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Elektronische RegistrierkassenDer Kreativität der Ermittlungsbehörden sind Grenzen gesetzt

Abo-Inhalt25.03.202411 Min. LesedauerVon RA Dr. Florian Bach, Olfen Meinecke Völger, Stuttgart

| Aufgrund einer von der Staatsanwaltschaft (StA) Oldenburg koordinierten Aktion wurden am 30.3.21 bundesweit mehr als 400 Restaurants mit asiatischem Speiseangebot durchsucht. Das Vorstehende ist nicht ungewöhnlich und wäre an und für sich keiner Erwähnung wert, wenn man sich bei den Strafverfolgungsbehörden im Vorfeld der koordinierten Aktion nicht für eine als kreativ zu bezeichnende Herangehensweise entschieden hätte. |

1. Vorbereitung und Vollzug der Durchsuchungen

Anlass war das gegen J. H. geführte Ermittlungsverfahren, der (faktischer) Geschäftsführer einer in Frankfurt a. M. ansässigen Unternehmung sein soll, die elektronische Registrierkassen (PC-Kassen) programmiert und verkauft. Die IT-Fahndung des FA für Fahndung und Strafsachen (FA FuSt) in Oldenburg hat Feststellungen getroffen, wonach sich mit einem von diesem Unternehmen entwickelten und vertriebenen Manipulationstool („Budget Cutter“, „Budget Checker“ oder „Sales Backup“) ein beliebiger Prozentsatz der bereits in der Kasse erfassten Umsätze rückstandsfrei löschen lasse. Auf Antrag der StA Oldenburg hat das AG Oldenburg (Ermittlungsrichter, § 162 StPO) im März 21 in dem allein gegen den (faktischen) Geschäftsführer geführten Grundverfahren eine Vielzahl von Beschlüssen erlassen, mit denen jeweils angeordnet wurde, ein Restaurant zu durchsuchen und Beweismittel zu beschlagnahmen. Der Beschuldigte sei der gewerbsmäßigen Beihilfe zur Fälschung technischer Aufzeichnungen im besonders schweren Fall weiterer noch zu ermittelnder Haupttäter verdächtig, was ein Vergehen nach § 268 Abs. 1, 3, 4 i. V. m. § 267 Abs. 3 Nr. 1, § 27, § 53 StGB darstelle (vgl. BGH 16.4.15, 1 StR 490/14, BFH/NV 15, 1326 zur Manipulation von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit, um Steuern zu hinterziehen). Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die in den Restaurants verantwortlichen Personen die Kassen ordnungsgemäß geführt hatten, wurden die Durchsuchungsbeschlüsse auf § 103 StPO (Nicht-Verdächtiger) gestützt und erlassen.

Die StA hat die Durchsuchungsbeschlüsse auf die örtlich zuständigen Polizeidienststellen im gesamten Gebiet der Bundesrepublik „verteilt“, damit sie diese termingerecht vollziehen konnten. In diesem Zusammenhang wurde zugleich darum gebeten, die sichergestellten Gegenstände anschließend möglichst zügig und unmittelbar an das FA FuSt in Oldenburg zu übermitteln.

2. Ermittlungen FA für Fahndung und Strafsachen

Nachdem die elektronischen Kassendaten bei der EDV-Prüfgruppe der Steuerfahndung vorlagen, hat man anhand eines Abgleichs der Ordernummern (Schnelltest) in vielen Fällen Manipulationsspuren entdeckt. Weiterer Ermittlungsbemühungen hätte der Verdacht der Fälschung technischer Aufzeichnungen nicht bedurft. Bei der Ermittlung eines exakten Prozentsatzes der fehlenden Ordernummern und der vereinzelt erfolgten Ermittlung eines konkreten EUR-Betrags der insgesamt fehlenden Artikel handelte es sich daher um überobligatorische Anstrengungen der Finanzbeamten. Diese Ermittlungsergebnisse hat man der StA Oldenburg im Jahr 22 vorgelegt. Soweit die Finanzverwaltung auf eine missbräuchliche Nutzung des Kassensystems geschlossen hat, hat die StA (eigene) Ermittlungsverfahren gegen den jeweiligen Restaurantbetreiber wegen § 370 AO und § 268 StGB eingeleitet. Im Jahr 23 wurden die örtlich zuständigen StAen gebeten, die Verfahren zu übernehmen.

3. (Strafrechtliches) Beweiserhebungsverbot

Zu dem Zeitpunkt, in dem die Durchsuchungsbeschlüsse angeordnet wurden, bestanden keine tatsächlichen Anhaltspunkte i. S. v. § 152 StPO dafür, dass die Haupttat – Fälschung technischer Aufzeichnungen durch die Gastronomen – verwirklicht wurde. Rechtsgrundlage der Durchsuchungsbeschlüsse war daher § 103 StPO. Rechtsgrundlage und Begründung der Beschlüsse widersprechen sich allerdings, da man die Durchsuchung bei einem Nicht-Verdächtigen angeordnet hat, um die „weitere Identifizierung der Haupttäter“ zu bewerkstelligen bzw. weil man diese in der Sphäre des nicht verdächtigen Dritten zu entdecken hofft. Die Durchsuchungsmaßnahmen lassen sich mit dem Begriff Ausforschen bzw. mit dem Oxymoron der gezielten Suche nach Zufallsfunden umschreiben. Folge: Die Anordnung der Durchsuchung ist unzulässig, hinsichtlich der erlangten Kassenaufzeichnungen ist von einem (strafrechtlichen) Beweiserhebungsverbot auszugehen.

Entlarvend i. S. d. Ausforschungsdurchsuchungen ist auch die von der StA Oldenburg im Rahmen der Koordination der für den 30.3.21 geplanten Durchsuchungsmaßnahme geäußerte Bitte, die sichergestellten Gegenstände unmittelbar an das FA FuSt in Oldenburg zu übermitteln. Die Aufgaben der Steuerfahndung sind in § 208 Abs. 1 AO normiert. Dieser Katalog umfasst es nicht, Urkundendelikte nach §§ 267 ff. StGB zu verfolgen.

4. Beweisverwertungsverbot

Ein generelles Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, besteht nicht, weder im Straf- noch im Besteuerungsverfahren. Aus dem (strafrechtlichen) Beweiserhebungsverbot folgt hier aber ein (strafrechtliches) Beweisverwertungsverbot, da die Erkenntnisse (Kassendaten) unter (grober) Missachtung der Durchsuchungsanforderungen gewonnen wurden. Eine Durchsuchung nach § 102 StPO (Verdächtiger) ließ sich mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte i. S. v. § 152 Abs. 2 StPO (Anfangsverdacht) am 17.3.21 nicht begründen.

Ob sich ein strafrechtliches Verwertungsverbot auf das Besteuerungsverfahren auswirkt (Fernwirkung), lässt sich nicht pauschal beantworten. Wenn die Verfahrensverstöße schwerwiegend waren, die dazu geführt haben, dass die Ermittlungsmaßnahme fehlerhaft war, kommt ein (steuerliches) Verwertungsverbot in Betracht (BFH 15.4.15, VIII R 1/13, PStR 15, 281). Nachdem hier ein grundrechtsrelevanter Eingriff (Art. 13 Abs. 1 GG: gilt auch für Geschäftsräume) in Rede steht, verbietet sich an dieser Stelle eine differenzierende Abwägung aller Umstände, insbesondere nach der Schwere der Schuld. Jeder Beschuldigte hat einen Anspruch darauf, dass die Verfahrensvorschriften eingehalten werden. Das Individualinteresse des betroffenen Steuerpflichtigen überwiegt hier mithin das staatliche Interesse, eine gesetzmäßige und gleichmäßige Steuerfestsetzung zu gewährleisten.

Merke | Verschiedentlich wird an dieser Stelle auf die hypothetische Wiederholbarkeit im Besteuerungsverfahren (!) abgestellt. Folge: Es bleiben diejenigen Erkenntnisse verwertbar, die auf rechtmäßigem Weg hätten erlangt werden können. Nachdem die AO keine der StPO-Durchsuchung entsprechende Eingriffsbefugnis enthält, scheidet eine steuerrechtliche Verwertung der Kassendaten hier auch mangels hypothetischer Wiederholbarkeit aus.

5. Beweisverwertungsverbot und Besteuerungsverfahren

Nach ständiger BFH-Rechtsprechung sind die FGe nicht befugt, die Rechtswidrigkeit einer Durchsuchungsanordnung und Beschlagnahme im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens zu überprüfen (BFH a. a. O.). Dem stehe bereits die unterschiedliche Rechtswegzuständigkeit entgegen. Ein aus der Rechtswidrigkeit einer (strafrichterlichen) Ermittlungsmaßnahme folgendes (steuerrechtliches) Verwertungsverbot, muss demzufolge mit strafprozessualen Mitteln erstritten werden. Wird ein Durchsuchungsbeschluss nicht angefochten oder die Beschwerde des Beschuldigten zurückgewiesen, entfaltet die Anordnung der Durchsuchung Tatbestandswirkung. Den FGen ist es verwehrt, den Durchsuchungsbeschluss noch einmal zu überprüfen. Für das Steuerfestsetzungsverfahren ist davon auszugehen, dass die Durchsuchung rechtmäßig ist.

Allein in Anbetracht der statistisch geringen Erfolgsaussichten einer gegen die (richterliche) Anordnung der Durchsuchung und/oder der Beschlagnahme erhobenen Beschwerde (§ 304 StPO) scheint ein Handeln des Beraters hier – auf den ersten Blick – aussichtslos zu sein. Die Notwendigkeit einer strafrechtlichen Entscheidung gilt aber nicht, wenn die Rechtswidrigkeit einer (weiteren) Maßnahme geltend gemacht werden soll, die (erst) im Rahmen der Durchsuchung vorgenommenen wurde oder sich an eine vollzogene Durchsuchung angeschlossen hat.

Merke | Daher kann es sich lohnen, noch einmal einen (zweiten) Blick in die (strafrechtlichen) Ermittlungsakten zu werfen. Entsprechende Verstöße kann der Betroffene zwar mittels eines Antrags auf richterliche Entscheidung (analog § 98 Abs. 2 S. 2 StPO) beanstanden. Um die Rechtswidrigkeit dieser (weiteren) Maßnahme im Besteuerungsverfahren geltend zu machen, ist ein solcher Antrag aber nicht vonnöten. Die Rechtswidrigkeit einer solchen (weiteren) Maßnahme kann inzident im finanzgerichtlichen Verfahren überprüft werden, solange eine solche (weitere) Maßnahme nicht positiv vom zuständigen Strafgericht angeordnet oder hinsichtlich der Rechtmäßigkeit (strafgerichtlich) bestätigt worden ist.

Existiert keine (straf-)richterliche Entscheidung, obliegt den FGen die (inzidente) Entscheidung, wie der Ermittlungsrichter damals zu entscheiden gehabt hätte (FG Baden-Württemberg 20.2.08, 6 V 382/07, PStR 08, 276).

Hier wurden die Kassendaten zwar am 30.3.21 aufgrund der am 17.3.21 erlassenen (richterlichen) Anordnung beschlagnahmt – dies jedoch nur mit Wirkung für das gegen J. H. geführte Grundverfahren. Um die Kassendaten in den gegen die jeweiligen Restaurantbetreiber geführten Steuerstrafverfahren als Beweismittel verwenden zu können, hätte eine (Anschluss-) Beschlagnahme nach §§ 94, 98 StPO herbeigeführt werden müssen.

Die StA Oldenburg hatte hier keine Entscheidung des Ermittlungsrichters veranlasst. Daher ist inzident zu prüfen, ob die (Anschluss-)Beschlagnahme im Frühjahr 21 (!) vom zuständigen Ermittlungsrichter bestätigt worden wäre. Dafür ist die potenzielle Beweisbedeutung maßgeblich. Letztlich kommt es darauf an, ob den nach der Sicherstellung der Kassendaten am 30.3.21 vorgenommenen Ermittlungen (schon) ein Anfangsverdacht gegen den jeweiligen Restaurantbetreiber zugrunde gelegen hat. Dies ist mit Sicherheit zu verneinen, andernfalls wäre der jeweilige Restaurantbetreiber in den am 17.3.21 vom AG erlassenen Beschlüssen schon als Beschuldigter erfasst worden. Erst mit der Durchsicht der sichergestellten Kassendaten und der Entdeckung von manipulierten Tagesabschlüssen kann auf den Anfangsverdacht einer vom jeweiligen Restaurantbetreiber begangenen Steuerhinterziehung geschlossen werden. Die potenzielle Beweisbedeutung der Kassendaten hat sich mithin erst aufgrund der Ermittlungstätigkeit der Steuerfahndung ergeben, im Zeitpunkt der Sicherstellung jedoch nicht bestanden. Dieses Vorgehen ist mit einer (steuerstrafrechtlichen) Rasterfahndung zu vergleichen und unzulässig, weshalb eine amtsrichterliche Beschlagnahmeanordnung nicht hätte erfolgen dürfen.

Praxistipp | Bei einer fehlenden oder nicht in angemessener Frist eingeholten Beschlagnahmeanordnung müssen die Kassendaten letzten Endes freigegeben werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 108 Rn. 7 zu den Zufallsfunden mit Nachweisen aus der BGH-Rechtsprechung). Das in der vorliegenden Konstellation aus dem (strafrechtlichen) Beweiserhebungsverbot folgende (strafrechtliche) Beweisverwertungsverbot wirkt als (steuerrechtliches) Beweisverwertungsverbot fort.

Aufgrund der fehlenden bzw. nicht fristgerecht eingeholten richterlichen Beschlagnahmeanordnung kann das Beweisverwertungsverbot bei den FGen im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens (isoliert) verfolgt werden, da die Steuerfestsetzung rechtswidrig ist. Dies gilt m. E. selbst dann, wenn die bislang fehlende richterliche Beschlagnahmeanordnung noch nachgeholt werden sollte. Eine Heilung dieses strafprozessualen Versäumnisses ist – mehr als drei Jahre nach der Durchsuchung (!) – nicht möglich. Die Berücksichtigung des (steuerrechtlichen) Beweisverwertungsverbots im Einspruchsverfahren erscheint eher unwahrscheinlich. Der Betroffene sollte jetzt schon einplanen, den finanzgerichtlichen Klageweg beschreiten zu müssen, um seine Rechte durchzusetzen.

AUSGABE: PStR 5/2024, S. 109 · ID: 49420307

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