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Fiktive AbrechnungScheckheftgepflegt gebraucht gekauft: Was gilt in punkto Verweisung bei fiktiver Abrechnung?
| Bei der Abrechnung fiktiver Reparaturkosten kann der Versicherer den Geschädigten unter Umständen auf eine andere Werkstatt und deren Preise verweisen. Nicht möglich ist das nach der Rechtsprechung des BGH aber, wenn das unfallbeschädigte Fahrzeug nicht älter als drei Jahre oder zwar älter als drei Jahre, aber „scheckheftgepflegt“ ist. Der Erfindungsreichtum mancher Versicherer ist jedoch groß, was zu einer Leserfrage führt. |
Frage: Wir rechnen einen Schaden an einem Porsche auf Gutachtenbasis ab. Der Sachverständige hat den Schaden mit den Preisen des lokalen Porsche Zentrums kalkuliert. Das vom Mandanten gebraucht gekaufte Fahrzeug ist lückenlos scheckheftgepflegt. Der Versicherer schreibt nun: „Ihr Mandant besitzt das Fahrzeug seit 2023. Der letzte Service bei Porsche fand 2022 statt. Einen Anspruch auf die Stundenlöhne von Porsche hat er deshalb nicht, da er selbst den Aufwand dort nicht hatte.“ Was sagen Sie dazu?
Antwort: Das ist ein netter Versuch, aber die Rechtslage ist anders. Vorausgesetzt ist, dass zum Unfallzeitpunkt die nächste Inspektion noch nicht fällig war.
Das Maß der Dinge ist der objektive Fahrzeugstatus
Es geht bei der Frage der Unzumutbarkeit der Verweisung nach der Rechtsprechung des BGH objektiv um das Fahrzeug und nicht subjektiv um den Geschädigten. Das kann man beim BGH zweifach und unmissverständlich nachlesen.
„Scheckheftgepflegt“ macht das Fahrzeug wertvoller
In der grundlegenden Entscheidung des BGH heißt es zur Unzumutbarkeit der Verweisung:
„Bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten ebenfalls unzumutbar sein, sich im Rahmen der Schadensabrechnung auf eine alternative Reparaturmöglichkeit außerhalb einer markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Denn auch bei älteren Fahrzeugen kann … die Frage Bedeutung haben, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet, ‚scheckheftgepflegt‘ oder ggf. nach einem Unfall repariert worden ist. Dabei besteht – wie entsprechende Hinweise in Verkaufsanzeigen belegen – bei einem großen Teil des Publikums insbesondere wegen fehlender Überprüfungsmöglichkeiten die Einschätzung, dass bei einer (regelmäßigen) Wartung und Reparatur eines Kraftfahrzeugs in einer markengebundenen Fachwerkstatt eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese ordnungsgemäß und fachgerecht erfolgt ist.“ (BGH, Urteil vom 20.10.2009, Az. VI ZR 53/09, Rz. 15, Abruf-Nr. 133782).
Die subjektbezogene Komponente tritt hier zurück
In einem weiteren Urteil findet sich beim BGH der Satz: „Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung der Frage, ob sich die Verweisung des Klägers auf die freie Fachwerkstatt S. als unzumutbar darstellt, rechtsfehlerhaft auf dessen subjektive Sicht abgestellt.“ (BGH, Urteil vom 07.02.2017, Az. VI ZR 182/16, dort Rz. 12, Abruf-Nr. 192297).
Und der Senat stellt dort wegen entweder anderweitig oder gar nicht erfolgten Wartungen fest: „Dann aber hat der Kläger ersichtlich keinen Wert darauf gelegt, dass eine markengebundene Fachwerkstatt sein Fahrzeug regelmäßig wartet, weshalb er damit beispielsweise bei einem Verkauf seines Fahrzeugs nicht werben dürfte.“
Zurück zu Ihrem Fall: Ihr Mandant hat ein lückenlos scheckheftgepflegtes Fahrzeug gebraucht gekauft. Zum Unfallzeitpunkt war es immer noch scheckheftgepflegt. Also hätte der Mandant damit bei einem gedachten Verkauf des Fahrzeugs werben dürfen. Er hätte nach Einschätzung des BGH deshalb schneller und vermutlich auch hochpreisiger verkaufen können, weil das Publikum solche Fahrzeuge als „besser“ einschätzt.
Diesen „Stempelstatus“ des Fahrzeugs darf der Geschädigte nach der Logik des BGH erhalten, und deshalb darf er die Kosten einer „gedachten“ Reparatur im Porsche-Zentrum beanspruchen.
Bei fiktiver Abrechnung geht es um „gedachte Reparatur“
Dabei kommt es allein auf die Situation zum Unfallzeitpunkt an und nicht auf das Verhalten des Geschädigten danach. Der Einwand „… und warum legt der Geschädigte, wenn ihm das so wichtig ist, nun keine Reparaturrechnung des Porsche Zentrums vor?“ liegt nach der Systematik des BGH neben der Sache.
Im Urteil vom 29.10.2019 (Az. VI ZR 45/19, Abruf-Nr. 212615) führt der BGH unter Rz. 14 aus: „Die fiktive Schadensabrechnung knüpft schon begrifflich nicht an eine tatsächlich durchgeführte, sondern an eine fiktive Reparatur an.“ Also: Man stellt sich die Reparatur eben vor. Im Urteil vom 18.02.2020 (Az. VI ZR 115/19, Abruf-Nr. 215406) spricht der BGH unter Rz. 15 von der „gedachten Herstellung“.
Der Versicherer hat keinen Anspruch darauf zu erfahren, was der Geschädigte tatsächlich gemacht hat: „Nach der Rechtsprechung des Senats besteht in der Regel ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt. Ziel des Schadenersatzes ist die Totalreparation und der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei.“ (BGH, Urteil vom 25.09.2019, Az. VI ZR 65/18, dort Rz. 6, Abruf-Nr. 205554).
- Textbaustein 606: Gebraucht gekauft, immer noch scheckheftgepflegt, Stundenverrechnungssatz fiktiv (H) → Abruf-Nr. 50034681
AUSGABE: UE 6/2024, S. 15 · ID: 50024239