Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Juli 2024 abgeschlossen.
RusslandsanktionenAusländische Quellen sind unbestrittene Grundlage für Strafverfahren
| Bislang 13 Sanktionspakete (das 14. ist auf dem Weg) führten zu immer mehr gelisteten Waren und großer Unsicherheit, was noch erlaubt ist und was nicht. Derzeit befinden sich gerade die Verfahren aus den frühen Sanktionsjahren vor den Gerichten, und es gibt noch immer wenige Urteile zu Verstößen gegen das Russland-Embargo. Trotzdem gibt es rasant steigende Ermittlungszahlen und auch zu Überlegungen der Zollfahndung, sich neu aufzustellen. Brisant ist, dass ausländische Quellen als Ermittlungsansatz genutzt werden, und dass dies keiner hinterfragt. |
1. Kein Ende in Sicht
Beinahe jede Woche wird eine Pressemitteilung der Zollfahndung im Zusammenhang damit veröffentlicht, wie Sanktionen umgangen werden, meist mit spektakulären Festnahmen und immensem Tatumfang. Daneben deckt der investigative Journalismus immer mehr Umgehungen auf, was zu weiteren Ermittlungen bei den Behörden führt.
Ein prominentes Beispiel sind Luxusautos. Üblicherweise werden diese Fahrzeuge regulär bei deutschen Händlern gekauft. Anschließend wird vorgespiegelt, dass diese nach Weißrussland ausgeführt werden. Die Fahrzeuge werden auf Bestellung beschafft oder sie werden, kurz nachdem sie nach Russland verbracht wurden, in einschlägigen Portalen und Telegram-Chats zum Kauf angeboten. Die in den Anzeigen veröffentlichten Bilder lassen meist noch die deutschen Ausfuhrkennzeichen oder andere sichtbare Merkmale erkennen, die es den Ermittlungsbehörden ermöglichen, diese einem Kaufgeschäft zuzuordnen.
Fahrzeuge sind aber nur ein Teil des Ganzen. Die Liste der sanktionierten Güter ist lang. So lang, dass geunkt wird, eine Positivliste könnte kürzer sein. Für Unternehmen, selbst mit jahrelanger Erfahrung im Exportkontrollrecht, auch eine neue Erfahrung: Nicht die Sensibilität der Ware ist ausschlaggebend, sondern das Zielland. Ähnliches kannte man zwar schon von Nordkorea, aber bei genauer Betrachtung ist die Außenhandelsbilanz mit Nordkorea doch eher gering. Anders sieht es beim Iran aus. Denn hier ist die Art der Ware im Hinblick auf die Verwendung wieder im Vordergrund. Im Russlandgeschäft muss sich dagegen auch bei Holzwaren und Verpackungsmaschinen genau überlegt werden, ob das Geschäft möglich ist oder nicht.
Viele Unternehmen haben sich deswegen von Russland ab- und anderen Ländern zugewandt. Immer mit dem Risiko, dass es sich um Umgehungsländer handelt. Die No-Russia-Klausel soll helfen. Aber ist sie nachher die Sicherheit, dass nicht doch ein Strafverfahren droht?
2. Zoll nutzt russische Datenbanken
Der Zollfahndungsdienst kommt über verschiedene Wege zu seinen Ermittlungsverfahren, u. a. durch Geldwäscheverdachtsmeldungen von Banken wegen auffälliger Transaktionen, Auswertungen von Zollprüfungen und Ausfuhranmeldungen und Hinweisen nach Art. 6b VO (EU) 833/2014 oder nach § 10 Sanktionsdurchsetzungsgesetz.
Ein Quell der Freude sind aber ausländische Datenbanken, die dezidiert über russische Importe informieren. Die Daten beinhalten neben der Zolltarifnummer, dem Herkunfts- und Lieferland auch Details zum Gewicht und statistischen Warenwert. Besonders delikat: Die Daten zum Exporteur und Importeur liegen ebenfalls offen vor.
3. Indiziensammlung leicht gemacht
Diese Datenbanken bieten überaus gute Services, um Daten aufzubereiten. Schon in der Testversion (ohne Nennung von Ross und Reiter) kann man nach HS-Codes mit Herkunftsland Deutschland suchen und findet Faszinierendes:
Rund 700 Lieferungen aus Deutschland für eine Zolltarifnummer, die in der VO (EU) 833/2014 gelistet ist. Man könnte es sogar noch auf einzelne Orte herunterbrechen. Der Autor hatte für den Test keinen Zugriff auf die neuesten Daten, aber um das Prinzip zu erläutern, reicht auch der Test-Screenshot. Deutsche Unternehmen beklagen seit Jahren immer wieder, dass sie hinsichtlich einer konkreten Lieferung (ohne Sanktionsbezug) durch ausländische Wettbewerber angesprochen werden, um bessere Angebote zu erhalten. Die undichte Stelle ist dabei nicht, wie manch einer vermutet, der europäische Zoll, sondern die freigiebigen Importdaten (nicht nur in Russland).
4. Kann die Indizienkette vor Gericht standhalten?
Schon immer haben aus halbwegs öffentlichen Quellen gewonnene Daten hergehalten, um einen Anfangsverdacht zu begründen. Im aktuellen Geschehen stützen auch die Staatsanwaltschaften ihre strafprozessualen Maßnahmen auf diese einsehbaren Importdaten, ohne deren Belastbarkeit zu prüfen. Zumeist ist der so ermittelten (vermeintlichen) Einfuhr in Russland jedoch gar keine passende Ausfuhr aus Deutschland gegenüberzustellen. Sicherlich findet durch die Zollbehörden eine tiefergehende Recherche in den ATLAS-Ausfuhrdaten statt. Dies führt dazu, dass (korrekte) Lieferungen in bekannte Umgehungsländer schnell zum Problem werden, wenn diese dann zu Umgehungslieferungen erkoren werden. Anhand dieser Indizienkette „Ausfuhr – Umgehung – Einfuhr Russland“ wird nicht nur die rechtswidrige Tat selbst, sondern gerne auch der Vorsatz konstruiert.
5. Kann es so weitergehen?
Die bisherige Praxis wird durch die Gerichte nicht wirklich infrage gestellt. Das mag daran liegen, dass derzeit die Verfahren aus 2022 und früher verhandelt werden. Neuere Verfahren sind noch gar nicht bei den Gerichten angekommen. Die Anzahl der Ermittlungsverfahren wegen Embargoverstößen steigt unabhängig davon kontinuierlich an:
- 2021: ca. 150
- 2022: ca. 950
- 2023: ca. 1.500
Im ersten Sanktionsjahr von 2021 auf 2022 eine exorbitante Steigerung um mehr als das Sechsfache. 2023 haben sich die Zahlen immerhin noch knapp verdoppelt. Letztlich muss sich der Zollfahndungsdienst mit einer Verzehnfachung der Ermittlungsverfahren innerhalb von 3 Jahren herumschlagen. Spannend wären nun noch Statistiken der Zentralstelle für Sanktionsüberwachung (ZfS) und der Financial Intelligence Unit (FIU). Unstreitbar ist, dass die Fallzahlen weiter steigen werden. Deswegen arbeitet der Zollfahndungsdienst im Hintergrund daran, seine Struktur zu ändern, und plant nun, in jedem Zollfahndungsamt ein Sachgebiet für Außenwirtschaftsverstöße einzurichten.
Fazit | Eine Sicherheit für Unternehmen im Bereich der Exportkontrolle kann es so nicht geben, wenn eine Indizienkette für Einfuhren nach Russland bei Strafverfahren in Deutschland zu einer Verurteilung führt. Verteidiger in Außenwirtschaftsstrafsachen sind gut beraten, sich die Grundlage für die Strafverfahren intensiv anzuschauen. |
AUSGABE: PStR 7/2024, S. 151 · ID: 49977158