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AkteneinsichtAkteneinsicht vs. Steuergeheimnis bietet ein ungeahntes Verteidigungspotenzial

Abo-Inhalt01.07.202410 Min. LesedauerVon RD a. D. Dr. Henning Wenzel, Tremsbüttel

| Zwischen dem Steuergeheimnis (§ 30 AO) und dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers (§ 147 StPO) besteht ein Spannungsverhältnis. Der Beitrag zeigt die Rechtsgrundlagen auch mit Blick auf die E-Akten auf und erläutert, wie der Verteidiger auf Verstöße und Manipulationen reagieren muss. |

1. Verfassungsrechtliches Spannungsverhältnis

Das Akteneinsichtsrecht gem. § 147 Abs. 1 StPO dient dem Verteidiger dazu, die verfassungsmäßigen Rechte seines Mandanten als Subjekt des Ermittlungsverfahrens zu wahren. Er soll die Ermittlungen aktiv beeinflussen können, um die Sachaufklärung i. S. seines Mandanten zu lenken. Zugleich ist das Steuergeheimnis gem. § 30 AO zu beachten. Beide Rechtsinstitute sind verfassungsrechtlich verankert, weshalb sie über die verfassungsrechtlichen Abwägungen in eine Konkordanz zu bringen sind.

a) Informationelles Selbstbestimmungsrecht und Steuergeheimnis

Das Steuergeheimnis ist Ausfluss des informationellen Selbstbestimmungsrechts, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Der Staat darf nur solche Daten erheben und weiterverarbeiten, bei denen er dazu rechtlich befugt ist (Wenzel, AO-StB 23, 85). Der Bürger entscheidet selbst über das Wann und Wie der Erhebung und der Nutzung seiner Daten (Schmidt, GrundR, 26. Aufl., Rn. 270). § 90 Abs. 1 AO durchbricht diese Eigenverantwortlichkeit des Steuerpflichtigen. Danach muss er aktiv dazu beitragen, den Sachverhalt vollständig und wahrheitsgemäß aufzuklären. Sein logistischer, organisatorischer und finanzieller Aufwand erstreckt sich bis zur Grenze des Zumutbaren (Henk, in: Große/Melchior/Lotz/Ziegler/Henk/Hudasch/Tenbergen, AO, 22. Aufl., Rn. 1009). Durch § 40 AO wird die Erklärungsobliegenheit sogar auf solche Einkunftsquellen ausgedehnt, die aus inkriminierten Leistungen stammen.

Beispiel

A gibt seine Einkünfte aus Raubkopien von Software an, ohne dass die Strafverfolgungsbehörde hiervon bislang Kenntnis hatte. Bestünde das Steuergeheimnis nicht, müsste und könnte die Steuerverwaltung diese Information der pönalisierten Einkünfte der Staatsanwaltschaft einschränkungslos mitteilen. Wurden die Daten entgegen § 30 Abs. 4 u. 5 AO unbefugt weitergeleitet, kann der Verteidiger wegen § 355 StGB Strafanzeige erstatten; es sind Beweisverwertungsverbote zu prüfen.

Das Steuergeheimnis schützt den Steuerpflichtigen vor einer verfassungsrechtlich ausgeschlossenen Selbstbelastung (Wenzel, AO-StB 23, 85). Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist aber aufgrund der Schrankentrias sowie der verfassungsimmanenten Schranken beschränkbar. Die Finanzverwaltung als Exekutive muss das Rechtsstaatsgebot und die nachgeordneten formal- und materiell-rechtlichen Regeln beachten (Schmidt, StaatsR, 22. Aufl., Rn. 160).

Beispiel

Die Steuerfahndung erhält bei Auswertung der beschlagnahmten IT des Beschuldigten Kenntnis von kinderpornografischem Material. Hier ist wegen § 30 Abs. 4 Nr. 4 lit. a AO, § 184c Abs. 1 StGB die Weitergabe der Erkenntnisse vorgeschrieben.

b) Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs und Akteneinsicht

Eine solche verfassungsimmanente Schranke ist der Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs, der auch das Akteneinsichtsrecht umfasst, Art. 103 Abs. 1 GG (Kämpfer/Travers, in: MüKo, StPO, 2. Aufl., § 147 Rn. 1). Das Akteneinsichtsrecht als Teil des rechtlichen Gehörs impliziert die vollständige und rechtzeitige Information des Grundrechtsträgers (Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl., Art. 103 Abs. 1 GG Rn. 33 ff.). Das rechtliche Gehör enthält neben dem subjektiven Schutz des Bürgers vor allem eine objektive Verfahrensvorschrift, die sämtliche staatliche Gewalt bei ihrem Handeln bindet (Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu, 25. Aufl., Art. 103 GG Rn. 17). Ein Verstoß gegen das Akteneinsichtsrecht aus § 147 Abs. 1 StPO verletzt insoweit Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfGE 18, 399, 405 f.: 9.3.1965, 2 BvR 176/63 LS 2).

c) Konkordanz zwischen Steuergeheimnis und Akteneinsicht

Zwischen diesen Verfassungsgrundsätzen und dem daraus resultierenden Steuergeheimnis sowie dem Akteneinsichtsrecht ist eine Konkordanz durchzuführen. Die Anklagebehörde oder das Gericht sind nicht befugt, darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die ermittelten Tatsachen, Informationen, Urkunden oder andere Akteninhalte einen generellen Beweiswert für das Verfahren haben oder nicht (Nolte/Aust, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, 7. Aufl., Art. 103 GG Rn. 32). Auch über das Fortbestehen eines solchen Beweiswertes dürfen diese nicht entscheiden (BVerwGE 13, 187, 190).

Beispiel

Ursprünglich wurde gegen A wegen Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung ermittelt. Die Urkundenfälschung konnte jedoch nicht erhärtet werden. Die Staatsanwaltschaft (StA) meint, die gefundenen Urkunden seien daher nicht mehr relevant.

Ermittlungsbestandteile dürfen nicht vorzeitig ausgesondert oder vorenthalten werden. Eine gegenteilige Ansicht der StA ist unerheblich. Es unterfallen alle Aktenbestandteile der Akteneinsicht, bei denen aus Sicht des Beschuldigten die Möglichkeit einer informellen Beeinflussung des Gerichts möglich erscheint (Schulze-Fielitz, in: Dreier, a. a. O., Art. 103 Abs. 1 GG Rn. 34).

Beispiel

Gegen den B wird ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen der Tätigkeit als Callboy geführt, da er keine Steuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2018 bis 2020 abgab. Seine Ex-Freundin F belastet ihn nach der Trennung.

Bei Akteneinsicht des Verteidigers wird durch Rückgriff auf § 30 Abs. 2 AO seitens der Steuerfahndung eigenmächtig die Information geschwärzt, dass die B zuvor mit A in einer Liebesbeziehung stand, sie von seiner Arbeit peinlich berührt sei und sie sich von ihm gedemütigt fühle. Diese Informationen sind jedoch für die Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage und der Glaubwürdigkeit der Zeugin F relevant.

Aufgrund des faktischen Betrachtungsansatzes kann bereits allein die Kenntnisnahmemöglichkeit des Gerichts zu einem Nachteil des Beschuldigten bzw. Angeklagten führen (BVerfG 3.4.04, 1 BvR 2378/98, Rn. 318 = BVerfGE 109, 279, 370 f.). Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft ist es damit verboten, die zu überlassenden Aktenbestandteile zu sichten oder auszuwählen (BGH 4.10.07, KRB 59/07, Rn. 11, NJW 07, 3652, 3653).

Gleichsam ist zu beachten, dass das Strafprozessrecht dem verfassungskonformen Erkenntnisverfahren dient, mit dem die Grundrechtsbeeinträchtigung der Freiheitsstrafe verfassungsrechtlich abgesichert und legitimiert wird. Der drohende, sanktionierende Charakter der Strafe ist als sehr starke Grundrechtsbeeinträchtigung einzuordnen, die sich bei rechtskräftigem Urteil verstetigt. Das informelle Selbstbestimmungsrecht und damit das Steuergeheimnis stehen daher nicht auf gleicher Stufe mit dem Prozessgrundrecht, sondern müssen sich diesem bereits auf Verfassungsebene unterordnen.

Zudem unterfällt das Erkenntnisverfahren den Vorgaben des Art. 6 EMRK; damit sind die Ermittlungsbehörde sowie das zuständige Gericht verpflichtet, das Verfahren fair und transparent durchzuführen. Der Beschuldigte muss als Subjekt eigenbestimmt am Verfahren teilnehmen können. Zu jeder Zeit des Verfahrens ist die Parität des Wissens sicherzustellen (Jahn, in: Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 147 StPO Rn. 4). Mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens soll neben dem rechtsstaatlichen Hauptverfahren vor allem das Ermittlungsverfahren abgesichert werden, in dem der Beschuldigte eigeninitiativ, selbstständig und beeinflussend handeln darf. Hierfür muss er zu jedem Zeitpunkt der Ermittlungen einen umfassenden und detaillierten Überblick über das derzeitige Ermittlungsergebnis haben, das dem der ermittelnden Behörde entspricht.

Das Akteneinsichtsrecht ist mithin für den Strafverteidiger und seinen Mandanten eine der wichtigsten Erkenntnisquellen, weshalb das informelle Selbstbestimmungsrecht nicht zu einer Hürde bei der sachgerechten Verteidigung und Informationsgewinnung werden darf (Heerspink, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 66. Lfg, § 392 AO Rn. 392).

Beispiel

Woher stammt der Ermittlungsansatz, welche Indizien oder Tatsachen wurden ermittelt und inwieweit tragen diese den Tatvorwurf, was wurde zum subjektiven Tatbestand ermittelt, in welchem Umfang wurden auch entlastende Umstände ermittelt und berücksichtigt, wurden Beschuldigter und Zeugen richtig belehrt?

Gleichsam ist zu beachten, dass die informelle Selbstbestimmung im Rahmen der Konkordanz weiterhin ihre Wirkung entfaltet, wenn die geschützten Daten objektiv nicht zur Verteidigung beitragen können bzw. keinen Bezug zum Prozessstoff haben.

Beispiel

Steuerliche Daten Dritter aus der Einkommensteuerakte betreffen nicht den Veranlagungszeitraum.

d) Gleichlauf von herkömmlicher und elektronischer Akte

Diese Grundsätze gelten auch für die digitalisierte Ermittlungsakte (Growe/Gutfleisch, NStZ 20, 633 ff.). Das Akteneinsichtsrecht erfasst damit Beweismittel, Verfügungen, Beschlüsse, dokumentierte Verfahrensgegenstände sowie elektronisch gespeicherte Daten (Wohlers, in: SK-StPO, 5. Aufl., § 147 Rn. 25).

2. Aktenführung als Grundlage der Akteneinsicht

Die Staatsanwaltschaft muss sicherstellen, dass die Aktenführung mit ihren Grundprinzipien der Vollständigkeit, der Aktenwahrheit und Aktenklarheit sowie der Unveränderlichkeit durch sämtliche Ermittlungsbehörden eingehalten wird. Denn mit der verschriftlichten und verstetigten Aktenführung wird die Entscheidung vorbereitet, ob Anklage erhoben (§ 170 Abs. 1, § 169a StPO) oder das Ermittlungsverfahren eingestellt werden soll, § 170 Abs. 2 StPO. Diese Regeln sind deshalb auch bei der Akteneinsicht zu beachten und anzuwenden (BGH 10.10.90, StB 14/90, Rn. 4 f.).

3. Gleichrang von Verteidigern und Ermittlungsbehörden

Der Verteidiger ist ein Organ der Rechtspflege, der auch gegenseitige Kontrollaufgaben wahrnimmt (Schmidt, Staatsorganisationsrecht, 22. Aufl., Rn. 162). Insoweit ist es die alleinige Befugnis des Strafverteidigers, selbst, autonom und eigenverantwortlich zu entscheiden, welche Unterlagen für seine Verteidigung relevant sein könnten, ohne dass zuvor eine Selektion durchgeführt werden dürfte. Sonst könnte das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf effektive Verteidigung unterminiert werden (LG Koblenz 8.6.20, 10 Qs 29/20, Pkt. II 1. a.).

Merke | Der Steuerberater ist im Hinblick auf die Akteneinsicht dem Anwalt gleichgestellt, sobald er die Strafverteidigung eigenverantwortlich wahrnimmt (Lampe, PStR 19, 179). Solange der Steuerberater in den Grenzen des § 392 Abs. 1 S. 1, § 386 AO das steuerstrafrechtliche Mandat ausüben kann, stehen ihm auch diese strafprozessualen Rechte vollumfänglich zu.

4. § 147 AO als Fall des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO

Eine Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO ist zulässig, wenn sie durch Bundesgesetz ausdrücklich zugelassen, also im Bundesgesetz enthalten ist (Nr. 7 zu § 30 AEAO 2019). Die Befugnisnorm braucht die Erlaubnis aber nicht i. S. e. Zitiergebots zu erfüllen (Drüen, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 30 AO 173. Lfg. 11/2022, Rn. 71). Eine methodische Auslegung der Norm reicht aber nicht aus, vielmehr muss die Durchbrechung eindeutig und unmissverständlich enthalten sein (Krömker, in: Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 30 AO, 136. Lfg. 02/2023, Rn. 36).

§ 147 Abs. 1 StPO beinhaltet mit seiner Befugnis des Verteidigers zur Akteneinsicht in die dem Gericht vorliegenden oder diesem im Fall der Erhebung der Anklage vorzulegenden Akten einen eindeutigen und unmissverständlichen Normbefehl, ohne dass diese Vorschrift dem Wortlaut nach weitere Beschränkungen oder Ausnahmen enthielte; seine Einsichtsbefugnis reicht so weit wie die des Gerichts. Der Wortlaut des § 147 Abs. 1 StPO enthält damit ein unbeschränktes, umfassendes Einsichtsrecht des Verteidigers, sofern nicht durch die weiteren Absätze des § 147 StPO Einschränkungen vorgenommen werden. Diese sind jedoch nur temporär ausgerichtet und führen zu keiner Reduktion der Akteneinsicht, da sie spätestens nach Anklageerhebung erlöschen.

Die Akte ist dem Richter vollständig, ungefiltert und ungeschwärzt vorzulegen, ohne dass das Steuergeheimnis Restriktionen auslösen könnte (Wenzel, AO-StB 23, 85). Wegen Vorgabe des paritätischen Wissens, des Fair-Trial-Prinzips, der Grundwertungen aus Art. 103 GG sowie des klaren Normbefehls aus § 147 Abs. 1 StPO ist das Akteneinsichtsrecht – als eine der wichtigsten Regelungen im strafprozessrechtlichen Verfahrensrecht (Beulke, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 5. Aufl., § 147 Rn. 1) – darauf ausgerichtet, dass solche Handlungen unterlassen werden, die die Stellung des Verteidigers und vor allem seines beschuldigten Mandanten unterminieren könnten. Es ist bereits der bloße Anschein eines Täuschens, Verbergens oder Manipulierens der Ermittlungsbehörde zu verhindern (BVerfG 14.6.16, 2BvR 2474/14, Rn. 21, StV 17, 361, 362).

§ 147 Abs. 1 StPO ist eine unmissverständliche Regelung, die das Steuergeheimnis durchbricht (Müller-Jacobsen/Peters, wistra 09, 458, 460 f.). Dem Verteidiger ist ein umfassendes, gleichrangiges Einsichtsrecht zu gewähren, bei dem er im schriftlichen Ermittlungsverfahren denselben Wissensstand wie die Ermittlungsbehörden und das -gericht erhält. Vor diesem Hintergrund ist das Akteneinsichtsrecht gem. § 147 StPO als solche bundesgesetzliche Vorschrift i. S. d. § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO einzuordnen (LG Frankfurt a. M. 29.6.05, 5/2 AR 3/2005, StraFo 05, 379; Müller-Jacobsen/Peters, a. a. O.; Lesch, StraFo 21, 496, 502; Madauß, NZWiSt 21, 305, 306; Polenz, NJW 09, 1921, 1924; Rüsken, in: Klein, § 30 AO Rn. 139; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 30 AO, 173. Lfg. 11/2022, Rn. 74).

Merke | Selbst wenn dieser Sichtweise nicht gefolgt wird, wäre § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO verfassungskonform auszulegen. Danach ist das Steuergeheimnis zu durchbrechen. Die Akteneinsicht des Verteidigers dient dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und ist daher vollständig zu gewähren.

5. Schwärzen oder Entheften

Die Ermittlungsbehörden schwärzen oder entheften immer mal wieder Seiten. Dies ist aber wegen § 147 StPO regelmäßig verboten. Nur einzelne Ausnahmevorschriften räumen solche Maßnahmen ein.

Beispiel

Beschränkung der Akteneinsicht wegen § 68a Abs. 5 StPO, eingeschränkte Akteneinsicht bei verdeckten Maßnahmen wegen § 101 Abs. 2 StPO

Im Wirtschaftsstrafrecht greift nur die Ausnahme nach § 68 Abs. 5 StPO vereinzelt ein. Trotzdem kommt es seitens des FA oft bei Täterschafts- oder Teilnahmeformen dazu, dass Aktenbestandteile geschwärzt oder entheftet werden.

Beispiele: Mittäterschaft, Beihilfe

Anders als die Staatsanwaltschaften führen die Steuerfahndung bzw. Strafsachen- und Bußgeldstellen bei mehreren Beschuldigten für jeden Beschuldigten ein eigenes Ermittlungsverfahren. Das Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers erstreckt sich – wie das des Richters – allerdings auch auf die Akten der anderen Täter und/oder Teilnehmer (Wenzel, AO-StB 23,117 f.).

Bei einigen Dokumenten sind verfahrenserhebliche Teile mit anderen unerheblichen Daten untrennbar verwoben; in einem solchen Fall muss die aktenführende Stelle vor Einfügen in die Hauptakte abschließend entscheiden, ob sie es vollumfänglich aufnehmen will.

Merke | Die aktenführende Stelle muss die vollständigen Daten aufnehmen, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang eine Entlastung vom Tatvorwurf ergibt.

Fraglich bleibt, ob Passagen aufgrund des Steuergeheimnisses vor dem Einheften geschwärzt werden dürfen (so Drüen, in: Tipke/Kruse, § 30 AO, 173. Lfg. 11/2022, Rn. 70).

Beispiel

B ist Beschuldigte des Steuerstrafverfahrens. Sie wird mit ihrer Ehefrau A, die nicht als Beschuldigte geführt wird, zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Bestandteile der gemeinsam veranlagten Steuerakte sollen als Kopie in die Ermittlungsakte übernommen werden. Die Strafsachen- und Bußgeldstelle will alle Angaben zu A beim Kopieren abdecken und damit schwärzen.

Das Gericht hat das Recht und die Durchsetzungsmöglichkeiten, sich jederzeit eine vollständig ungeschwärzte Akte herstellen zu lassen (Wenzel, AO-StB 23, 117). Macht das Gericht hiervon Gebrauch, ist dem Strafverteidiger ebenfalls das Einsichtsrecht in die ungeschwärzte Akte zu gewähren. Im Übrigen ist m. E. auch eine partielle Schwärzung im Vorfeld der Überführung des Dokuments in die Ermittlungsakte unzulässig. Das Gericht und der Verteidiger sind stets in denselben Wissensstand wie die Ermittlungsbehörde zu versetzen. Durch solche Schwärzungen könnte unzulässig gefiltert werden, weshalb es bei der oben beschriebenen Vorabauswahl verbleiben muss (Müller-Jacobsen/Peters, a. a. O., Krug/Skoupil, NZWiSt 15, 354).

AUSGABE: PStR 7/2024, S. 158 · ID: 49420290

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