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AutokaufFernabsatz: Auf die Art und Weise des Versands („eigene Versandabteilung“) kommt es nicht an
| Es verblüfft immer wieder, wie sorglos professionelle Autohändler ihre Fahrzeuge „im Internet“ an Verbraucher verkaufen, ohne die notwendige Widerrufsbelehrung zu erteilen. Das Motto lautet wohl „Bis jetzt ist es doch immer gut gegangen.“ Und wenn es mal nicht gut geht, wird mit abenteuerlichen Argumenten versucht, einen Fernabsatz in Abrede zu stellen. |
1. Der eindeutige Ablauf
Der Autohändler inserierte das streitgegenständliche Fahrzeug auf der Internetplattform „mobile.de“. Der Käufer, ein Verbraucher, interessierte sich für das Fahrzeug und wandte sich per E-Mail an den Verkäufer. Der übersandte dem Käufer einen Vordruck für eine verbindliche Kfz-Bestellung, welche dieser unterzeichnete und an den Verkäufer zurücksandte. Dieser bestätigte die verbindliche Bestellung per Mail. Eine Belehrung über eine Widerrufsmöglichkeit war dem Käufer in dem gesamten Mailverkehr und in den schriftlichen Unterlagen unstreitig nicht erteilt worden.
Unternehmer an Verbraucher, keine gleichzeitige körperliche Anwesenheit bei Vertragsverhandlung und -abschluss, ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, das sind die Zutaten des Fernabsatzvertrags (§ 312 c Abs. 1 und 2 BGB). Bis dahin ist das völlig eindeutig. Das LG Hamburg sah das alles mit guter Begründung als gegeben an.
2. Das „für den Fernabsatz eingerichtete System“
Der letzte Rettungsanker des Händlers ist der von ihm vorzutragende und zu beweisende Umstand, der Vertrag sei nicht in einem für den Fernabsatz eingerichteten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zustande gekommen. Da kam nun der Einwand des Autohändlers, er habe keine „Versandabteilung“. Die wiederum sei Voraussetzung für einen Fernabsatz. Der Käufer habe das Fahrzeug auch selbst in Osnabrück abgeholt. Das LG Hamburg hat das auf der tatsächlichen Ebene gelöst: Es gab nämlich eine Werbung des Händlers „Wir liefern ihren Traumwagen natürlich gratis zum Bestimmungsort!“ (LG Hamburg 10.9.24, 314 O 10/24, Abruf-Nr. 244172, eingesandt von RA Stephan Rieß, Rotenburg).
3. Die „Versandabteilungsfrage“ ist vom BGH längst geklärt
Doch darauf wäre es gar nicht angekommen. Es geht um den systematischen Vertragsabschluss unter den Umständen des § 312c Abs. 1, 1. HS BGB. Auf das, was danach kommt, kommt es nicht an. Das hat der BGH rund um einen im Fernabsatz geschlossenen Maklervertrag herausgearbeitet (BGH 7.7.16, I ZR 68/15, Abruf-Nr. 188843).
Dort heißt es zu der „Es sei denn“-Ausnahme unter Rn. 51 zunächst, der Gesetzesbegründung sei zu entnehmen: Nur Geschäfte, die unter gelegentlichem, eher zufälligem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, sollen aus dem Anwendungsbereich ausscheiden. Der sachliche Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts soll demnach beispielsweise nicht schon dann eröffnet sein, wenn der Inhaber eines Geschäfts ausnahmsweise eine telefonische Bestellung entgegennimmt und die Ware dem Kunden nicht in seinem Ladenlokal übergibt, sondern mit der Post versendet.
4. Der Auftritt auf Internetportalen lässt Regelmäßigkeit vermuten
Zum systematischen Vertrieb heißt es unter Rn. 52 dann: „Die Klägerin hat ersichtlich den Vertrieb ihrer Leistungen über das Internet und damit für den Fernabsatz organisiert. Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Makler, der seine Dienste im Internet über Internetportale anbietet und der einen Kontakt zu seinen Kunden auf elektronischem oder telefonischem Weg herstellt, Fernabsatzverträge nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig schließt.“
5. Schutzzweck verbietet, das Verhalten nach Vertragsschluss einzubeziehen
Dass es nicht auf die Durchführung des Vertrags ankommt, verdeutlicht die Passage unter Rn. 53: „Es kommt nicht auf den von der Revision hervorgehobenen Umstand an, dass die Durchführung des Maklervertrags möglicherweise nicht immer und wie im Streitfall nicht ausschließlich auf elektronischem Weg stattfindet. Entscheidend ist allein, ob die Provisionszahlungspflicht des Maklerkunden auf einem Vertragsabschluss im Fernabsatz beruht. … Der Verbraucher, der ohne persönlichen Kontakt zum Dienstleister eine Leistungsverpflichtung eingeht, ist entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht deswegen weniger schutzbedürftig, weil im Anschluss an den Vertragsschluss ein persönlicher Kontakt bei der Ausführung der Dienstleistung erfolgt. … Dasselbe gilt für die Bestellung von Waren im Fernabsatz. Der Besteller einer Sache verpflichtet sich dabei zunächst zum Kauf und erhält erst später die Möglichkeit, die Ware zu prüfen. Es ist gerade der Zweck der Richtlinie 97/7/EG und der ihrer Umsetzung in deutsches Recht dienenden Vorschrift des § 312 Abs. 1 S. 1 BGB a. F., die Wahlfreiheit des Verbrauchers zu schützen, der ohne die Möglichkeit, die Ware oder die Dienstleistung zu prüfen, eine vertragliche Verpflichtung zur Bezahlung der Ware oder der Dienstleistung eingegangen ist. Von seiner Wahlfreiheit kann der Verbraucher nur bei Vertragsschluss Gebrauch machen. Zu diesem Zeitpunkt soll der Gefahr von Fehlentscheidungen des Verbrauchers begegnet werden, weil er aufgrund der räumlichen Distanz die vom Unternehmer angebotene Ware in der Regel nicht vor Vertragsschluss in Augenschein nehmen oder sich Kenntnis von den Eigenschaften der Dienstleistung verschaffen kann. Diese Gefahr kann durch spätere persönliche Kontaktaufnahmen nach Vertragsschluss, auch wenn diese von Anfang geplant und gewünscht waren, nicht beseitigt werden. Eine hiervon abweichende Betrachtungsweise liefe dem Schutzzweck des Fernabsatzrechts zuwider.“
6. Die „Versandabteilungsfrage“ führt in die Irre
Wer nicht belehrt, hat die verlängerte Widerrufsfrist gegen sich (§ 356 Abs. 3 S. 2 BGB) und bekommt mangels Belehrung keinen Wertersatz für die Benutzung (§ 357a Abs. 1 Ziffer 2 BGB). Der Autohändler, der sich mit dem „Keine Versandabteilung“-Argument retten möchte, riskiert die Zusatzkosten durch einen Rechtsstreit ohne Erfolgsaussichten.
AUSGABE: VA 11/2024, S. 185 · ID: 50196834