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ErwerbsschadenPrognose der beruflichen Entwicklung bei unfallbedingter Querschnittslähmung eines 16-Jährigen

Abo-Inhalt16.08.2024760 Min. Lesedauer

| Wie eine detaillierte und überzeugende Prognose der beruflichen Entwicklung aussehen kann, zeigt eine Entscheidung des OLG Brandenburg. |

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Der 16-jährige Kläger hatte sich nach Abschluss der 10. Klasse um eine Ausbildung als Industriemechaniker bemüht, als er 1999 durch einen Unfall querschnittgelähmt wurde. Er ist seitdem ständig auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen. Das OLG Brandenburg (27.4.23, 12 U 65/21, Abruf-Nr. 242930) hat ihm u. a. einen Verdienstausfallschaden auf Basis eines monatlichen fiktiven Nettoeinkommens i. H. v. 3.041,56 EUR bis zum Erreichen des Regelrentenalters zuerkannt. Nach seiner Prognose hätte der Kläger ohne den Unfall den Beruf des Industriemechanikers erlernt und schließlich als Techniker für Maschinentechnik (TV der IG Metall, Vollzeitbeschäftigung im Bereich C 28 Maschinenbau) gearbeitet. An den damals im Osten raren Ausbildungsplatz wäre er durch einen Wohnortwechsel in den Westen Deutschlands gelangt. Die prognostizierte Bereitschaft zum Ortswechsel hat das OLG u. a. indiziell daraus gefolgert, dass der Kläger tatsächlich zur Fortbildung ein Leben im Internat auf sich genommen hat. Ein vom Kläger im Callcenter erzieltes Einkommen hat es auf den Verdienstausfallschaden nicht angerechnet, weil diese Tätigkeit überobligatorisch gewesen sei. Anders aber die Rente wegen der zwischenzeitlich eingetretenen teilweisen Erwerbsminderung hinsichtlich seiner Tätigkeit im Callcenter, da insoweit durch die entsprechenden Zahlungen der DRV Bund ein Anspruchsübergang gemäß § 116 SGB X erfolgte.

Relevanz für die Praxis

Ein Musterbeispiel für eine detaillierte und überzeugende Prognose der beruflichen Entwicklung; das Lesen des Volltextes der Entscheidung wird ausdrücklich empfohlen. Das OLG zeigt – wie schon die erste Instanz – vorbildlich auf, welche Anhaltspunkte zählen und Schwierigkeiten in der Prognose im Zweifel zulasten des Schädigers gehen. Denn dieser ist dafür verantwortlich, dass die berufliche Entwicklung des Geschädigten beeinträchtigt worden ist und daher auch für die besondere Schwierigkeit, eine Prognose über die hypothetische Entwicklung anzustellen.

Die Zumutbarkeit für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch den Geschädigten zur Schadenminderung gem. § 254 BGB bestimmt sich nach dessen Persönlichkeit, sozialer Lage, bisherigem Lebenskreis, Begabung und Anlagen, Bildungsgang, Kenntnissen und Fähigkeiten, bisheriger Erwerbsstellung, gesundheitlichen Verhältnissen, Alter, seelischer und körperlicher Anpassungsfähigkeit, Umstellungsfähigkeit, Art und Schwere der Schädigung, Familie und Wohnort (BGH VersR 74, 142; NZV 94, 63; NZV 07, 29; zur Zumutbarkeit der Weiterführung der bereits ausgeübten Geschäftsführertätigkeit: OLG Saarbrücken 8.3.24, 3 U 22/23). Kritisch wird es, wenn – wie hier – der Geschädigte eine Arbeit tatsächlich aufnimmt und damit zumindest vordergründig zeigt, dass ihm diese zuzumuten ist. Ein solches Verständnis, wie das des OLG, das gleichwohl die Tätigkeit des Klägers als ungelernter Arbeitnehmer in einem Callcenter im Hinblick auf eine Tätigkeit als staatlich anerkannter Techniker in einem Metallberuf als überobligatorisch ansieht und deshalb dieses Einkommen auf den Erwerbsschaden nicht anrechnet, muss der Geschädigte im Rechtsstreit dann erst einmal erringen. Die Ersatzleistung ist insoweit wegen des Forderungsübergangs nach § 116 SGB X an die DRV Bund zu zahlen.

Merke | Auf den ersten Blick dann überraschend, aber richtig ist die „Anrechnung“ der sich auf die Callcentertätigkeit beziehenden Erwerbsminderungsrente. Der Kläger musste nämlich seine Tätigkeit im Callcenter wegen seiner unfallbedingten Einschränkungen reduzieren; insoweit besteht sachliche Kongruenz zwischen dem Erwerbsschaden und der vom RV gezahlten Erwerbsminderungsrente.

AUSGABE: VA 9/2024, S. 147 · ID: 50100955

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