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AuslieferungSo lauten der Tatbegriff und der Grundsatz der Spezialität bei Auslieferungen (Art. 14 EuAlÜbk)

Abo-Inhalt15.04.2024246 Min. LesedauerVon RA Philipp Külz, FA StR, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA), RSM Ebner Stolz, Köln, und StA Maximilian Gercke, Hamburgvon RA Philipp Külz, FA StR, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA), RSM Ebner Stolz, Köln, und StA Maximilian Gercke, Hamburg

| Mit Beschluss vom 20.9.23 hat der BGH entschieden, dass der Grundsatz der Spezialität der Verurteilung eines ausgelieferten Angeklagten nicht notwendigerweise entgegensteht, auch wenn die rechtliche Würdigung der Verurteilung von jener der Auslieferungsbewilligung abweicht. Jedoch muss ihnen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegen. |

Sachverhalt

Der Angeklagte B beriet von 2006 bis 2011 als Steuerberater und Rechtsanwalt gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten Dr. JR eine Privatbank dabei, sog. „Cum/Ex“-Leerverkaufgeschäfte umzusetzen (anklagegegenständlich waren nur die Jahre 2007 bis 2011). Bei diesen führten die Bank sowie andere Akteure Leerverkäufe von Aktien durch und ließen sich hierfür nicht angefallene Kapitalertragsteuerbeträge durch den Staat erstatten. Hierdurch entstand ein Steuerschaden von insgesamt ca. 276 Mio. EUR. Nachdem der B im November 2012 aufgrund der gegen ihn laufenden Ermittlung in die Schweiz geflohen war, wurde er aufgrund eines Auslieferungsersuchens vom 23.2.21 an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert. Das LG Bonn hat ihn wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen i. H. v. ca. 13,7 Mio. EUR angeordnet. Die dagegen eingelegte Revision des B blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe

Der Verurteilung des B steht kein Verfahrenshindernis entgegen, da er wegen derjenigen Taten verurteilt wurde, die auch der Auslieferung zugrunde lagen (BGH 20.9.23, 1 StR 187/23, Abruf-Nr. 240424).

Gem. dem in Art. 14 EuAlÜbk verankerten Grundsatz der Spezialität darf der Ausgelieferte nur wegen der Tat verurteilt werden, wegen der er ausgeliefert wurde. Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk definiert Ausnahmetatbestände hiervon, namentlich wenn der ausliefernde Staat zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder der endgültig freigelassene Ausgelieferte nach Ablauf einer Schonfrist in dem Land verbleibt, an das er ausgeliefert wurde, oder er in das Land zurückkehrt, Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk.

Hier lag schon keine „andere Tat“ vor. Der Tatbegriff umfasst den gesamten, von dem ausliefernden Staat mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll. Hier entsprach der Lebenssachverhalt, der der Auslieferung des B zugrunde lag, dem seiner Verurteilung durch das LG.

Auch der Umstand, dass der mit dem Auslieferungsersuchen übersandte Haftbefehl eine arglistige Täuschung von Anlegern erwähnte, änderte die Identität der Tat nicht. Die Auslieferungsbewilligung der Schweiz stützte sich lediglich auf den Vorwurf der planmäßigen Ausnutzung des Rückerstattungssystems der deutschen Kapitalertragsteuer durch den mit Bereicherungsabsicht handelnden B. Die arglistige Täuschung der Fondsanleger war für die Auslieferungsbewilligung belanglos.

Darüber hinaus handelte es sich auch um dieselbe Tat, obwohl die rechtliche Würdigung des Sachverhalts in der Verurteilung von der in der Auslieferungsbewilligung divergiert. Der Straftatbestand, der der Verurteilung durch den ersuchenden Staat zugrunde liegt, muss weder seiner Bezeichnung noch seiner Tatbestandsmerkmale nach vergleichbar sein mit dem Straftatbestand, der der Auslieferungsbewilligung des ersuchten Staates zugrunde liegt. Die in der Auslieferungsbewilligung getroffene rechtliche Wertung des Verhaltens des B als gemeinrechtlicher Betrug – und nicht als dem schweizerischen Fiskalstrafrecht zuzuordnender Abgabenbetrug – war daher unschädlich. Die Rechtmäßigkeit der Auslieferung durch ein anderes Land, und damit auch die ihr zugrunde liegende rechtliche Würdigung, ist nicht von den deutschen Gerichten zu überprüfen.

Es liegt daneben keine abweichende rechtliche Würdigung i. S. d. Art. 14 Abs. 3 EuAlÜbk vor. Vorliegend entsprach die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) dem Vorwurf des Auslieferungsersuchens.

Auch die sachlich-rechtlichen Einwendungen dringen nicht durch. Die Revision ging davon aus, dass die Finanzbehörden bereits aufgrund der Bezugnahme auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG hätten erkennen müssen, dass die Kapitalertragsteuer nicht angerechnet werden konnte. Demzufolge wären die unrichtigen Angaben zur einbehaltenen Kapitalertragsteuer nicht steuerlich erheblich i. S. v. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gewesen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar lagen die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Steueranrechnung nicht vor. Eine Steueranrechnung wäre jedoch grundsätzlich möglich gewesen. Der BGH hatte in seiner Grundsatzentscheidung vom 28.7.21 gerade nicht ausgeführt, dass bei Dividendenkompensationszahlungen eine Kapitalertragsteuererstattung grundsätzlich ausgeschlossen ist (1 StR 519/20, BGHSt 66, 182). Vielmehr fehlt es in den Fällen wie den vorliegenden daran, dass die im Gesetz vorausgesetzte Kapitalertragsteuer nebst Zinsen nicht auf die Dividendenkompensationszahlungen erhoben wurde. Dementsprechend waren die Voraussetzungen für eine Steueranrechnung hier nicht erfüllt.

Relevanz für die Praxis

Der Beschluss des BGH ist nicht nur für Cum/Ex-Verfahren, sondern für sämtliche Konstellationen bedeutsam, in denen sich mögliche Straftäter in Vertragsländern des EuAlÜbk aufhalten. Insbesondere im Steuerstrafrecht ist es für Berater wichtig, über mehr als Grundkenntnisse bezüglich etwaiger Auslieferungsmöglichkeiten sowie grenzüberschreitender Ermittlungsbefugnisse der Behörden zu verfügen. Auch die Schweiz ist längst kein sicherer Ort mehr für mutmaßliche Steuersünder. Daneben führt der internationale Informationsaustausch in Steuersachen immer mehr dazu, dass den deutschen Behörden Auslandssachverhalte bekannt werden – diese Tatsache wird vielen Mandanten leider erst bewusst, wenn eine behördliche Tatentdeckung den Weg einer Selbstanzeige versperrt.

AUSGABE: PStR 5/2024, S. 100 · ID: 49850459

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