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Eckpunktepapier des BMJVBetreuungsunterhalt: Das ändert sich für nicht verheiratete Eltern
| Nicht verheiratete Mütter bekommen nach einer Trennung oft weniger Betreuungsunterhalt als geschiedene. Dies soll laut Eckpunktepapier des BMJV vom 25.8.23 vereinheitlicht werden. Dazu im Einzelnen: |
Inhaltsverzeichnis
1. Bedarfsbemessung
Beim geschiedenen Elternteil ergibt sich dessen Bedarf aus dem meist höheren Einkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils, §§ 1570, 1578 BGB, während beim nicht verheirateten betreuenden Elternteil für seinen Bedarf nur sein Einkommen maßgeblich ist, § 1615l Abs. 3, § 1610 BGB. Nach dem Eckpunktepapier wird künftig das Einkommen des Unterhaltspflichtigen in die Bedarfsbemessung mit einbezogen, wenn die Lebenslagen zwischen dem verheirateten und dem nicht verheirateten Elternteil vergleichbar sind.
a) Die Eltern sind nicht miteinander verheiratet
Nach derzeitiger Rechtslage gilt Folgendes:
Beispiel: Bedarf des nicht verheirateten betreuenden Elternteils |
M und V leben ohne Trauschein zusammen; sie haben ein gemeinsames Kind K; mit der Geburt des K hört die M als Arzthelferin auf zu arbeiten; sie hat bereinigt monatlich netto 1.500 EUR verdient; als K ein Jahr alt ist, trennen sich die Eltern; die M betreut K und ist ohne Einkünfte; sie bezieht das Kindergeld von 250 EUR, der V als angestellter Arzt monatlich bereinigt 5.000 EUR. |
K ist noch keine drei Jahre alt. Die M hat einen Betreuungsunterhaltsanspruch gegen V, § 1615l Abs. 2 S. 3 BGB. Während dieser Zeit besteht für sie keine Obliegenheit, erwerbstätig zu sein (BGH 13.1.10, XII ZR 123/08 Rn. 25). Über den dritten Geburtstag des Kindes hinaus setzt sich der Betreuungsunterhalt als Billigkeitsunterhalt fort, § 1615l Abs. 2 S. 4 BGB. Ist der Unterhalt nach Billigkeit auszudehnen, korreliert dies mit der Erwerbspflicht des betreuenden Elternteils. Der Bedarf der M richtet sich nach ihrer eigenen Lebensstellung, §§ 1615l Abs. 3, 1610 BGB. Maßgeblich ist dafür das Erwerbseinkommen des Unterhaltsberechtigten, das er ohne die Geburt und Betreuung des Kindes erzielen würde. Es bleibt das Einkommen vor der Geburt bestimmend, wenn es genauso hoch ist wie ohne die Geburt, also nach der Geburt nicht gestiegen wäre (BGH FK 15, 146; mit dem Betreuungsunterhalt ist der Wegfall des Erwerbseinkommens der M auszugleichen, § 1615l Abs. 2 S. 2 BGB, BGH a. a. O.).
Das Erwerbseinkommen der M betrug vor der Geburt 1.500 EUR; sie würde auch ohne die Geburt des K nicht mehr verdienen. Mangels eigener Einkünfte ist die M i. H. d. Bedarfs unterhaltsbedürftig; der V schuldet ihr Unterhalt i. H. v. 1.500 EUR.
b) Die Eltern sind miteinander verheiratet
Sind M und V verheiratet, richtet sich ihr Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen, §§ 1361, 1578 BGB. Hat der V höhere Einkünfte als sie, erhöht sich ihr Bedarf nach ihrer Lebensstellung um die Hälfte der Differenz zwischen ihrem Einkommen und seinem; hat sie kein Einkommen, besteht ihr Bedarf aus dem hälftigen Einkommen des V (BGH FK 12, 37). Im Beispiel war M bei der Trennung einkommenslos; für ihren Bedarf ist das Einkommen des V maßgeblich:
Beispiel: Bedarf des verheirateten betreuenden Elternteils | |
Einkommen (EK) des V | 5.000,00 EUR |
abzüglich KU (DT Stand 1.1.24, EKG 9 (ohne Höherstufung bei einem Kind), ALS 1: 730 EUR abzüglich hälftiges KiG 125 EUR) | ./. 605,00 EUR |
4.395,00 EUR | |
abzüglich 1/10 Erwerbstätigenbonus (ETB) | ./. 439,50 EUR |
3.955,50 EU | |
÷ 2 = Bedarf der M, abgeleitet von dem EK des V | 1.977,75 EUR |
Fazit | In die nicht eheliche Beziehung wird das Einkommen des V erfahrungsgemäß mit eingeflossen sein. Durch die Trennung erfährt M einen Einkommensverlust. Statt Unterhalt von monatlich 1.977,75 EUR bei einer Ehe steht ihr als nicht Verheiratete nur ein Unterhalt von monatlich 1.500 EUR zu. |
2. Was ändert sich?
Diese Unterschiede bei der Bedarfsbemessung des Betreuungsunterhalts nicht verheirateter und geschiedener Eltern will das Eckpunktepapier beseitigen.
a) Vergleichbare Lebenssituation
Lässt sich die Lebenslage nicht verheirateter Elternteile mit derjenigen geschiedener Eheleute vergleichen, soll die Höhe des Unterhalts des nicht verheirateten kinderbetreuenden Elternteil wie beim geschiedenen Ehegatten festgestellt werden. Der Bedarf des nicht verheirateten Elternteils unterliegt aber wie beim Ehegattenunterhalt der Halbteilung (BGH 15.12.04, XII ZR 121/03, FK 05, 79). Die Obergrenze des Bedarfs ist der Bedarf, der dem betreuenden Elternteil zustünde, wenn er mit dem Unterhaltspflichtigen verheiratet wäre; der nicht verheiratete Elternteil soll nicht besser stehen als der geschiedene.
Merke | Die Lebenslage nicht verheirateter Paare mit geschiedenen soll z. B. vergleichbar sein, wenn sie vor der Trennung längere Zeit zusammengelebt haben oder wenn sie gemeinsam für ein Kind sorgen (Witt FF 23, 440 ff.). |
Beispiel: Einkommen des betreuenden Elternteils entfällt | |
EK V nach Abzug KU und ETB | 4.000 EUR |
Weggefallenes Erwerbseinkommen der nicht mit V verheirateten M | 1.500 EUR |
Bedarf der M, abgeleitet nach Lebensstellung des V: EUR 4.000 ÷ 2 = | 2.000 EUR |
M bekommt 2.000 EUR, also 500 EUR mehr als nach ihrer eigenen Lebensstellung; der Selbstbehalt des V von 1.600 EUR ist gewahrt (DT, Stand 1.1.24, Anm. D. III). |
Beispiel: Obergrenze des Bedarfs | |
Weggefallenes EK der M | 5.000 EUR |
EK V nach Abzug KU und ETB | 3.500 EUR |
Bedarf der M nach ihrer eigenen Lebensstellung | 5.000 EUR |
Obergrenze des Bedarfs ist die Halbteilung (EK des V 3.500 EUR ÷ 2 = Bedarf der M | 1.750 EUR |
Verfügbares EK des V für Unterhalt der M (3.500 EUR ./. 1600 EUR Selbstbehalt = 1.900 EUR), begrenzt durch Halbteilung | 1.750 EUR |
Beispiel | |
EK V nach Abzug KU und ETB | 4.000 EUR |
M vor der Geburt | 1.500 EUR |
Sie erzielt eigenes EK nach der Geburt | 500 EUR |
Bedarf der M nach eigener Lebensstellung | 1.500 EUR |
Fiktive Rechnung Nach Eckpunktepapier ist das höhere EK des V wie beim Ehegattenunterhalt einzubeziehen. Es ist also fiktiv zu rechnen: | |
EK V | 4.000 EUR |
| 500 EUR |
| 4.500 EUR |
| 2.250 EUR |
| ./. 500 EUR |
| 1.750 EUR |
Nach derzeitiger Rechtslage bekäme M 1.000 EUR (1.500 EUR ./. 500 EUR), nach dem Eckpunktepapier stehen ihr 750 EUR mehr zu. |
b) Nicht vergleichbare Lebenslage
Besteht keine einer Ehe vergleichbare Lebenslage, verbleibt es für die Berechnung bei der derzeitigen Rechtslage. Nach dem Eckpunktepapier wird aber der Mindestunterhaltsbetrag von zurzeit monatlich 1.200 EUR (dies entspricht dem notwendigen Selbstbehalt eines nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen) auf den Ehegattenmindestselbstbehaltbetrag von derzeit monatlich 1.475 EUR angehoben. Ist der Partner leistungsfähig, steht dem berechtigten Elternteil mindestens ein Unterhalt von monatlich 1.475 EUR zu.
c) Stellungnahme
Das Kriterium der „vergleichbaren Lebenslage“ wird streitbefangen sein: Welche Parameter müssen gegeben sein, um eine Vergleichbarkeit festzustellen? (dazu Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 62/2023). Fehlt die Vergleichbarkeit, beschränkt sich der Unterhalt des Betreuenden auf sein durch die Kinderbetreuung entstandenes Erwerbsdefizit bzw. auf den angehobenen Mindestbedarf; wäre auch das Einkommen des Partners maßgeblich, ergäbe sich ggf. für den Betreuenden ein die eigene Lebensstellung übersteigender Unterhalt. Die Rechtsprechung muss die Vergleichbarkeit festlegen. Nicht verheiratete Paare haben sich gegen die Ehe entschieden. Durch das Eckpunktepapier werden sie mit einer solchen aber gleichgestellt. Diese Gleichstellung wird dogmatisch angreifbar sein. Eher geeignet erscheint das Kriterium der gemeinsamen Verantwortung oder der Solidarität, um eine unterhaltsrechtliche Gleichstellung auf der Bedarfsebene zu rechtfertigen (Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins, a. a. O.).
3. Weitere Änderungen
Derzeit ist ein Verzicht auf den Betreuungsunterhaltsanspruch durch den Verweis in § 1615l Abs. 3 BGB auf § 1614 BGB grundsätzlich nicht möglich. Es ist allenfalls ein Teilverzicht auf bis zu 20 Prozent des gesetzlichen Unterhalts zulässig (BGH FamRZ 15, 2131). Demgegenüber erfasst das Verzichtsverbot den Nachscheidungsunterhalt nicht. Eheleute können gem. § 1585c BGB Vereinbarungen über die Unterhaltspflicht für die Zeit nach der Scheidung treffen, also ihre unterhaltsrechtlichen Beziehungen privat autonom gestalten, allenfalls eingeschränkt durch die BGH-Rechtsprechung zur Wirksamkeits- und Inhaltskontrolle. Dieser Unterschied ist nach dem Eckpunktepapier nicht nachvollziehbar. Insofern wird für den Betreuungsunterhalt gem. § 1615l BGB das Verzichtsverbot bei vergleichbaren Lebenssituationen entfallen, siehe Punkt 2 a).
Ferner sollen die Verwirkungstatbestände angeglichen werden. Derzeit orientiert sich die Verwirkung des Betreuungsunterhaltsanspruches gem. § 1615l BGB an § 1611 BGB, während für § 1570 BGB die Verwirkungsvorschrift des § 1579 BGB eingreift. Nach dem Eckpunktepapier sind keine Sachgründe erkennbar, dass für die beiden Betreuungsunterhalttatbestände unterschiedliche Verwirkungsvorschriften gelten. § 1579 BGB wird laut Eckpunktepapier auf § 1615l BGB erstreckt, sofern die Lebenssituationen vergleichbar sind.
Das Eckpunktepapier sieht vor, die Vererbbarkeit der beiden Ansprüche zu vereinheitlichen. Die Ansprüche als solche bestehen über den Tod des Unterhaltspflichtigen hinaus fort, § 1615l Abs. 3 S. 4 i. V. m. § 1615 Abs. 1 BGB, § 1586 Abs. 2 BGB; die entstandenen bzw. künftigen Ansprüche gehen nach dem Tod des Pflichtigen auf die Erben als Nachlassverbindlichkeiten über, §§ 1922, 1967 BGB. Allerdings ist die Haftung der Erben beim Nachscheidungsunterhalt begrenzt, und zwar auf die Höhe des sog. fiktiven Pflichtteils, während § 1615l Abs. 3 S. 4, § 1615 Abs. 1 BGB keine entsprechende Haftungsbeschränkung kennt. Einschlägig sind die allgemeinen Haftungsbeschränkungen, §§ 1973 ff. BGB; bei der Vererbung ist damit der nicht verheiratete Elternteil gegenwärtig bessergestellt. Das Eckpunktepapier will diese unterschiedliche Behandlung bei der Erbenhaftung beseitigen, legt jedoch nicht offen, wie.
Fazit | Aus der Sicht der Kinder macht es keinen Unterschied, ob die betreuenden Eltern verheiratet oder nicht verheiratet sind; insofern ist die beabsichtigte Reform des Betreuungsunterhalts im Eckpunktepapier zu begrüßen. Der Referentenentwurf mit den konkreten Gesetzesformulierungen bleibt abzuwarten. |
- BMJ PM 53/2023, 25.8.23, iww.de/s10453
- BMJ, PM zur Modernisierung des Unterhaltsrechts, Gesetzgebungsverfahren, iww.de/s10454
- BMJ, Beispielhafte Ermittlung verschiedener Betreuungsquoten, iww.de/s10455
- FF aktuell in FF 2023, 423, Ein faires Unterhaltsrecht für Trennungsfamilien
AUSGABE: FK 6/2024, S. 102 · ID: 49932101