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BußgeldbescheidWirksamkeit des Bußgeldbescheids

Abo-Inhalt16.08.2024600 Min. LesedauerVon Von RA Detlef/Burhoff, RiOLG a. D., Leer/Augsburg

| Wir haben in VA 24, 124 über die in Zusammenhang mit der Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG bedeutsame Frage des Erlasses des Bußgeldbescheids berichtet. Daran schließen die nachfolgenden Ausführungen an, die sich mit der Wirksamkeit des Bußgeldbescheids befassen. |

Vorab: Die Frage der Wirksamkeit des Bußgeldbescheids ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl., § 66 Rn. 38 m. w. N.). Unabhängig davon muss der Verteidiger aber (selbst) jeden Bußgeldbescheid sofort auf seine Wirksamkeit prüfen. Etwaige/potenzielle Mängel sind zumindest im gerichtlichen Verfahren umgehend geltend zu machen. Dann kann ggf. eine Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG erreicht werden. Im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde kann es sich hingegen empfehlen, mit der Geltendmachung noch so lange zu warten, bis kein wirksamer, die Verjährung unterbrechender Bußgeldbescheid mehr erlassen werden kann.

Checkliste /  Wirksamkeit des Bußgeldbescheids/Mängelliste

Frage

Antwort

1. Welche Mängel führen zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids?

Nicht jeder, ggf. nur leichte Mangel hat die Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids zur Folge. Es muss vielmehr ein schwerwiegender Mangel vorliegen (BGHSt 23, 336 = NJW 70, 2222; BayObLG VRS 38, 348; OLG Düsseldorf NJW 06, 2647; 25.5.21, 1 RBs 33/21, DAR 22, 39; OLG Hamm DAR 70, 249; NStZ-RR 98, 372 = VRS 96, 43; 16.9.21, 4 RBs 277/21; OLG Jena StraFo 16, 254 = VRS 131, 21; OLG Stuttgart VRS 126, 10; AG Limburg 9.11.17, 1 OWi – 6 Js 11243/17, zfs 18, 295). Entscheidend für die Abgrenzung ist, ob im Bußgeldbescheid der dem Betroffenen gemachte Vorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht genügend abgegrenzt worden ist (BGH, a. a. O.), damit er nach Festsetzung der Rechtsfolge eine Vollstreckungsgrundlage bilden kann.

Praxistipp | Die Mängel des Bußgeldbescheids können auf das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde zurückgehen. Sie können aber auch in der äußeren Gestaltung oder im Inhalt des Bußgeldbescheids liegen. Der notwendige Inhalt des Bußgeldbescheids richtet sich nach § 66 OWiG.

2. Welche Verfahrensmängel führen zur Unwirksamkeit?

Im gerichtlichen Verfahren haben die Verfahrensmängel in der Regel nur geringen Einfluss auf die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids. Das AG entscheidet nämlich nicht darüber, ob die Verwaltungsbehörde den Bußgeldbescheid in zulässiger Weise erlassen hat, sondern in der Sache selbst (OLG Düsseldorf NStZ 83, 323). Insbesondere führt es auch nicht zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids, wenn dieser von einer örtlich unzuständigen Verwaltungsbehörde erlassen worden ist (OLG Hamm MDR 73, 518). Entsprechendes gilt grds. bei sachlicher Unzuständigkeit der Verwaltungsbehörde, es sei denn, diese ist völlig unzuständig (vgl. Göhler, 18. Aufl. 2022, § 36 Rn. 15 m. w. N.). Auch durch eine fehlerhafte Zustellung wird die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids nicht infrage gestellt (u. a. OLG Hamm VRS 49, 280).

3. Welche inhaltlichen Mängel können zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheides führen?

Die inhaltlichen Mängel des Bußgeldbescheids können sich auf seine Informationsfunktion, seine Abgrenzungsfunktion und/oder seine Funktion als Vollstreckungsgrundlage beziehen (vgl. wegen der Einzelheiten die folgenden Ziffern). Entscheidend ist, dass es sich um einen schwerwiegenden Mangel handelt.

Praxistipp | Als Faustregel gilt: Der Bußgeldbescheid bleibt so lange wirksam, wie er trotz eines vorhandenen Mangels seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen, (noch) erfüllen kann (vgl. KK-OWi-Kurz, a. a. O., § 66 Rn. 42 m. w. N.).

4. Welche Mängel hinsichtlich der Informationsfunktion führen ggf. zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids?

Ist der Vorwurf, der dem Betroffenen gemacht wird, nicht genügend konkret beschrieben, ist das so lange unschädlich, als darin nicht zugleich ein Mangel der Abgrenzungsfunktion (vgl. dazu Ziffer 7) zu sehen ist. Entscheidend ist, dass der Betroffene erkennen und prüfen kann, welcher Vorwurf gegen ihn erhoben wird (KK-OWi-Kurz, a. a. O., § 66 Rn. 43 m. w. N.).

  • Unzulängliche Angaben bei der Angabe des Verteidigers führen nicht zur Unwirksamkeit (KK-OWi-Kurz, a. a. O., § 66 Rn. 44 m. w. N.).
  • Fehler bei der genauen Angabe der Beweismittel berühren die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids nicht (vgl. z. B. OLG Celle NJW 70, 580; OLG Düsseldorf, NJW 70, 962).
  • Praxistipp | Sind im Bußgeldbescheid die Beweismittel nicht ordnungsgemäß angegeben, kann das ggf. aber zu einem Anspruch auf Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 71 OWiG in Verbindung mit § 246 Abs. 2 StPO führen. Der Verteidiger muss den entsprechenden Antrag stellen, wenn er den Mangel mit der Rechtsbeschwerde geltend machen will (BayObLG MDR 70, 440).
  • Das Fehlen der nach § 66 Abs. 2 OWiG erforderlichen Aufforderungen und/oder Hinweise führt nicht zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids (KK-OWi-Kurz, a. a. O., § 66 OWiG Rn. 46 m. w. N.).

5. Welche Mängel in der Beschreibung der Person des Betroffenen stellen ggf. einen wesentlichen Mangel der Abgrenzungsfunktion in personeller Hinsicht dar und können deshalb zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids führen?

Als Grundsatz gilt: Nur wenn die Person des Betroffenen so mangelhaft bezeichnet ist, dass seine Identität nach objektiven Kriterien nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ist der Bußgeldbescheid unwirksam (vgl. OLG Frankfurt DAR 77, 51). Das ist aber erst dann der Fall, wenn sich auch aus den übrigen zutreffenden Angaben zur Person des Betroffenen dieser nicht zuverlässig identifizieren lässt. Im Einzelnen gilt:

  • falscher oder falsch geschriebener Vorname reicht nicht, wenn die übrigen Angaben zur Person zur Identifizierung ausreichen (BayObLG DAR 79, 243 bei Rüth,
  • falscher Zuname reicht ebenfalls nicht (vgl. u. a. OLG Hamm VA 00, 51),
  • zweiter Vorname wird irrtümlich als Zuname angeführt, reicht ebenfalls nicht, wenn die übrigen Angaben reichen (OLG Hamm VRS 51, 217),
  • falsches Geburtsdatum und falscher Geburtsort reichen nicht, wenn Name, Vorname und Wohnort zutreffend sind (OLG Düsseldorf VRS 65, 455; siehe im Übrigen auch KK-OWi-Kurz, a. a. O., § 66 OWiG Rn. 49),
  • der Betroffene wird mit der falschen Geschlechtsbezeichnung bezeichnet (OLG Zweibrücken VA 05, 35 [männlicher Betroffener als Frau]).

6. Worauf ist zu achten, wenn sich der Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen als Verantwortlichen einer Firma richtet?

Betroffener eines Bußgeldbescheids kann nur eine natürliche Person sein. Deshalb muss z. B. auch bei einem Einzelkaufmann der Bußgeldbescheid nicht gegen die Firma, auf die z. B. das bei einem Verkehrsverstoß beteiligte Fahrzeug zugelassen war, erlassen werden, sondern gegen den Einzelkaufmann selbst (OLG Saarbrücken NJW 69, 1497). Die Ungenauigkeit der Bezeichnung des Betroffenen ist in diesem Fall im Übrigen so lange unschädlich bis festgestellt werden kann, dass hinter der im Bußgeldbescheid genannten Firma nicht eine juristische Person oder Handelsgesellschaft steht. Ist der Bußgeldbescheid hingegen an eine juristische Person gerichtet, besteht Verwechselungsgefahr, die i. d. R. zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids führt. Nur wenn trotz der falschen Angabe der Betroffene aufgrund der Gesamtumstände identifiziert werden kann, ist die Benennung der Firma unschädlich (OLG Koblenz MDR 74, 776; siehe im Übrigen KK-OWi-Kurz, a. a. O., § 66 Rn. 50 m. w. N.).

7. Welche Mängel in der Beschreibung der Tat sind ggf. ein wesentlicher Mangel der Abgrenzungsfunktion in sachlicher Hinsicht und können deshalb ggf. zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids führen?

Als Grundsatz gilt: Der Bußgeldbescheid muss die dem Betroffenen zur Last gelegte Tat zeitlich und örtlich und ihrem wesentlichen Inhalt nach hinreichend deutlich festlegen und begrenzen. Es muss für den Betroffenen zweifelsfrei feststehen, welcher Lebensvorgang durch die festgesetzten Rechtsfolgen geahndet werden soll (aus neuerer Zeit neben der bei Ziffer 1 zitierten Rechtsprechung noch: KG 31.1.19, 3 Ws (B) 42/19; OLG Bamberg DAR 09, 155; OLG Celle zfs 11, 647; und die Zusammenstellung bei Burhoff in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., 2024, Rn. 701 ff.

8. Führt die falsche Bezeichnung der Tatzeit zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids?

Ob ein Mangel bei der Angabe der Tatzeit den Bußgeldbescheid unwirksam macht, ist Frage des Einzelfalls. Entscheidend ist, ob Verwechselungsgefahr besteht (OLG Düsseldorf 25.5.21, 1 RBs 33/21, DAR 22, 39 [Rotlichtverstoß]; OLG Köln VRS 64, 286; OLG Hamm NStZ-RR 98, 372 = VRS 96, 43; DAR 99, 371). Die Obergerichte stellen darauf ab, ob dem Betroffenen erkennbar ist, welcher Lebensvorgang in Wahrheit gemeint ist (z. B. OLG Saarbrücken NJW 76, 1987; kritisch dazu KK-OWi/Kurz, a. a. O., § 66 OWiG Rn. 53). Das wird bei sog. folgenlosen Verkehrsverstößen häufig nicht der Fall sein. Etwas anderes gilt, wenn der Betroffene aufgrund der Gesamtumstände ohne Weiteres erkennen kann, welcher Verstoß gemeint ist, so z. B., wenn er nach dem Verstoß angehalten worden ist (vgl. für Rotlichtverstoß OLG Düsseldorf, a. a. O.; OLG Hamm DAR 99, 371; OLG Köln NStZ 82, 123). Fehlt bei Dauerordnungswidrigkeiten die genaue Tatzeit, lässt sich die Tat häufig durch die genaue Bezeichnung des Tatorts und des Tatverhaltens hinreichend abgrenzen.

9. Führen Mängel bei der Bezeichnung des Tatorts zur Unwirksamkeit?

Auch Fehler bei der Angabe des Tatorts führen nur zur Unwirksamkeit, wenn der Betroffene nicht aus den sonstigen Umständen zweifelsfrei erkennen kann, welcher historische Vorwurf ihm zur Last gelegt wird (OLG Düsseldorf VA 10, 123; 25.5.21, 1 RBs 33/21, DAR 22, 39). Entscheidend ist auch hier die ggf. bestehende Verwechselungsgefahr. Die Ausführungen zur fehlerhaften Tatzeit gelten entsprechend (siehe oben). Es kann auch ausreichend sein, wenn bei mehreren Verkehrsverstößen die einzelnen Verstöße durch den Zeitraum, in dem sie begangen worden sein sollen, im Bußgeldbescheid beschrieben werden (DAR 96, 324 [Ls.] = VRS 92, 36).

Praxistipp | Die Wirksamkeit eines wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassenen Bußgeldbescheids als Verfahrensgrundlage wird im Übrigen nicht dadurch infrage gestellt, dass bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät Riegl LR 90-235/P im Bußgeldbescheid als Tatort fälschlicherweise der Standort des Messgeräts und nicht der tatsächliche Messpunkt (Auftreffen des Laserstrahls auf das zu messende Fahrzeug) genannt wird (VA 02, 61).

10. Welche Folgen haben Mängel in der Bezeichnung der Tat?

Auch eine mangelhafte Bezeichnung der Tat kann zur Unwirksamkeit führen, wenn der Tatvorwurf so unzureichend abgegrenzt ist, dass eine Verwechselungsgefahr mit einer anderen gleichartigen OWi besteht (BGHSt 23, 336 = NJW 70, 2222).

  • Als unschädlich angesehen worden sind: falsches Kennzeichen des Fahrzeugs (BGH, a. a. O.), unzutreffende Beschreibung der Fahrtrichtung (OLG Düsseldorf DAR 70, 136; OLG Hamm 26.11.12, 4 RBs 291/12), Geschädigter wurde nicht genannt (OLG Köln MDR 70, 71; wegen weiterer Fälle aus der Rechtsprechung siehe die Nachw. bei KK-OWi/Kurz, § 66 Rn. 59 und bei Burhoff, a. a. O., Rn. 713).
  • Als unwirksam sind hingegen z. B. folgende Fälle angesehen worden: Behinderung beim Abbiegen wurde nicht näher konkretisiert (OLG Hamm MDR 70, 700), Verstoß der Vorfahrtsverletzung wurde nicht näher konkretisiert (OLG Düsseldorf MDR 70, 699), Messstelle bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung wurde nicht näher konkretisiert (OLG Koblenz 22.3.21, 2 OWi 6 SsBs 20721, zfs 21, 412; AG Kaiserslautern 12.11.21, 8 OWi 6070 Js 17914/21, zfs 22, 133; 8.12.21, 8 OWi 6070 Js 18242/21 [2], DAR 22, 284; AG Stadthagen 10.4.17, 11 OWi 108/17, VA 18, 31; ähnlich AG Husum VA 17, 220; AG Schleswig VA 18, 158; AG Rockenhausen VA 23, 121; s. aber OLG Koblenz 27.2.18, 1 OWi 6 SsRs 19/18; LG Kaiserslautern 7.2.22, 5 Qs 3/22, zfs 22, 593 m. abl. Anm. Krenberger; wegen weiterer Fälle siehe die Nachweise bei KK-OWi/Kurz, § 66 OWiG Rn. 60 und Burhoff, a. a. O., Rn. 716).

11. Machen Fehler oder unvollständige Angaben der gesetzlichen Merkmale der Tat den Bußgeldbescheid unwirksam?

Nein, denn dadurch wird die Abgrenzung von anderen Tatvorwürfen nicht infrage gestellt.

12. Kann in einem Bußgeldbescheid auf eine Anlage Bezug genommen werden?

Nach der Rechtsprechung ist es grds. nicht erlaubt, in einem Bußgeldbescheid auf eine Anlage Bezug zu nehmen. Das KG macht allerdings eine Ausnahme bei einfachen und leicht verständlichen Sachverhalten (KG 18.9.23, 3 ORbs 184/23, 122 Ss 86/23).

AUSGABE: VA 9/2024, S. 160 · ID: 50105370

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