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Beweiserhebung im BesteuerungsverfahrenWohnungsbesichtigung durch die Steuerfahndung kann rechtswidrig sein
| Der BFH hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Steuerfahnder als sog. Flankenschützer rechtmäßig ist, um die Angaben der Steuerpflichtigen zu einem häuslichen Arbeitszimmer im Besteuerungsverfahren zu überprüfen. |
Sachverhalt
Die Steuerpflichtige S war angestellte Geschäftsführerin eines Restaurants und als selbstständige Unternehmensberaterin tätig. Sie machte erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend. Gemäß einer Skizze gehörte zur Wohnung ein Zimmer, das maschinenschriftlich mit „SCHLAFEN“ bezeichnet war. Dies war durchgestrichen und handschriftlich durch „ARBEIT“ ersetzt worden, wobei keiner der übrigen Räume als Schlafzimmer bezeichnet worden war. Das FA erließ einen Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN), in dem die für das Arbeitszimmer geltend gemachten Betriebsausgaben angesetzt wurden. Da unklar war, wo geschlafen wurde, wurde ein sog. „Flankenschutzprüfer“ eingeschaltet, ein Steuerfahnder. Er erschien unangekündigt bei der S, wies sich per Dienstausweis aus und betrat die Wohnung, da die S der Besichtigung unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren nicht widersprach. Der Beamte stellte fest, dass das Arbeitszimmer existierte; abweichend von der Skizze verfügte die Wohnung über zwei weitere Räume, von denen S einen als Schlafzimmer nutzte. In seinem Vermerk an den Veranlagungsbezirk wies der Fahnder darauf hin, dass die S demnächst umziehen werde.
Gegen die Besichtigung legte die S Einspruch ein, der als unzulässig verworfen wurde, sodass sie Klage auf die Feststellung erhob, dass die Besichtigung rechtswidrig gewesen sei. Nachdem auch das FG die Klage als unzulässig abgewiesen hatte, legte die S erfolgreich Revision ein.
Entscheidungsgründe
Abruf-Nr. 231502
Der BFH stellte fest, dass wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Beweiserhebung das Vorgehen der Finanzverwaltung rechtswidrig war (12.7.22, VIII R 8/19, Abruf-Nr. 231502).
In einem ersten Schritt war zu prüfen, ob die Klage zulässig war. Problematisch war, ob ein Feststellungsinteresse vorlag. Zwar kann sich ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme ergeben, dass das Handeln des FA den unberechtigten Vorwurf der Steuerhinterziehung ausdrückt. Dies gilt aber nicht für die Ortsbesichtigung, sodass sich insoweit kein Rehabilitationsinteresse der S ergibt. Ein Rehabilitationsinteresse ist nur zu bejahen, wenn eine Außenwirkung gegenüber Dritten gegeben ist, was hier nicht der Fall war. Ebenso ergibt sich auch kein Feststellungsinteresse infolge eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs, da zwar die Wohnung der S im Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG liegt, aber die S den Steuerfahnder freiwillig und ohne einem Irrtum zu unterliegen, in die Wohnung gelassen hatte.
Das Feststellungsinteresse ergibt sich in diesem speziellen Fall aus dem Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr. Denn aufgrund des Hinweises auf den bevorstehenden Umzug der S bestand ein konkreter Anlass für die Annahme, dass das FA eine Begehung in absehbarer Zukunft wiederholen könnte.
Die Begründetheit der Klage nimmt ihren Ausgang von der Amtsermittlungspflicht der Finanzbehörde, in deren Rahmen sie Beweis erheben kann bzw. muss, um den Sachverhalt aufzuklären. Dabei bedient sie sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich hält (§ 92 S. 1 AO) und die in § 92 S. 2 AO beispielhaft aufgezählt sind. Daneben gibt es den Freibeweis gem. § 92 S. 1 AO, z. B. durch Kontrollmitteilungen, freiwillige Auskünfte, Mitteilungen im Rahmen der Amts- oder Rechtshilfe, privates Wissen usw.
Merke | Eine Beweiserhebung setzt voraus, dass die jeweilige Tatsache aufklärungsbedürftig ist und ein konkreter Anlass vorliegt. Dies war aufgrund des unklaren Vortrags der S gegeben. Dennoch war das FA unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht frei bei der Auswahl des Beweismittels. Es muss dem Beweispflichtigen möglich sein, den Beweis zu erbringen, das Beweismittel muss tauglich sein, um den Sachverhalt aufzuklären. Es darf kein ebenso geeignetes Mittel geben, das weniger intensiv in die Rechte des Steuerpflichtigen bzw. des Beweispflichtigen eingreift, und das Mittel – hier die Besichtigung der Räume durch einen Steuerfahnder – muss im Hinblick auf den verfolgten Zweck der Maßnahme angemessen sein. Daraus ergibt sich eine Reihenfolge der Beweismittel, die im steuerlichen Ermittlungsverfahren bei der Ermessensausübung zu beachten ist. |
Zunächst ist der Beteiligte im Rahmen seiner Auskunftspflicht in Anspruch zu nehmen, wobei auch insoweit eine Abstufung nach der Eingriffsintensität vorzunehmen ist. Es sind fernmündliche oder schriftliche Auskünfte von ihm gem. § 93 Abs. 1 AO einzuholen. Sofern dies nicht erfolgreich ist, ist er gem. § 93 Abs. 5 AO vorzuladen. Ist auch dies unzureichend, ist z. B. die Vorlage von Urkunden gem. § 97 Abs. 2 AO oder die Vorlage von Wertsachen gem. § 100 AO zu verlangen. Bleibt dies erfolglos oder verspricht es keinen Erfolg, sollen andere Personen in das Verfahren einbezogen werden, wobei auch insoweit eine Abstufung vorzunehmen ist: Zunächst sind von den Dritten fernmündliche oder schriftliche Auskünfte einzuholen, § 93 Abs. 1 S. 3 AO. Ist dies erfolglos, ist die andere Person an Amtsstelle vorzuladen, § 93 Abs. 5 AO. Bleibt dies erfolglos, ist die Vorlage von Urkunden gem. § 97 Abs. 2 AO bzw. die Vorlage von Wertsachen gem. § 100 AO durch den Dritten zu verlangen. Ist auch die Inanspruchnahme des Dritten nicht erfolgreich, greifen als Ultima Ratio die Versicherung an Eides statt des Beteiligten nach § 95 Abs. 1 S. 2 AO, bei der eine Falschaussage gem. § 156 StGB mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft werden kann, und die eidliche Vernehmung der anderen Personen gem. § 94 Abs. 1 S. 1 AO, bei der eine Falschaussage einen Meineid oder fahrlässigen Falscheid darstellt, §§ 153 bis 164 StGB.
Das FA war hier zwar berechtigt, die Wohnräume der S mit deren Einverständnis in Augenschein zu nehmen. Die Maßnahme war geeignet, um den Sachverhalt aufzuklären, sie war aber weder erforderlich noch verhältnismäßig im engeren Sinne.
Dem FA stand ein milderes, aber ebenso geeignetes Mittel zur Verfügung, da die S bei der Sachverhaltsaufklärung mitgewirkt hatte und keine Zweifel an ihrer steuerlichen Zuverlässigkeit bestanden. Folglich hätten ein weiteres schriftliches Auskunftsersuchen oder eine Ortsbesichtigung nach vorheriger Benachrichtigung als milderes Mittel zur Verfügung gestanden. Auch die Inaugenscheinnahme des Arbeitszimmers durch einen Beamten der Veranlagungsstelle (Innendienst) wäre milder gewesen. Ein rechtsunkundiger Steuerpflichtiger, dem die Unterscheidung der doppelfunktionalen Aufgabenbereiche der Steuerfahndung nicht bekannt ist, wird bei dem Erscheinen eines Steuerfahnders an der Haustür i. d. R. eher geneigt sein, in das Betreten seiner Wohnung einzuwilligen, um weitere Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Es ist nicht auszuschließen, dass insoweit gegenüber (zufällig) anwesenden Dritten wie z. B. den Nachbarn in der privaten Umgebung des Steuerpflichtigen der Eindruck vermittelt werden könnte, dass gegen den Steuerpflichtigen strafrechtlich ermittelt wird.
Darüber hinaus war die unangekündigte Ortsbesichtigung der Wohnung der S durch den Steuerfahnder auch unangemessen, da das FA bei seiner Ermessensentscheidung die Tragweite des Grundrechtsschutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG verkannt hat. Der Schutz des Art. 13 GG und der enge Zusammenhang mit der Sphäre der privaten Lebensführung gelten auch für das Arbeitszimmer in der Wohnung des Steuerpflichtigen, sodass die Überprüfung der Abzugsfähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer wegen des engen Zusammenhangs mit der Sphäre der privaten Lebensführung und dem Schutz durch Art. 13 GG „wesentlich eingeschränkt oder gar unmöglich“ ist. Diesem Gesichtspunkt trägt die pauschalierte Begrenzung des Aufwandsabzugs für ein häusliches Arbeitszimmer in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b EStG Rechnung, die den Steuerpflichtigen vor der besonders belastenden Besichtigung des häuslichen Arbeitszimmers bewahrt und die objektiv gegebene, staatlich jedoch nicht beobachtbare Möglichkeit privater Mitbenutzung des häuslichen Arbeitszimmers pauschal berücksichtigt (BVerfG 6.7.10, 2 BvL 13/09, BStBl II 11, 318, Rn 47). Daran ändert auch die Einwilligung der S nichts, da dadurch zwar kein Grundrechtseingriff vorliegt, aber die Verwaltung dadurch nicht von einer fehlerfreien Ermessensausübung befreit wird.
Ferner war die Ermittlungsmaßnahme auch unverhältnismäßig, weil der S vor der Ortsbesichtigung kein rechtliches Gehör gewährt wurde und sie nicht die Gelegenheit hatte, andere, sie weniger belastende Modalitäten der Durchführung anzubieten, § 99 Abs. 1 S. 2 AO. Ein Fall, in dem eine Benachrichtigung ausnahmsweise aufgrund einer Gefährdung der Maßnahme unterbleiben kann, war hier mangels konkreter Anhaltspunkte nicht zu erkennen.
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung des BFH bezieht sich zwar auf das Streitjahr 2015, es handelt sich jedoch um ein aktuelles Thema, da seit Beginn der Coronapandemie weitaus mehr Menschen im Homeoffice arbeiten und dementsprechend häusliche Arbeitszimmer steuerlich deutlich häufiger geltend gemacht werden. Im Hinblick darauf hatte die Finanzverwaltung NRW eine kreative Idee, um das Vorliegen der Voraussetzungen für die steuerliche Anerkennung des Arbeitszimmers zu überprüfen, die allerdings im Konflikt steht mit grundlegenden Anforderungen an die Beweiserhebung im Besteuerungsverfahren.
AUSGABE: PStR 3/2024, S. 54 · ID: 48672856