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AbstammungsrechtWird es eine zweite weibliche Elternstelle geben?

Abo-Inhalt15.04.2024261 Min. LesedauerVon RA Dr. Marko Oldenburger, FA Familienrecht, FA Medizinrecht (Hamburg), Lehrbeauftragter

| Es gibt europäische und nationale Reformvorhaben zum Abstammungsrecht (dazu Oldenburger, FK 24, 69 ff.). Der Beitrag befasst sich mit der Frage, ob im Zuge der Reformen künftig die zweite Elternstelle, die bisher nach § 1592 Nr. 3 BGB vom Vater besetzt ist, weiblich besetzt werden kann. |

1. Genetische und Wunsch-Mutterschaft

Nach § 1592 BGB kann die Ehefrau der Geburtsmutter dem Kind statusrechtlich nicht zugeordnet werden: „Vater eines Kindes ist der Mann, der …“ Möglich ist nur eine Stiefkindadoption (BGH FamRZ 18, 1919; a. A. OLG Celle NZFam 21, 352; AG München FamRZ 22, 122; MüKo/Wellenhofer, BGB, 9. Aufl., § 1592 Rn. 14). Die binären Geschlechtskategorien führen dazu, dass die geschlechtsspezifische Zuordnung als Mutter nach § 1591 BGB trotz rechtlich anderer Geschlechtsidentität bestehen bleibt und im Geburtsregister dokumentiert wird.

Merke | Möglich ist eine Mutterschaft ohne Geburt aber, wenn eine Auslandsgeburt nachbeurkundet wird (§ 36 PStG) oder ausländische gerichtliche Entscheidungen nicht vermögensrechtlicher Art anerkannt werden, § 108 FamFG. Dadurch werden Wunschmutterschaften legalisiert. Leihmütter, die im Ausland für deutsche Wunscheltern ein Kind zur Welt bringen, werden in Deutschland rechtlich nicht zur Mutter, wenn eine ausländische gerichtliche Entscheidung ohne Versagungsgründe i. S. v. § 109 FamFG vorliegt oder das durch den gewöhnlichen Aufenthalt anwendbare Recht greift, Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB. Dies gilt auch für gleichgeschlechtliche Paare und Einzelpersonen.

Das Personenstandsregister muss die rechtliche Elternschaft abbilden (BGH NJW 15, 479, 484; 22, 2273). Dies gilt auch für andere Normen: Nach § 1600 Abs. 4 BGB kann ein Mann, der in die künstliche Befruchtung (s)einer Frau oder Lebenspartnerin einwilligt, z. B. durch die Ehe rechtlicher Vater werden, ohne dass er oder die Mutter diesen rechtlichen Status anfechten können. Nach § 1600d Abs. 4 BGB kann auch ein offizieller Samenspender nicht Vater werden.

2. Europäische Elternschaft

Die EU-Kommission hat den Entwurf (KE) zu einem Europäischen Elternschaftsrecht (EU-Kommissionsdokument COM [2022] 695, Vorschlag für eine VO des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung von Entscheidungen und die Annahme öffentlicher Urkunden in Elternschaftssachen sowie zur Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats) vorgelegt. Das EU-Parlament hat diesen am 14.12.23 mehrheitlich angenommen; die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen einstimmig zustimmen. Das ist aber u. a. in Ungarn und Italien nicht zu erwarten (kritisch Marburger Gruppe 10.5.23: Marburg Group, www.marburg-group.de).

a) Ziel des EU-Kommissionsvorschlags

Ziel ist ein neues harmonisches europäisches Elternschaftsrecht, einschließlich eines europäischen Elternregisters (dazu Oldenburger, NZFam 23, 632). In allen Angelegenheiten, in denen Kinder betroffen sind, müssen das Kindeswohl und die Rechte der Kinder beachtet werden. Das Recht der Freizügigkeit enthält nicht die Anerkennung einer Elternschaft, also die Zuordnung des Kindes zu einem Elter oder Eltern. Elternschaft soll unionsweit harmonisiert werden, um die Grundrechte von Kindern in grenzüberschreitenden Situationen zu schützen. Vorgaben dazu stammen u. a. aus der UN-Kinderrechtskonvention und der Charta mit der Maxime, dass alle Kinder die gleichen Rechte ohne Diskriminierung genießen sollen. Folge: Eine Elternschaft soll unabhängig davon sein, wie das Kind empfangen oder geboren wurde und unabhängig von der Art seiner Familie (S. 15 KE und Erwägungsgrund [EG] 21 KE). Gleichgeschlechtliche Eltern und die Anerkennung der Elternschaft eines innerstaatlich in einem Mitgliedstaat adoptierten Kindes werden eingeschlossen.

Die elternschaftliche Anerkennung soll unabhängig von der Staatsangehörigkeit von Kind und Eltern erfolgen. Bezugsmaß soll der gewöhnliche Aufenthaltsort sein (die Orientierung am Recht des gewöhnlichen Aufenthalts, Art. 17 Abs. 1 KE, der gebärenden Person ist in grenzüberschreitenden Sachverhalten einschließlich von Leihmutterschaft begrüßenswert). Die wirtschaftlichen Belastungen für Familien sollen reduziert und die Justizsysteme der Mitgliedstaaten entlastet werden. Widersprüchliche Elternschaften in Unionsstaaten für dieselbe Person sollen vermieden werden. Jeder Mitgliedstaat soll die in einem anderen Mitgliedstaat begründete Elternschaft anerkennen, behält jedoch seine Autonomie in Bezug auf die Definition von Familie und die rechtliche Begründung von nationaler Elternschaft außerhalb grenzüberschreitender Sachverhalte (dazu taugen die vorgesehenen alternativen Anknüpfungskriterien bezogen auf das für die Begründung der Elternschaft zuständige Gericht aber nicht – Folge wäre ein „Forum Shopping“, das vermieden werden sollte).

b) Mitgliedstaaten müssen ggf. ausländische Rechte anwenden

Diese Erwägungen widersprechen aber Art. 17 Abs. 2 KE. Um erstmalig die (weitere) Elternstelle in einem Mitgliedstaat zu begründen, soll danach das nationale Recht anderer Mitgliedstaaten verwendet werden (siehe auch EG 52 KE). Diese Begründung soll insoweit fremde Mitgliedstaatenrechte einbeziehend verwenden. Das ginge wohl über die Berücksichtigung und Anerkennung europarechtlicher Vorgaben hinaus und darf nicht dazu führen, dass fremde Mitgliedstaatenrechte geprüft und verwendet werden müssen. Derartige Kompetenzen hätten eine europaweit neue Qualität von Entscheidern zur Folge, was (aushöhlend) in nationale Rechte eingreifen würde. Wird eine Elternschaft grenzüberschreitend begründet, ist es geeigneter, europaweit bindende Mindeststandards einzuführen, wie sie z. B. in Erwägungsgrund 21 KE (Elternschaft unabhängig von der Art der Zeugung, der Geburt, dem Geschlecht und der Familienform der Eltern) formuliert sind. Alternativ müsste weiterhin akzeptiert werden, dass es auf Grundlage des jeweiligen nationalen Rechts z. B. nur einen Elternteil gibt, obschon die gebärende Person mit einer Frau verheiratet ist (was in Bezug auf Deutschland derzeit gem. § 1592 BGB der Fall wäre), die Mitgliedstaaten aber ggf. ihr eigenes Recht sukzessive an die Vorstellung der Kommission anpassen werden, um so zu einer Harmonisierung zu gelangen.

c) Automatische Anerkennung und Elternschaftsregister

Die in einem EU-Mitgliedstaat begründete Elternschaft soll ohne spezielles Verfahren in allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Das geplante Elternschaftsregister dient der Transparenz. Elternschaft aufgrund einer Geburt in einem Drittstaat soll keine unmittelbare innergemeinschaftliche Bindungswirkung entfalten. Gerichtliche Entscheidungen eines Mitgliedstaats (Art. 24 KE) und öffentliche Urkunden mit verbindlicher Rechtswirkung (Art. 36 KE) sowie öffentliche Urkunden ohne verbindliche Rechtswirkung mit der im Ausstellungsmitgliedstaat geltenden formellen Beweiskraft (Art. 45 Abs. 1 KE) sind aber auch in anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen. Dadurch werden mittelbar drittstaatliche Dokumente und Entscheidungen in die EU implementiert. Diese sind aber bei der erforderlichen Umsetzung in nationales Recht nur Vorbedingungen. Der KE gilt in diesen Nicht-EU-Sachverhalten nicht.

Folge einer nationalen Anerkennungsentscheidung ist wiederum die unmittelbare Bindungswirkung in der EU, wobei zwar Versagungsgründe benannt werden; deren Anwendungsbereich erscheint aber gerade in Fällen mit mittelbarem Drittstaatenbezug insuffizient: Die Beweiskraft einer die Abstammung begründenden öffentlichen Urkunde des Ursprungsmitgliedstaats soll in anderen Mitgliedstaaten gem. Art. 45 Abs. 1 KE nur eingeschränkt sein, wenn im Vorlagemitgliedstaat diese Urkunde mit ihrer (nationalen) Beweiswirkung offenkundig dem Ordre Public widerspricht. Art. 45 Abs. 5 KE regelt, dass Einwände gegen die Authentizität einer öffentlichen Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat gerichtlich geltend gemacht werden müssen. Wird jedoch das darin zum Ausdruck kommende Rechtsverhältnis infrage gestellt, ist das unter Berücksichtigung des aus Kap. IIII KE anzuwendende Recht zu überprüfen. Maßstab, um den Inhalt zu bestimmen, ist gem. Art. 45 Abs. 2 KE u. a. dasjenige, was in der Charta in Bezug auf Grundrechte und Grundsätze verankert ist.

Nach dem KE soll eine Nichtanerkennung restriktiv zu handhaben sein. Die Behörden sollen dabei vorrangig das Wohl des Kindes berücksichtigen, insbesondere den Schutz der Rechte des Kindes, einschließlich der Wahrung echter familiärer Bindungen zwischen dem Kind und den Eltern. Die Versagung der Anerkennung aus Gründen der öffentlichen Ordnung dürfe nur ausnahmsweise und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erfolgen. Dazu sind objektive Tatsachen erforderlich, die dem Mitgliedstaat i. d. R. nicht zur Verfügung gestellt werden. Ohne valide Anhaltspunkte würde aber der Grundsatz der automatischen Anerkennung greifen. Sonst müssten Einwände beim zuständigen Gericht erhoben werden, Art. 45 Abs. 6 KE. Ob dafür zudem auch eine Aktivlegitimation der Behörden des Bedenken äußernden Mitgliedstaats besteht, regelt der KE nicht.

Das schützenswerte Vertrauen in Entscheidungen von mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten erscheint im Vergleich zu bloßen Anerkennungsentscheidungen wie z. B. gem. § 108 FamFG oder § 36 PStG im deutschen Recht von anderer Qualität. Fehler oder durch Irrtum bedingte Bewertungen in einem Mitgliedstaat bei der Klärung eines abstammungsrechtlichen Sachverhalts sind zwar formal betrachtet durch eine (eingeschränkte) Überprüfung anhand der öffentlichen Ordnung korrigierbar; tatsächlich läuft dies – ohne eine, derzeit noch fehlende, besondere Regelung im KE – aber regelmäßig leer.

Der KE erweitert aber die Möglichkeit der Versagung der Anerkennung: Ein Ordre-Public-Verstoß könnte danach vorliegen, wenn die Grundrechte einer Person bei der Empfängnis, der Geburt oder der Adoption des Kindes oder bei der Begründung der Elternschaft des Kindes verletzt worden sind, S. 19 KE. Gleiche Einschränkungen und Restriktionen gelten für öffentliche Urkunden ohne verbindliche Rechtswirkung in Kap. V KE, Art. 45 Abs. 1 KE.

3. Reformpläne der Bundesregierung(en)

Auf Grundlage des Berichts der Abstammungskommission aus dem Jahr 2017 veröffentlichte das BMJV einen Diskussionsteilentwurf (Diskussionsteilentwurf zur Reform des Abstammungsrechts, BMJV (6.7.22): www.iww.de/s10138). Danach sollte u. a. eine weibliche zweite Elternstelle (Ehefrau der Mutter) eingeführt werden. Der Entwurf wurde ausführlich diskutiert (vgl. Lugani, ZRP 21, 176; Coester-Waltjen ZfPW 21, 129; Heiderhoff FF 20, 225; Oldenburger NZFam 20, 985; Reuß FamRZ 21, 824; Schmidt NZFam 22, 909) und in Bezug auf die Einführung einer Mutterschaft der Ehefrau der Mutter überwiegend begrüßt.

Am 16.1.24 veröffentliche das BMJV allerdings ein neues Eckpunktepapier zur Reform des Abstammungsrechts. Der bisherige Diskussionsteilentwurf scheint nicht mehr weiter verfolgt zu werden, es soll zeitnah (noch in 2024) ein neuer Referentenentwurf vorgestellt werden. Nach den Eckpunkten setzt das BMJV insgesamt auf weniger Staat und mehr elterliche Verantwortung. Gerichtliche Verfahren sollen reduziert werden, auf Notariate, Jugend- und Standesämter kommt hingegen erhebliche Mehrarbeit zu.

Ob diese insbesondere von den Behörden geleistet werden kann, muss bezweifelt werden. Neben Aspekten wie der gleichgeschlechtlichen Elternschaft oder einer vereinfachten Dreiererklärung (derzeit § 1599 Abs. 2 BGB), die schon im Diskussionsteilentwurf enthalten waren, sollen vertragsautonome Gestaltungsmöglichkeiten in den Vordergrund treten. Elternschaft soll bezogen auf die zweite Elternstelle präkonzeptionell und grundsätzlich unabänderbar vereinbart werden können. Elternvereinbarungen soll es zudem auch für das Sorge- und Umgangsrecht geben, wobei dabei das beabsichtigt zu fördernde Kindeswohl tatsächlich zurückgedrängt werden dürfte. Denn Beteiligungen der Kinder bei den Elternvereinbarungen, welche auch Abänderungen einschließen, sind nicht vorgesehen.

Weiterführende Hinweise
  • Oldenburger, Sonderausgabe Moderne Elternschaft
  • derselbe, Eltern werden ist nicht schwer – oder?, FK 24, 69 ff.

AUSGABE: FK 5/2024, S. 87 · ID: 49905702

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