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AbstammungsrechtEckpunktepapiere des BMJV: So soll das nationale Abstammungsrecht angepasst werden

Abo-Inhalt20.05.2024155 Min. LesedauerVon RA Dr. Marko Oldenburger, FA Familienrecht, FA Medizinrecht (Hamburg), Mitglied Gesetzgebungsausschuss FamR im DAV (Berlin)

| Das BMJV hat am 16.1.24 zwei Eckpunktepapiere veröffentlicht, um das nationale Abstammungs- und Kindschaftsrecht anzupassen. Sie sehen niederschwellige Elternschaftsvereinbarungen vor, die gesetzlichen Elternschaften vorgehen sollen. Ferner verliert das Kindeswohl an Bedeutung. |

1. Ehefrau wird Elternstelle

Das BMJV plant anlässlich der Diskussionen und der Vorlagebeschlüsse gem. Art. 100 GG (OLG Celle NZFam 21, 352; KG NJOZ 21, 840; AG München FamRZ 22, 122), die Ehefrau der Geburtsmutter als Elternstelle (Mutter) einzurichten (iww.de/s10370). Neben der Ehe soll dies auch durch Anerkennung ermöglicht werden und rückwirkend seit der Einführung der Ehe für alle im Jahr 2017 erfolgen können.

2. Sorgerecht der zweiten Elternstelle

Anders als nach geltendem Recht (§ 1626a BGB) soll die zweite Elternstelle durch einseitige Erklärung mit sorgeberechtigt werden, also nicht automatisch, wenn die Elternschaft statuiert wird. Der Mutter wird ein zeitlich befristetes Widerspruchsrecht eingeräumt, dem eine familiengerichtliche Klärung folgt. Damit wird kein Gleichlauf von Elternschaft und Sorgerecht erreicht. Die zweite Elternstelle benötigt weiterhin, dass die Mutter mitwirkt – bisher durch Zustimmung (§ 1595 BGB), künftig durch die Nichtausübung ihres Widerspruchsrechts.

3. Elternschaftsvereinbarungen

Um die Vater- oder Mutterschaft (zweite Elternstelle) zu begründen, soll künftig eine vor der Zeugung (präkonzeptionell) notariell zu beurkundende Elternschaftsvereinbarung ausreichen. Die Bestimmung, wer Elternstelle wird, ist dabei einschränkungslos vorgesehen und soll einer Anerkennung mit Zustimmung sowie gerichtliche Feststellung aufgrund einer genetischen Abstammung vorgehen. Anfechtungen durch den beteiligten privaten Samenspender, die Vertragseltern (künftige Mutter und Vater) sowie durch deren Kind sollen ausgeschlossen sein. Damit wird die privatautonome der genetisch-biologischen Elternschaft gleichgestellt. Ob der Anfechtungsausschluss bei einer Elternschaftsvereinbarung nicht verheirateter Wunscheltern auch gilt, wenn die Mutter später heiratet und das Kind in neuer Ehe zur Welt kommt, ist offen.

Durch ein neues reines Urkundsverfahren soll die rechtliche Elternschaft eines Ehegatten (§ 1592 Nr. 1 BGB) einvernehmlich ohne gerichtlichen Beschluss zu beseitigen sein. Das Standesamt soll entscheiden und durch Beweiswürdigungen oder Registerabfragen Feststellungen treffen. Das ist nicht mit der Qualität bisheriger familiengerichtlicher Sachentscheidungen vergleichbar.

Wird eine rechtliche Elternstelle beseitigt, kann sogleich eine neue Elternstelle installiert werden. Nur mittels notarieller Urkunde können Mutter und eine bereite Person diese neu besetzen. Der Austauschelter muss dazu weder eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind haben noch in einem besonderen Näheverhältnis zu ihm stehen. Eine solche (neue) Elternschaft soll entweder wieder einvernehmlich korrigiert oder anfechtbar sein; für die Anfechtung muss nachgewiesen werden, dass der Anfechtende zum Zeitpunkt seiner Erklärung nur vage, aber nicht sicher, gewusst hat, dass er vielleicht nicht der leibliche Vater des Kindes ist. Sonst steht ihm oder ihr kein Anfechtungsrecht zu. Ein entsprechendes Anfechtungsrecht ist für den Vater derzeit nur bei Zustimmung in eine heterologe Insemination gem. § 1600 Abs. 4 BGB ausgeschlossen; vorgesehen ist dies künftig auch in allen Fällen der Anerkennung in sicherer Kenntnis darüber, genetisch nicht mit dem Kind verwandt zu sein.

Die Beliebigkeit, Elternstelle zu werden oder zu verlassen, zeigt sich weiter darin, dass eine Alleinsorge durch eine Erklärung wieder zu einer gemeinsamen elterlichen Sorge transponiert werden kann. Auf besondere Voraussetzungen, die derzeit in § 1696 BGB verankert sind, soll es nicht mehr ankommen.

Merke | Die außerhalb einer gerichtlichen Entscheidung positionierten, das Kindeswohl tangierenden elterlichen Entscheidungskompetenzen entleeren die in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG verankerten Schutzprinzipien, einschließlich des staatlichen Wächteramts. Das Kindeswohl ist nachrangig und weitestgehend einer staatlichen Kontrolle entzogen.

Autonome Sorgeentscheidungen in Bezug auf Dritte werden erweitert, indem diesen Entscheidungskompetenzen in Angelegenheiten des täglichen Lebens übertragen werden können: Das soll bereits vor der Zeugung des Kindes (!) möglich sein. Wie für ein noch nicht gezeugtes Kind Entscheidungen des täglichen Lebens verbindlich und dem Kindeswohl entsprechend getroffen werden können, ist unverständlich. Vertragliche Pflichten der Dritten, im Einvernehmen mit sorgeberechtigten Elternteilen zu entscheiden, stellt nicht mehr als ein Lippenbekenntnis dar. Denn solche Vereinbarungen sollen jederzeit durch eine (einseitige) schriftliche Erklärung wieder aufgelöst werden können. Nutzen und Bedarf der geplanten Reform erschließen sich nicht.

Eine Umgangsvereinbarung soll künftig nur durch notarielle Urkunde vollstreckbar werden.

Die vertraglichen Möglichkeiten, Abstammungs-, Sorge- und Umgangsrecht aufseiten der Eltern (und beteiligter Dritter) unterschwellig zu installieren, sollen durch stärkere Kinderrechte im Verfahren relativiert werden: Ein Kind ab dem 14. Lebensjahr soll einer Sorgeentscheidung der Eltern widersprechen oder eine erneute Entscheidung über den Umgang beantragen können. Es soll jeder Vereinbarung der Eltern zustimmen müssen, damit die Regelung verbindlich ist. M. E. kann eine solche subjektive Erklärung eines beschränkt Geschäftsfähigen aber nicht ohne Weiteres herangezogen werden. Es wird auch nicht berücksichtigt, dass das Kind die Eltern ausspielen kann, um eigene Wünsche durchzusetzen. Im Kindschaftsrecht hat ein Kind ab dem 14. Lebensjahr derzeit daher nur Beteiligungs-, nicht aber Mitentscheidungsrechte (siehe aber § 1671 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

Auch nicht rechtliche Elternstellen sollen mit – durch Vereinbarung zu Elternstellen gewordenen – Personen Umgänge mit Vollstreckungsklausel vereinbaren dürfen oder auf Umgänge verbindlich verzichten können; eine solche Verzichtserklärung bei einer privaten Samenspende soll unabänderlich sein. Wie dies mit dem Kindeswohl zu vereinen ist, ist fraglich, zumal das Kind erst ab dem 14. Geburtstag beteiligt werden soll und daher kein eigenständiges Recht auf Abänderung vorgesehen ist. Die Entscheidungen bleiben intransparent und sind einer staatlichen Kontrolle, mit Ausnahme bekannt werdender Gefährdungslagen, entzogen. Starke Elternteile können so kindliche Belange, Kontakte und Entwicklungen maßgeblich nach eigenen Wünschen und Plänen steuern, staatliche Institutionen sind – auch im Hinblick auf die neu vorgesehene Vollstreckungsmöglichkeiten – nicht mehr als Korrektiv vorhanden.

Eltern bestmögliche Entscheidungen für ihre Kinder zu unterstellen, ist angesichts der vielen Verfahren und überlasteter Jugendämter bei zunehmenden Zahlen von Gefährdungsmeldungen in 2023 nicht kindeswohldienlich. Das Familiengericht soll dagegen künftig etwas leisten, was das Familienrecht schon derzeit nicht leisten kann: Der Schutz vor häuslicher Gewalt soll verbessert werden. In dem Zuge soll ein Umgangsausschluss auch möglich sein, wenn der betreuende Elternteil gefährdet ist, was bei entsprechenden Gewalt-anhaltspunkten Anlass geben soll, umfassend und systematisch zu ermitteln und eine Risikoanalyse vorzunehmen. Das kann einem nicht fachlich unterstützten Familiengericht nicht gelingen. Ob frei werdende Ressourcen bei zu erwartenden rückläufigen Kindschaftsverfahren dazu ausreichen, ist fraglich.

4. Schutz des leiblichen Vaters

Die Vater- oder Mutterschaft als zweite Elternstelle (derzeit § 1592 Nr. 2 BGB) kann künftig nicht anerkannt werden, wenn ein anderer Mann ein Feststellungsverfahren (derzeit § 1600d BGB) eingeleitet hat. Die Rechtsposition des leiblichen Vaters, die dieser erst zu erlangen beantragt, soll vorrangig vor einer bislang (mit Ausnahme von § 1597a BGB) bedingungsfeindlichen Anerkennung sein. Wenn so die rechtliche Elternschaft einer anderen Person suspendiert wird, hat das Kind bis dahin keinen statusrechtlichen zweiten Elternteil. Wie im Kontext des § 1597a BGB führt bei beabsichtigten Eltern-Kind-Beziehungen ein weiterer, aufenthaltsrechtlicher, Zweck nicht dazu, dass es missbräuchlich ist, die Vaterschaft anzuerkennen (BVerwG NVwZ 21, 1689). Dass es ein effektives Verfahren für den leiblichen Vater geben soll (BVerfG NZFam 18, 1141), kann nicht zu einer Blockade der zweiten Elternstelle für das Kind führen.

Das Gericht soll in Fällen, in denen die Anerkennung gleichwohl beurkundet worden ist oder der Anfechtungsantrag erst nach Anerkennung gestellt wird, das Anfechtungsinteresse mit dem Interesse am Fortbestand der Elternschaft abwägen, also die Beziehung zum Kind, ihre Entwicklung und das Bemühen des Anfechtenden. Damit erfolgt aber wider die Ansicht des BGH eine Bewertung zu einem (auch) vorverlagerten Zeitpunkt. Inwieweit damit der Entscheidung des BVerfG entsprochen wird, ist fraglich (BVerfG 9.4.24, 1 BvR 2017/21, Abruf-Nr. 241007). Denn das BVerfG hat solche Abwägungen kritisch betrachtet und einen generellen Vorrang des leiblichen Vaters präferiert – oder eine Lösung in Form der Mehrelternschaft angeregt.

AUSGABE: FK 6/2024, S. 106 · ID: 49864597

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