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SteuerhinterziehungBGH entscheidet über Hinterziehung von Gewerbesteuer bei ausländischer Betriebsstätte
| Die Entscheidung des BGH vom 10.8.22, gibt Anlass, sich mit dem aktuellen Phänomen der Gewerbesteuerhinterziehung und den Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführung zu beschäftigen. |
Sachverhalt
Die Angeklagten A erbrachten über die in Deutschland ansässige C-GmbH als Geschäftsführer und Mitgesellschafter Leistungen im Bereich der satellitengestützten Telekommunikation. Mit dem Ziel, einen weiteren Standort mit eigener Geschäftsleitung und Mitarbeitern in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu etablieren, gründeten sie in einer dortigen Freihandelszone die C-Company (CE), eine Kapitalgesellschaft, an der sie jeweils zur Hälfte beteiligt waren. Anfang 2010 installierten sie den T dauerhaft als Strohmann-Geschäftsführer. Jedenfalls in den Jahren 2010 bis 2014 leiteten die A (auch) die Tagesgeschäfte der CE von Deutschland aus und trafen von dort alle erforderlichen Entscheidungen von einigem Gewicht selbst. In den auf ihre Veranlassung von T unterzeichneten KSt-Erklärungen der CE für die Jahre 2010 bis 2014 ließen die A nur die Einnahmen aus der Vermietung eines in Deutschland belegenen Grundstücks angeben, nicht aber die sonstigen Einnahmen der Gesellschaft, die in der Freihandelszone nicht besteuert wurden. GewSt-Erklärungen für die CE gaben sie nicht ab. Dabei nahmen sie billigend in Kauf, dass sie dadurch zugunsten der CE Steuern i. H. v. rund 1,2 Mio. EUR hinterzogen.
Das LG hat die A jeweils unter Freisprechung im Übrigen wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen und versuchter Steuerhinterziehung unter Einbeziehung von Strafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt und jeweils zudem eine Geldstrafe verhängt. Die Revisionen der A dagegen war nur im Strafausspruch erfolgreich.
Entscheidungsgründe
Abruf-Nr. 237690
Die Feststellungen des LG tragen die Verurteilung wegen der Nichtabgabe der GewSt-Erklärungen wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, für deren Abgabe auch die A nach § 35 AO verantwortlich waren (BGH 10.8.22, 1 StR 116/23, Abruf-Nr. 237690). Nach § 35 AO muss derjenige, der als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO) erfüllen, soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Jeder, der nach dem Gesamtbild der Verhältnisse rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen auftritt, ist ein solcher Verfügungsberechtigter.
Auftreten bedeutet, am Wirtschafts- und Rechtsverkehr teilzunehmen, was über die Beziehungen zum Rechtsinhaber hinausgeht. Keine Voraussetzung ist, gerade gegenüber den Finanzbehörden oder in steuerlichen Angelegenheiten aufzutreten.
Nimmt etwa ein faktischer Geschäftsführer eines Unternehmens Geschäftsführungsaufgaben tatsächlich wahr, reicht es aus, wenn er nur gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ zu erkennen gibt, dass er als solcher über das Vermögen verfügen kann, das Auftreten gegenüber der „allgemeinen Öffentlichkeit“ aber weisungsabhängigen Personen überlässt (BGH 27.6.23, 1 StR 374/22).
Das LG hat die Verfügungsbefugnis der A i. S. d. § 35 AO zutreffend festgestellt.
Auch den Schuldumfang – die Höhe der Steuerverkürzung – hat das LG ohne Rechtsfehler bestimmt. Dass es bei der Berechnung der hinterzogenen KSt auch den Teil der Gewinne berücksichtigt hat, der auf die CE als ausländische Betriebsstätte entfällt, ist nicht zu beanstanden. Denn das für den Verurteilungszeitraum geltende Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (DBA VAE) sah nur noch die Anrechnung einer auch abgeführten Steuer der VAE auf die deutsche Steuer vor, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden (vgl. Art. 22 Abs. 1 des DBA VAE vom 1.7.10, in Kraft getreten am 14.7.11; BGBl. II 2011, 538, 873). Nach den Feststellungen hat die CE in der Freihandelszone allerdings keine Steuer entrichtet.
Das LG hat zutreffend die hinterzogene GewSt berechnet, indem es nur den nach § 9 Nr. 3 GewStG gekürzten Gewinn zugrunde gelegt und den Teil des Gewerbeertrags, der auf die ausländische Betriebsstätte entfällt, unberücksichtigt gelassen hat. Da sich das auf die ausländische Betriebsstätte entfallende Ergebnis nicht genau ermitteln ließ, musste die Strafkammer den Kürzungsbetrag über eine indirekte Methode (BGH 13.10.94) bestimmen. Die Höhe dieses Kürzungsbetrags hat sie in nicht zu beanstandender Weise geschätzt. Dass das LG dabei einen für die A günstigen Ansatz gewählt hat, beschwert diese nicht.
Relevanz für die Praxis
Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen mangels GewSt-Erklärungen setzt voraus, dass Deutschland eine Besteuerungshoheit für diese Einkünfte besitzt. Anders als die ESt und KSt unterscheidet die GewSt nicht zwischen unbeschränkter und beschränkter persönlicher Steuerpflicht. Die GewSt kann vielmehr nur gewerbliche Tätigkeiten erfassen, die im Inland ausgeübt werden, was sich auch durch die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 3 GewStG ergibt.
Anknüpfungspunkt für die GewSt ist eine inländische Betriebsstätte, § 2 Abs. 1 S. 3 GewStG. Eine unbeschränkte KSt-Pflicht besteht gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 KStG hingegen, wenn die Körperschaft ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland hat. Demnach kann auch eine Gesellschaft mit Sitz im Ausland KSt-pflichtig sein, wenn sich der Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) im Inland befindet. Nach § 10 AO (Legaldefinition) ist Geschäftsleitung der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Das ist dort, wo sich nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, abhängig von Struktur und Eigenart des Unternehmens, in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht die wichtigste Stelle befindet, an der dauernd die für die laufende Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden (Klein/Gersch, AO, 17. Aufl., § 10, Rn. 2).
- Wenzel, Gewerbesteuer: Gewerbesteuerhinterziehung auf mehreren Ebenen, PStR 18, 95 ff.
- Wimmer, Ausländische Kapitalgesellschaft: Gefahrenpotenzial: Ort der Geschäftsleitung, PStR 23, 190
AUSGABE: PStR 3/2024, S. 52 · ID: 49873042