrags (hier elf Jahre: Faktor 3,0) multipliziert. Der nach den „Grundsätzen Sach“ ermittelte Ausgleichsanspruch für den Bereich SUH beträgt somit 13.020,00 Euro (4.340,00 Euro x 3,0).

Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs für Kfz-Versicherungen folgt demselben Schema. Es gelten allerdings drei Besonderheiten:

Ausgleichsanspruch Kfz-Versicherungen

Durchschnittlicher Bestand 2017 bis 2021

150.000,00 Euro

x

Provisionssatz Bestandspflegeprovisionen Kfz: 8 %

12.000,00 Euro

x

Ausgleichswert Kfz: 25 %

3.000,00 Euro

x

Faktor Tätigkeitsdauer (11 Jahre): 2

6.000,00 Euro

Ausgleichsanspruch Kfz

6.000,00 Euro

  • Im Kfz-Bereich sind übertragene Bestände bereits nach Ablauf von zehn Jahren seit der Übertragung voll berücksichtigungsfähig.
  • Der Prozentsatz für die Ermittlung des Ausgleichswerts beträgt 25 Prozent.
  • Der Faktor für die Tätigkeitsdauer maximal zwei.

Grundsätze Leben

Die Versicherungssummen der dynamischen Lebensversicherungen, die

  • der Untervertreter selbst vermittelt hat,
  • die bei Beendigung des Vertretervertrags die Voraussetzungen für künftige Erhöhungen noch erfüllen und
  • zum letzten Erhöhungszeitpunkt tatsächlich angepasst worden sind,

betragen 650.000,00 Euro. Ausgehend hiervon wird der Ausgleichsanspruch für diese Teilsparte nach den „Grundsätzen Leben“ wie folgt ermittelt:

Ausgleichsanspruch Leben

Versicherungssumme dynamische Lebensversicherungen

650.000,00 Euro

x

Abschlussprovisionssatz Leben: 20 %

13.000,00 Euro

x

Faktor Vertragsbeginn nach 1980: 0,08

1.040,00 Euro

x

Faktor Tätigkeitsdauer (11 Jahre): 1,25

1.300,00 Euro

Ausgleichsanspruch Leben

1.300,00 Euro

Grundsätze Kranken

Grundlage der Berechnung im Bereich der Krankenversicherungen ist die vom Untervertreter vermittelte, durchschnittliche Gesamtjahresproduktion in Monatsbeiträgen:

Ausgleichsanspruch Kranken

Durchschnittliche Jahresproduktion 2017 in Monatsbeiträgen

180,00 Euro

Durchschnittliche Jahresproduktion 2018 in Monatsbeiträgen

4.200,00 Euro

Durchschnittliche Jahresproduktion 2019 in Monatsbeiträgen

560,00 Euro

Durchschnittliche Jahresproduktion 2020 in Monatsbeiträgen

640,00 Euro

Durchschnittliche Jahresproduktion 2021 in Monatsbeiträgen

1.600,00 Euro

Durchschnittliche Jahresproduktion 2017 – 2021 in Monatsbeiträgen

1.436,00 Euro

x

Faktor durchschnittlicher Provisionssatz in Monatsbeiträgen: 5,50

7.898,00 Euro

x

Faktor (fix): 0,20

1.579,60 Euro

x

Faktor (fix): 0,40

631,84 Euro

x

Faktor Tätigkeitsdauer (11 Jahre): 2,5

1.579,60 Euro

Ausgleichsanspruch Kranken

1.579,60 Euro

Grundsätze Bausparen

Abweichend von den „Grundsätzen“ im Bereich Sach und Kranken sehen die „Grundsätze Bausparen“ vor, dass nur der Durchschnitt der Jahresprovisionen der letzten vier Jahre vor Vertragsende zu bilden ist:

Durchschnittliche Jahresprovision

Jahresprovisionen 2018

2.150,00 Euro

Jahresprovisionen 2019

1.880,00 Euro

Jahresprovisionen 2020

1.300,00 Euro

Jahresprovisionen 2021

1.540,00 Euro

Durchschnittliche Jahresprovision

1.717,50 Euro

Ausgleichsanspruch Bausparen

Durchschnittliche Jahresprovision aus eingelöstem Geschäft

1.717,50 Euro

x

Mittelsatz ausgleichspflichtiges Folgegeschäft: 20,25%

347,79 Euro

x

Faktor Tätigkeitsdauer (11 Jahre): 3,00

1.043,37 Euro

x

Treuebonus (ab 15 Jahren)

Ausgleichsanspruch Bausparen

1.043,37 Euro

Grundsätze Finanzdienstleistungen

Sofern ausdrücklich vertraglich vereinbart, dürfen auch die „Grundsätze“ für den Finanzdienstleistungsbereich zumindest als Schätzgrundlage für einen Teil-Ausgleichsanspruch innerhalb dieser Sparte herangezogen werden. Das Berechnungsschema entspricht – abgesehen vom geringer angenommenen Mittelsatz für ausgleichspflichtiges Folgegeschäft – demjenigen der „Grundsätze Bausparen“:

Ausgleichsanspruch Finanzdienstleistungen

Jahresprovisionen 2018

160,00 Euro

Jahresprovisionen 2019

3.800,00 Euro

Jahresprovisionen 2020

390,00 Euro

Jahresprovisionen 2021

4.280,00 Euro

Durchschnittliche Jahresprovision

2.157,50 Euro

x

Mittelsatz ausgleichspflichtiges Folgegeschäft: 10,00 %

215,75 Euro

x

Faktor Tätigkeitsdauer (11 Jahre): 3,00

647,25 Euro

x

Treuebonus (ab 15 Jahren)

Ausgleichsanspruch Finanzdienstlungen

647,25 Euro

FAZIT | Nach den „Grundsätzen“ Sach, Leben, Kranken, Bausparen und Finanzdienstleistung ergäbe sich im Beispielsfall ein Ausgleichsanspruch von 23.590,22 Euro (13.020,00 Euro + 6.000,00 Euro + 1.300,00 Euro + 1.579,60 Euro + 1.043,37 Euro + 647,25 Euro). Zu prüfen bliebe insbesondere noch, inwieweit im Rahmen der Billigkeit der Barwert einer gegebenenfalls vom Agenturinhaber finanzierten Altersversorgung anzurechnen wäre.

Berechnung nach dem Gesetz

Die Berechnung eines Ausgleichsanspruchs nach den gesetzlichen Vorgaben gestaltet sich komplex und damit risikoreich. Nachstehend werden daher, bezogen auf das Beispiel, nur zwei Sparten herausgegriffen:

Dynamische Lebensversicherungen

Im Praxisbeispiel hat der Untervertreter im letzten Vertragsjahr eine Provision von 800 Euro auf Dynamisierungen der von ihm vermittelten Lebensversicherungen erhalten. Entfallen Ansprüche auf diese Abschlussfolgeprovisionen aufgrund wirksamer Provisionsverzichtsklausel mit Ende des Untervertretervertrags, so partizipiert der Untervertreter nicht mehr an nach Vertragsende durchgeführten Dynamisierungen. Er erleidet also bei entsprechender vertraglicher Gestaltung Verluste an Vermittlungsprovisionen aus dem von ihm aufgebauten Bestand dynamischer Lebensversicherungen. Diese Verluste sind unter Berücksichtigung einer Abwanderungsquote zu prognostizieren.

Um eine Abwanderungsquote im Einzelfall ermitteln zu können, sollte die Entwicklung der Dynamiken bestehender Verträge in der Vergangenheit betrachtet werden. Betrug die Zahl dynamisierter Verträge beispielsweise im drittletzten Jahr vor Vertragsende (2019) 25 und ist die Zahl dieser Dynamiken zum Vertragsende (2021) um 20 Prozent auf 20 gesunken, so ergibt sich daraus eine Abwanderung von jährlich rund zehn Prozent.

Praxistipp | Je breiter die Datengrundlage aus der Vergangenheit, umso präziser lässt sich daraus eine (durchschnittliche) Abwanderungsquote bei den Dynamiken ermitteln.

Sprich: Hinsichtlich der bei Vertragsende noch vorhandenen, dynamisierten Verträge stünde zu erwarten, dass diese auch im Folgejahr noch zu 90 Prozent (weiter) dynamisiert werden. Der Untervertreter erleidet also im ersten Folgejahr nach Vertragsende Provisionsverluste in Höhe prognostizierbarer 720 Euro (800 Euro x 90 Prozent). Bei einer Abwanderungsquote von jährlich zehn Prozent lassen sich die Provisionsverluste vorbehaltlich einer Betrachtung der Einzelfallumstände über einen Zeitraum von fünf Jahren abschätzen:

Ausgleichsrohbetrag Dynamikprovisionen

Jahresanfang

Abwanderung

Jahresende

1. Folgejahr:

800,00 Euro

10,00 %

720,00 Euro

2. Folgejahr:

720,00 Euro

10,00 %

648,00 Euro

3. Folgejahr:

648,00 Euro

10,00 %

583,20 Euro

4. Folgejahr:

583,20 Euro

10,00 %

524,88 Euro

5. Folgejahr:

524,88 Euro

10,00 %

472,39 Euro

Summe Provisionsverluste/Unternehmervorteile

2.948,47 Euro

Abzinsungsfaktor nach Gillardon (3 %; 5 Jahre)

55,6524

Ausgleichsrohbetrag (2.948,47 Euro : 60 x 55,6524)

2.734,82 Euro

Unter Berücksichtigung einer Abzinsung ergibt sich so ein Rohausgleich von 2.734,82 Euro, der den oben nach den „Grundsätzen Leben“ ermittelten Ausgleichsanspruch von 1.300,00 Euro deutlich übersteigt.

Finanzdienstleistungen

Sind die „Grundsätze Finanzdienstleistungen“ nicht vereinbart, können sie nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH nicht einseitig als Schätzgrundlage herangezogen werden. Die Berechnung erfolgt in diesem Fall allein nach den Vorgaben des § 89b Abs. 1 HGB. Wesentlich hierbei sind insbesondere vom Untervertreter neu geworbene Stammkunden.

Betrachtet man die Provisionszahlen des Untervertreters im Finanzdienstleistungsbereich im Beispielsfall, so fallen insbesondere die um ein Vielfaches ansteigenden Einnahmen im letzten und drittletzten Vertragsjahr auf.

Provisionen Finanzdienstleistungsbereich

2018

160,00 Euro

2019

3.800,00 Euro

2020

390,00 Euro

2021 (letztes Vertragsjahr)

4.280,00 Euro

Beruhen diese Anstiege beispielsweise darauf, dass der Untervertreter

  • einem von ihm geworbenen Neukunden,
  • mehrfach Finanzierungen, Kapitalanlagen oder Ähnliches vermittelt hat und
  • bei Vertragsende absehbar mit diesem Kunden auch weitere Geschäfte in diesem Produktbereich vermittelt und abgeschlossen werden können,

so kann vieles dafür sprechen, dass der Untervertreter künftige Provisionen verliert und der Unternehmer weiterhin Vorteile aus der Geschäftsbeziehung mit dem neu geworbenen Kunden hat. Im Beispielsfall ließe sich ein Provisionsverlust des Untervertreters beispielsweise für 2023 prognostizieren, wenn der Kunde seinem „Kaufintervall“ aus der Vergangenheit treu bleibt:

Ausgleichsrohbetrag aus Folgegeschäft

Jahresanfang

Abwanderung

Jahresende

Provisionen 2021

4.280,00 Euro

1. Folgejahr

2. Folgejahr

4.280,00 Euro

10,00 %

3.852,00 Euro

Summe Provisionsverluste/Unternehmervorteile

3.852,00 Euro

Abzinsungsfaktor nach Gillardon (3 %; 2 Jahre)

23,2660

Ausgleichsrohbetrag

(3.852,00 Euro : 24 x 23,2660)

3.734,19 Euro

Unter Berücksichtigung einer Abzinsung ergibt sich ein Rohausgleich von 3.734,19 Euro. Dieser übersteigt den nach den „Grundsätzen“ ermittelten Betrag deutlich.

Fazit | Die Berechnung nach dem Gesetz zeigt, dass höhere Ausgleichsansprüche als nach den „Grundsätzen“ möglich sind, dass aber auch ein höheres Risiko besteht, den Betrag durchzusetzen.

AUSGABE: VVP 4/2022, S. 9 · ID: 47804724

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