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UmsatzsteuerBMF regelt Details zur Umsatzsteuerbefreiung bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln
| Als Folge der Zytostatika-Rechtsprechung des BFH streiten Kostenträger und Krankenhäuser über die Umsatzbesteuerung im Fertigarzneimittelbereich. Jetzt hat sich das BMF geäußert: Es stellt die Fertigarzneimittelabgabe weitgehend umsatzsteuerfrei. SB stellt die Grundsätze des BMF vor und beleuchtet Handlungsempfehlungen für die Praxis. |
Streit um Umsatzbesteuerung von Fertigarzneimitteln
Der BFH hatte 2014 entschieden, dass die Verabreichung von Zytostatika im Rahmen einer ambulant in einem Krankenhaus durchgeführten Heilbehandlung umsatzsteuerfrei ist (BFH, Urteil vom 24.09.2014, Az. V R 19/11, Abruf-Nr. 173569). Als Folge dessen steht auch die Umsatzbesteuerung von Fertigarzneimitteln auf dem Prüfstand, die von Krankenhäusern im Rahmen einer ambulanten Behandlung abgegeben werden.
Verschiedene Gerichte haben sich bereits mit der Thematik befasst (z. B. zur Umsatzsteuerfreiheit: FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.10.2021, Az. 3 K 1024/17, Abruf-Nr. 227555; zur Rückforderung der Umsatzsteuer durch Krankenkassen: BSG, Beschluss vom 10.11.2021, Az. B 1 KR 5/21 B, Abruf-Nr. 227556). Nun hat das BMF seine Sicht zur Umsatzsteuer veröffentlicht (BMF, Schreiben vom 13.12.2022, Az. III C 3 – S 7170/20/10001 :001, Abruf-Nr. 232916).
BMF stellt Fertigarzneimittelabgabe umsatzsteuerfrei
Das BMF geht davon aus, dass in weiten Teilen die Abgabe von Fertigarzneimitteln durch Krankenhäuser im ambulanten Bereich umsatzsteuerfrei ist. Die wesentlichen Punkte lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Abgabe von Fertigarzneimitteln als umsatzsteuerfreie Leistung
Die Abgabe von nicht patientenindividuell hergestellten Fertigarzneimitteln durch eine Krankenhausapotheke ist als ein mit der ärztlichen Heil-/Krankenhausbehandlung eng verbundener Umsatz gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG umsatzsteuerfrei. Das setzt aber voraus, dass es sich um einen integralen Bestandteil der Therapie handelt, die Verabreichung der Medikamente im Rahmen der ambulanten Behandlung zur Erreichung der therapeutischen Ziele unentbehrlich ist und ohne diese die Heilbehandlung nicht erfolgversprechend wäre. Maßgeblich dafür ist die ärztliche Entscheidung über die Notwendigkeit der Behandlung.
Zudem kann die Abgabe von Fertigarzneimitteln auch eine unselbstständige Nebenleistung zu der nach § 4 Nr. 14 Buchst. a oder b UStG umsatzsteuerfreien Heilbehandlung darstellen. Darunter fällt die Abgabe von Medikamenten, wenn diese für die Heilbehandlung unentbehrlich ist und die ärztliche Leistung ohne sie nicht erfolgversprechend wäre. Maßgebend ist auch hier die ärztliche Entscheidung über Erfolg und Notwendigkeit der Behandlung.
Wichtig | Diese Grundsätze gelten für alle noch offenen Fälle.
2. Nichtbeanstandungsregelung für Umsätze vor 2023
Die Finanzverwaltung hat eine Nichtbeanstandungsregelung getroffen. Danach ist es auch zulässig, Umsätze, die vor dem 01.01.2023 ausgeführt wurden, als umsatzsteuerpflichtig zu behandeln.
Wurden die Fertigarzneimittel innerhalb eines Krankenhauszweckbetriebs nach § 67 AO abgegeben, ist bei Inanspruchnahme der Nichtbeanstandungsregelung der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG anzuwenden. Aus den damit zusammenhängenden Eingangsleistungen kann unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden.
Wichtig | Auch diese Regelungen gelten für alle noch offenen Fälle.
3. Billigkeitsregelung für den PKV-Bereich
Die Finanzverwaltung sieht eine Billigkeitsregelung zur vereinfachten Rechnungsberichtigung im Wege eines zivilrechtlichen Vergleichs zwischen dem Krankenhaus und der privaten Krankenversicherung vor. Als Berichtigungsvolumen kommt nur der Betrag in Betracht, der auf einem Anspruch der Krankenversicherung beruht. Die umsatzsteuerliche Berücksichtigung setzt die vorherige Zahlung des Vergleichsbetrags an die Krankenversicherung voraus.
Dabei ist zu beachten, dass die Umsatzsteuerberichtigung im Jahr der Rechnungsberichtigung vorzunehmen ist, die Vorsteuerkorrektur dagegen im ursprünglichen Jahr des Vorsteuerabzugs zu erfolgen hat.
Handlungsempfehlungen für die Praxis
Die Neuregelung zur Umsatzsteuerfreiheit gilt für die Umsätze ab dem 01.01.2023. Krankenhäuser sollten daher sicherstellen, dass ab dem 01.01.2023 auf die vorgenannten Umsätze keine Umsatzsteuer erhoben wird und auf den Rechnungen keine Umsatzsteuer ausgewiesen wird. Sie sollten außerdem bezüglich der Preisgestaltung prüfen, ob der aktuelle Krankenhausapothekenvertrag (§ 129a SGB V) Bestimmungen vorsieht, wonach Zuschläge oder Ähnliches den bei Umsatzsteuerfreiheit wegfallenden Vorsteuerabzug kompensieren. Andernfalls sollten die Kostenträger dringend zu neuen Vertragsverhandlungen aufgefordert werden.
Für Umsätze, die vor dem 01.01.2023 ausgeführt wurden, besteht für alle noch offenen Veranlagungszeiträume ein Wahlrecht des Krankenhauses. Es kann – wie oben unter Punkt 2 dargestellt – die Leistungen umsatzsteuerpflichtig oder -befreit behandeln. Das Wahlrecht ist rein steuerlicher Natur und für die Krankenkassen ohne Bindungswirkung. Soweit noch keine Bestandskraft eingetreten ist, sollten die Veranlagungen offengehalten werden und Steuerbescheide nicht bestandskräftig werden.
Umgang mit Rückforderungsansprüchen
Wie erste Erfahrungen zeigen, werden die Krankenkassen – ähnlich wie bei den Zytostatikafällen – gleichwohl Rückforderungsansprüche in Höhe der überzahlten Umsatzsteuer (abzüglich Vorsteuer) für die Umsätze der Vergangenheit durchsetzen wollen, soweit eine Rückabwicklung der steuerlichen Verhältnisse wie z. B. bei fehlender Bestandskraft der Steuerbescheide noch möglich ist.
Als Anspruchsgrundlage stützen sich die Krankenkassen auf die Urteile des BGH vom 20.02.2019 (Az. VIII ZR 115/18, Abruf-Nr. 208196, Az. VIII ZR 7/18, Abruf-Nr. 208177, Az. VIII ZR 66/18, Abruf-Nr. 208175 und Az. VIII ZR 189/18, Abruf-Nr. 207841) bzw. auf das Urteil des BSG vom 09.04.2019 (Az. B 1 KR 5/19 R, Abruf-Nr. 214215). Danach können die Krankenkassen nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung oder – bei Bestandskraft der Steueranmeldungen – aufgrund einer Nebenpflichtverletzung aus der jeweils getroffenen Vereinbarung einen Rückzahlungsanspruch gegenüber den Krankenhäusern auf die zu viel gezahlte Umsatzsteuer haben.
Verjährungsverzichtserklärungen der Krankenkassen
Soweit Krankenkassen mit vorformulierten Verjährungsverzichtserklärungen aufwarten, sollten diese genau geprüft werden. Ob bereits jetzt eine Notwendigkeit besteht, solche Erklärungen abzugeben, ist zweifelhaft.
Denn im Zweifel dürfte die Verjährung erst mit der Veröffentlichung des BMF-Schreibens vom 15.12.2022 zu laufen beginnen. Dies entspricht der eindeutigen Rechtsprechung aus den Zytostatika-Fällen (BGH, Urteil vom 20.02.2019, Az. VIII ZR 66/18, Abruf-Nr. 208175). Daraus folgt, dass im PKV-Bereich mit der dreijährigen Verjährungsfrist und im GKV-Bereich mit der vierjährigen Verjährungsfrist Verjährung erst 2025 bzw. 2026 für alle noch offenen Steuerfälle eintreten wird. Gleichwohl haben sich einige Krankenkassen bei Nichtabgabe einer solchen Vereinbarung zum Jahresende 2022 bereits zur Klageerhebung veranlasst gesehen.
Rückabwicklungswelle
Für die Krankenhäuser wäre es wünschenswert, wenn die Krankenkassen das ihnen für Umsätze vor dem 01.01.2023 gewährte steuerliche Wahlrecht annehmen. Die schon jetzt praktizierte Einforderung von Verjährungsverzichtserklärungen lässt allerdings vermuten, dass auf die Krankenhäuser eine „Rückabwicklung 2.0“ zurollen wird
Wichtig | Es bestehen allerdings Bedenken, ob die Ausweitung der Umsatzsteuerfreiheit in der Dimension gerechtfertigt ist, wie sie die Krankenkassen unter Berufung auf das aktuelle BMF-Schreiben voraussichtlich annehmen werden. Denn der EuGH vertrat seinerzeit in dem Vorabentscheidungsersuchen, das dem Urteil des BFH vom 24.09.2014 vorausging, die Auffassung, dass die umsatzsteuerlichen Befreiungsvorschriften restriktiv auszulegen sind (EuGH, Urteil vom 13.03.2014, Rs. C-366/12, Abruf-Nr. 140927).
AUSGABE: SB 2/2023, S. 36 · ID: 48961753