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SchwarzarbeitAG Tiergarten konturiert Arbeitgeberbegriff bei vermeintlichen Scheinstrukturen und -rechnungen
| Werden über juristische Strukturen die tatsächlichen Verhältnisse auf dem Bau verschleiert, sind die sog. Kolonnenführer als sozial- und strafrechtlich verantwortliche Arbeitgeber anzusehen, nicht aber z. B. die GmbH, bei der die Arbeiter formal angestellt und gemeldet waren. Das hat das AG Tiergarten aktuell entschieden. |
Sachverhalt
Der Angeklagte Y soll von 6/12 bis 12/12 Geschäftsführer der D GmbH gewesen sein. Der Angeklagte B soll während dieses Zeitraums und bis einschließlich April 2013 faktischer Geschäftsführer der D GmbH gewesen sein. Beide Angeklagten hätten zwischen 6/12 und 4/13 diverse Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Für diese Beitragsmonate hätten sie bei den Einzugsstellen der Sozialversicherung jeweils monatliche Beitragsnachweisungen eingereicht, in denen – was den Angeklagten auch klar gewesen sei – geringere beitragspflichtige monatliche Gesamtlohnsummen angegeben gewesen seien, als tatsächlich gezahlt und geschuldet. Der Einzugsstelle sei dadurch im gesamten Tatzeitraum ein erheblicher Beitragsschaden entstanden.
Entscheidungsgründe
. 218971
Das AG (25.5.20, (215 Ls) 246 Js 927/13 (21/17), Abruf-Nr. 218971) sprach die Angeklagten frei, da weder diese noch die D GmbH als Arbeitgeber anzusehen waren. Nach der Beweisaufnahme, insbesondere nach der zeugenschaftlichen Vernehmung des zuständigen Steuerfahnders, stand für das Gericht fest, dass die Angeklagten selbst mit eigenen Arbeitnehmern keine Bautätigkeit entfaltet und entsprechend keine Arbeitnehmer auf den jeweiligen Baustellen beschäftigt haben. Vielmehr habe die D GmbH als sog. Service GmbH fungiert und funktioniert, die „interessierten Schwarzarbeitgebern“ zwei Dienste anbot: Zum einen erstellten die Angeklagten unter dem Deckmantel der D GmbH Abdeck- bzw. Scheinrechnungen als angeblich für andere Schwarzarbeitgeber tätige Subunternehmer.
Praxistipp | Bei dieser Konstellation werden die jeweiligen Schwarzarbeitgeber die Rechnungen üblicherweise bar oder per Überweisung bezahlen, obwohl diesen tatsächlich keinerlei Bauleistungen und auch keine ernst gemeinten Werkverträge zugrunde liegen. Die Betroffenen heben das Geld in bar ab und zahlen es – abzüglich einer Provision – an den Schwarzarbeitgeber aus, der mit dem Bargeld seine Schwarzarbeitnehmer bezahlen kann. |
Die Angeklagten meldeten zum Schein die allein einem sog. Kolonnenführer als Arbeitgeber unterstehenden fremden Arbeitnehmer, die nicht für die D GmbH tätig wurden, sondern alleine für ihren Kolonnenführer, bei der Sozialversicherung an.
Praxistipp | Diese Handlungen stellen zwar Beihilfehandlungen zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelten (§ 266a StGB) insbesondere der jeweiligen Kolonnenführer dar, unterfallen – so wie hier – jedoch typischerweise nicht dem konkreten Anklagesatz bzw. sind nicht von diesem umfasst. Denn die Beihilfehandlungen beziehen sich in dieser Konstellation auf die Haupttaten der jeweiligen Schwarzarbeitgeber, die als solche regelmäßig nicht in der Anklageschrift aufgeführt und beschrieben werden. |
Relevanz für die Praxis
Es gibt – anders als es Zoll und Steuerfahndung vor allem in mündlichen Hauptverhandlungen sowie Schlussberichten gerne suggerieren – kein allgemeingültiges Betrugsmodell auf Baustellen, und zwar weder, wenn bar, noch wenn durch Überweisungen gezahlt wird. Die Ermittlungsbehörden müssen deshalb im jeweiligen Einzelfall konkrete Feststellungen treffen, aus denen sich eine Arbeitgeberverantwortlichkeit ergibt. Der pauschale Hinweis auf Schein- und Abdeckrechnungen sowie die angeblichen Berechtigungen, mit 2/3-Arbeitsentgelt schätzen sowie Sozialabgaben berechnen zu dürfen, weil angeblich die Lohnquote des Unternehmens nicht passt, greift daher regelmäßig zu kurz. Denn bei ordnungsgemäßen Nachunternehmerverträgen ist selbst eine Lohnquote des Auftraggebers von < 5 Prozent nicht zu beanstanden, da niemand verpflichtet ist, selbst Arbeitnehmer anzustellen. Staatsanwaltschaft, Zoll und Steufa ignorieren in entsprechenden Verfahren daher regelmäßig nicht nur den Grundsatz der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit.
Schwierig (für die Ermittlungsbehörden) wird es insbesondere, wenn keine konkrete Rechnungs- und Baustellenanalyse vorliegt, sondern im „Allgemeinen“ mit Erkenntnissen oder angeblichen Feststellungen eines Gerichts in einem anderen Verfahren argumentiert werden soll. Dies wird regelmäßig zum Sargnagel für jedes Strafverfahren, weil sich ein kleiner umgrenzter Sachverhalt plötzlich zu einer umfassenden Materialschlacht ausweitet (in dem natürlich die Akten zu anderen Urteilen beigezogen werden müssen), die insbesondere für einen alleine tätigen Strafrichter kaum noch zu handhaben ist.
Erschwerend wird es, wenn vermeintlich kriminelle Systeme – so wie in der Praxis durchaus anzutreffen – nicht nur mit einem Modell arbeiten, sondern legale und illegale Aktivitäten zusammentreffen. Denn wie soll – gerade in Verfahren, in denen um die Rechtmäßigkeit von Rechnungen dieser Unternehmen sowie eine angebliche strafrechtliche (Arbeitgeber-)Verantwortlichkeit des Rechnungsempfängers gestritten wird – ein klarer Sachverhalt festgestellt bzw. alternativlos ausgeschlossen werden, nachdem schon die Anklage nur äußerst lückenhaft und die mündliche Hauptverhandlung durch § 55 StPO und nicht erscheinende (Auslands-)Zeugen gekennzeichnet war?
Kommen auch noch sog. Kolonnenschieber hinzu, die sich hinter inaktiven GmbH-Mänteln verstecken, wird es – wie das vorliegende Verfahren sehr anschaulich zeigt – kompliziert. Löst sich eine Anklagestruktur in der mündlichen Hauptverhandlung auf, kann auch nicht einfach so „umgestellt“ werden, selbst wenn dies gerade an Amtsgerichten immer wieder gerne versucht wird bzw. schlechte Anklagen über tatsächliche und rechtliche Hinweise „gerettet“ werden sollen. Hier muss die Verteidigung engagiert dagegen halten.
AUSGABE: PStR 5/2024, S. 107 · ID: 46994097