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EhegattenunterhaltOLG Hamm pointiert Besonderheiten beim Altersunterhalt
| Ein Altersunterhaltsanspruch nach § 1571 Nr. 1 BGB besteht auch, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte bereits bei Eheschließung altersbedingt einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen konnte. Eine Herabsetzung oder zeitliche Befristung des Anspruchs auf Altersunterhalt scheidet aus, wenn Pflichtiger und Berechtigter schon Altersrentner sind. Das hat das OLG Hamm entschieden. |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
. 240119
M und F haben 2007 geheiratet. Im Jahr der Trennung 2020 veräußerten sie die Eheimmobilie und teilten den Erlös hälftig, also je 65.000 EUR. Sie sind seit dem 22.4.23 rechtskräftig geschieden. F bezieht seit mehreren Jahren Ruhegehalt seitens des Landesamtes für Besoldung und Versorgung NRW sowie eine Regelaltersrente der Deutschen Rentenversicherung Bund. Der 1955 geborene M wurde am 1.5.23 verrentet (Regelaltersrente). Er war im Wesentlichen selbstständig und erwarb nur geringe Anwartschaften außerhalb der Ehezeit und betrieb daneben keine sonstige Altersvorsorge, weshalb die Verrentung erst einige Zeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze erfolgte, nachdem er durch den VA einen Anspruch auf Altersrente erlangte. In den ersten Ehejahren hat er gut verdient, bis das von ihm geführte Unternehmen 2013 in Insolvenz geriet. Seit 2018 geht M keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. M behauptet, seit 2018 erwerbsunfähig erkrankt zu sein. Er begehrt nachehelichen Unterhalt. Das AG hat mit Verbundbeschluss die Ehe geschieden, den VA durchgeführt und den Antrag auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt zurückgewiesen. Das OLG hat auf die Beschwerde des M den Beschluss des AG abgeändert und die F verpflichtet, nachehelichen Unterhalt zu zahlen (OLG Hamm 21.12.23, II – 4 UF 36/23, Abruf-Nr. 240119).
Entscheidungsgründe
M kann von F nachehelichen Unterhalt nach § 1571 Nr. 1 BGB fordern. Nach dieser Vorschrift kann ein geschiedener Ehegatte von dem anderen Unterhalt verlangen, soweit von ihm im Zeitpunkt der Scheidung wegen seines Alters eine Erwerbstätigkeit nicht mehr erwartet werden kann.
Voraussetzungen des § 1571 Nr. 1 BGB
M ist im zeitlich engen Zusammenhang mit dem Einsatzzeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung (22.4.23) nach § 1571 Nr. 1 BGB zum 1.5.23 verrentet worden. Da es sich um die Regelaltersrente handelt, kann vom M altersbedingt keine Erwerbstätigkeit mehr erwartet werden. Hieran ändert auch nichts, dass er als Selbstständiger ein Unternehmen geführt hat. Zwar kommt es vor, dass freiberuflich Tätige und Selbstständige den Beruf über die Regelaltersgrenze hinaus ausüben. Dies bedeutet aber nicht, dass sie sich nicht auf diese Grenze berufen könnten (BGH FK 11, 78 ff.).
Merke | Nach dem Wortlaut und dem Gesetzeszweck muss allein das Alter des Unterhaltsgläubigers ursächlich dafür sein, dass von ihm keine Erwerbstätigkeit erwartet werden kann. Der Unterhaltsanspruch nach § 1571 BGB besteht auch, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte bereits bei der Eheschließung altersbedingt nicht mehr erwerbstätig sein konnte. Denn die Mitverantwortung, die der leistungsfähige Ehepartner gegenüber dem Unterhaltsbedürftigen trägt, ist eine Folge der Eheschließung und des ehelichen Zusammenlebens. Diese Mitverantwortung ist dabei unabhängig von dem Alter der Eheleute bei Eheschließung (BGH FamRZ 82, 28 Rn. 11). |
Dieser Kausalzusammenhang ist gegeben, da von M zum Einsatzzeitpunkt aufgrund seines Alters keine Erwerbstätigkeit mehr erwartet werden konnte.
Rechtsfolge des § 1571 BGB
Als Rechtsfolge gewährt § 1571 BGB den vollen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen i. S. v. § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn der Unterhaltsberechtigte wegen seines Alters vollständig gehindert ist, erwerbstätig zu sein. Unstreitig waren die ehelichen Lebensverhältnisse im Zeitpunkt der Trennung dadurch geprägt, dass die Beteiligten von den Einkünften der F gelebt haben. M verfügte schon längere Zeit davor über keine eigenen Einkünfte mehr.
Merke | Nach der Rechtsprechung des BGH gelten Renten- bzw. Ruhegehaltszahlungen unabhängig vom Zeitpunkt des Erwerbs der Anwartschaft als Surrogat für Erwerbseinkommen und prägen damit die ehelichen Lebensverhältnisse (BGH FamRZ 02, 88 Rn. 30–32). |
Anrechnung von Eigeneinkünften
M muss sich seine Eigeneinkünfte anrechnen lassen, sodass die von ihm nun bezogene Rente als Eigeneinkünfte zu bewerten ist. Davon ist die von ihm gezahlte private Kranken- und Pflegeversicherung abzuziehen. Da M selbstständig tätig und privat versichert war, hat dies die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt. Der Wechsel in die gesetzliche Krankenversicherung ist ihm nicht mehr möglich.
Vermögenseinsatz
M ist nach § 1577 Abs. 1 BGB gehalten, neben seinen Renteneinkünften auch das ihm aus dem Hausverkauf zugeflossene Vermögen für Unterhaltszwecke einzusetzen, um seine Bedürftigkeit zu vermindern. Der ihm im Rahmen des ZGA zugeflossene Betrag stellt Vermögen i. S. d. § 1571 BGB dar.
Beide Beteiligten haben nicht substanziiert zu den Erträgen vorgetragen, die sie aus dem ihnen jeweils zugeflossenen Betrag erzielt haben. Da sich insoweit die zu unterstellenden Erträge im Rahmen der Unterhaltsberechnung aufheben würden, ist davon abgesehen worden, fiktive Erträgnisse aufseiten der Beteiligten zu berücksichtigen. Allerdings ist M gehalten, für seinen Unterhaltsbedarf den Vermögensstamm nach § 1577 BGB anzugreifen, da die Verwertungssperren in § 1577 Abs. 3 BGB nicht eingreifen. Weder ist die Verwertung unwirtschaftlich noch stellt die Verwertung eine unbillige Härte für M dar.
Bei der gebotenen Abwägung ist zu berücksichtigen, dass beiden Eheleuten ein gleich hoher Betrag zugeflossen ist. Das spricht dagegen, dass eine einseitige Verwertung aufseiten des M zumutbar ist (vgl. BGH FK 13, 79 = FamRZ 13, 195). Jedoch hat F den Erwerb der Doppelhaushälfte mit dem Erlös aus dem Hausverkauf finanziert. Sie trägt die Darlehensraten. Die finanzielle Beteiligung des M betraf dagegen die Renovierung des Objekts und machte insoweit nicht die Hälfte des Verkaufserlöses aus.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des BGH mit Erreichen der (Regel-)Altersgrenze der laufende Kapitalverbrauch zumutbar ist (BGH FK 13, 77 = FamRZ 13, 203). Hiervon geht M auch selbst aus, wenn er vorträgt, die Immobilie sei als Altersversorgung der Beteiligten gedacht gewesen. Im Rahmen der Verwertung des Vermögensstamms ist der Vermögensbetrag auf die voraussichtliche Dauer der Unterhaltsbedürftigkeit umzurechnen (BGH FamRZ 85, 360; OLG Karlsruhe FamRZ 10, 655 Rn. 202). Ausweislich der aktuellen Sterbetafel hat M, der 1955 geboren ist, im Alter von 65 Jahren (2020) noch eine Lebenserwartung von 17,63 Jahren (Quelle Statistisches Bundesamt, Periodensterbetafel, Stand: 20.12.23). Dies bedeutet, dass der Vermögensstamm auf einen Zeitraum vom 23.4.23 bis zum 5.12.37 umzulegen ist. Dies sind 175,56 Monate, sodass sich ein monatlich einzusetzender Betrag von 370,24 EUR (65.000 EUR : 175,56) ergibt.
§ 1579 BGB
Es kommt nicht in Betracht, den Unterhaltsanspruch nach § 1579 BGB herabzusetzen, zeitlich zu beschränken oder zu versagen. Zwar ist § 1579 BGB von Amts wegen zu berücksichtigen. Dies bedeutet aber nicht, dass das Gericht eine Amtsermittlung betreiben muss. Vielmehr ist der Unterhaltsschuldner, der sich darauf beruft, dass der Unterhaltsanspruchs verwirkt ist, gehalten, den einzelnen Härtegrund sowie die grobe Unbilligkeit begründende Umstände darzulegen und ggf. – bei wirksamem Bestreiten der Gegenseite – zu beweisen. Daran fehlt es hier in jeglicher Hinsicht. Es führt zu keiner anderen Beurteilung, dass die Ehe erst im fortgeschrittenen Alter beider Beteiligter abgeschlossen worden ist und die Bedürftigkeit des M nicht auf einem ehebedingten Nachteil beruht. Denn § 1571 BGB verlangt gerade keine ehebedingte Bedürfnislage, sodass allein das Vorliegen einer Altersehe bzw. das Fehlen einer ehebedingten Bedürfnislage keine Gründe zur Unterhaltsbegrenzung nach § 1579 Nr. 8 BGB darstellen.
§ 1578b BGB
Die Voraussetzungen des § 1578b BGB liegen nicht vor, sodass der Unterhaltsanspruch weder herabzusetzen noch zeitlich zu begrenzen ist.
Die Durchführung des VA führt nicht dazu, den Altersunterhalt nach § 1571 BGB herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen. Denn grundsätzlich sind die Ansprüche aus dem VA vom Unterhaltsanspruch unabhängig. Folge: Beide bestehen nebeneinander. Der VA kann zwar bei der Frage, ob ehebedingte Nachteile vorliegen, bedeutsam werden, da der Ausgleich unterschiedlicher Vorsorgebeiträge vornehmlich Aufgabe des VA ist, durch den die Interessen des Unterhaltsberechtigten regelmäßig ausreichend gewahrt werden (BGH FK 10, 186). So liegt der Fall hier aber nicht, da unstreitig ehebedingte Nachteile nicht auszugleichen sind.
Im Rahmen der gebotenen Billigkeitsabwägung nach § 1578b Abs. 1 und 2 BGB spielen die dort genannten ehebedingten Nachteile keine Rolle, da aufseiten des M solche nicht eingetreten sind. Wesentliche Bedeutung bei der Bestimmung des gebotenen Maßes an nachehelicher Solidarität kommt dem Aspekt der Ehedauer, insbesondere der damit einhergehenden wirtschaftlichen Verflechtung der Eheleute, zu. Vorliegend ist eine Ehedauer von rund 14 Jahren gegeben, in denen M anfänglich im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit gut verdiente. Nach der Insolvenz seines Unternehmens in 2013 und später nach Einstellung der Erwerbstätigkeit in 2018 lebten beide Beteiligte vom Einkommen der F, was zu einer weiteren wirtschaftlichen Verflechtung bzw. Abhängigkeit des M von der F führte.
Merke | Darüber hinaus scheidet eine Herabsetzung oder zeitliche Befristung des Anspruchs auf Altersunterhalt aus, wenn Pflichtiger und Berechtigter schon Altersrentner sind, da nicht mehr erwartet werden kann, dass der Berechtigte in der Lage sein wird, sein Einkommen zu erhöhen (OLG Naumburg FK 08, 131 = FamRZ 08, 2120, Rn. 85). |
Dem steht nicht entgegen, dass der M während seiner selbstständigen Tätigkeit keine Altersvorsorge betrieben hat. Dieses Verhalten hat M bereits vor der Ehe an den Tag gelegt und dieser Umstand war F auch bekannt.
Auch der Umstand, dass F im Rahmen des VA nicht unerhebliche Anrechte an M abgeben musste, ändert an dem vorgenannten Abwägungsergebnis nichts. Denn die nunmehrigen Renteneinkünfte des M werden auf seinen Bedarf angerechnet, da es sich insoweit ebenfalls um eheprägendes Einkommen handelt. Dementsprechend wird der VA-Betrag auch nicht zulasten der F doppelt berücksichtigt. Denn der der F nach Durchführung des VA verbliebene Teil der während der Ehezeit erlangten Versorgung entspricht der Höhe nach im Wesentlichen den von M im Rahmen der Unterhaltsberechnung einzusetzenden Renteneinkünften. In Rahmen der Unterhaltsberechnung neutralisieren sich die Beträge folglich und ändern an der Höhe des zu zahlenden Unterhaltsbetrags nichts.
Die Regelung zum ZGA, wonach der M 65.000 EUR als Veräußerungserlös der Doppelhaushälfte erlangt hat, rechtfertigt ebenfalls keine andere Bewertung, da M zur Verwertung dieses Vermögensstamms verpflichtet ist.
Relevanz für die Praxis
Diese Entscheidung beschäftigt sich mit dem in letzter Zeit häufiger vorkommenden Fällen des Altersunterhalts gem. § 1571 BGB.
Hervorzuheben ist, dass das OLG das Wesen des Altersunterhalts pointiert herausgearbeitet hat, indem es unmissverständlich klargestellt hat, dass nach dem Wortlaut und dem Gesetzeszweck allein das Alter des Unterhaltsgläubigers ursächlich dafür sein muss, dass von ihm eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Damit besteht der Unterhaltsanspruch nach § 1571 BGB auch, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte nicht im Laufe einer langjährigen Ehe alt und unterhaltsbedürftig geworden ist, sondern bereits bei Eheschließung altersbedingt einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen konnte. Es ist also keine ehebedingte Bedürfnislage erforderlich.
Interessant sind auch die Ausführungen in dem Beschluss zur Vermögensverwertung. Zu unterscheiden ist zwischen den Erträgen, die aus dem Vermögen erzielt werden, und denen, bei denen es sich um Einkommen handelt, und dem Vermögensstamm selbst, der unter Umständen anzugreifen ist.
Praxistipp | In der Praxis wird in Vergleichen oder auch Beschlüssen häufig der Unterhaltsanspruch des berechtigten Ehegatten mit seinem Eintritt in das Rentenalter zeitlich begrenzt. Dieses Vorgehen ist in vielen Fällen pragmatisch und gerecht bzw. vertretbar. Auch wird es häufig das Ergebnis einer umfassenden Abwägung gem. § 1578b Abs. 2 BGB sein. Unterhaltsanspruch nicht zwingend auf Eintritt ins Renten-alter begrenzen Jedoch ist dies aus dogmatischer Sicht nicht zwingend. Dies hat das OLG Hamm in seiner Entscheidung klargemacht, indem es herausgestellt hat, dass von einem Unterhaltsberechtigten, der sich bereits im Rentenbezug befindet, nicht mehr erwartet werden kann, dass er in der Lage sein wird, sein Einkommen zu erhöhen. Dieser Gesichtspunkt ist stets im Rahmen einer Abwägung gem. § 1578 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen, wenn die Regelaltersgrenze des Unterhaltsberechtigten bevorsteht oder bereits erreicht ist. Dies gilt nicht nur, wenn es um Altersunterhalt geht, sondern auch bei der Prüfung der weiteren Ehegattenunterhaltstatbestände. |
- Bei den Erträgen aus dem Vermögen ist es selbstverständlich, dass diese als Einkommen bei dem jeweiligen Beteiligten zugrunde zu legen sind.Erträge aus Vermögen
- Ob der Unterhaltsberechtigte sein Vermögen selbst angreifen muss, um seinen Unterhaltsbedarf zu decken, hängt im Unterhaltsrecht allgemein davon ab, ob die Verwertungssperren des § 1577 BGB eingreifen oder nicht. Nach dieser Vorschrift braucht der Unterhaltsberechtigte den Stamm seines Vermögens nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre. Hierzu hat das OLG Hamm unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH (FK 13, 77 = FamRZ 13, 203) ausgeführt, dass mit Erreichen der Altersgrenze der laufende Kapitalverbrauch zumutbar ist.Vermögensstamm
Wird der Vermögensstamm regelmäßig verwertet, um die Unterhaltspflicht zu erfüllen, sinken die Erträge aus dem Vermögen sukzessive ab, sodass daran zu denken ist, den Unterhaltstitel abzuändern. Dies richtet sich nach § 238 (Abänderung gerichtlicher Entscheidungen) oder nach § 239 FamFG (Abänderung von Vergleichen oder Urkunden). Eine Abänderung ist aber erst Erfolg versprechend, wenn eine wesentliche Änderung i. S. v. § 238 Abs. 1 S. 2 FamFG (bei gerichtlichen Entscheidungen) eingetreten ist. Bei Vergleichen oder Urkunden müssen die veränderten Verhältnisse es unzumutbar machen, unverändert am Unterhaltstitel festzuhalten, § 313 Abs. 1 BGB. Demgemäß wird eine Abänderung meistens erst in Betracht kommen, wenn das Vermögen nicht mehr ausreicht, um die Differenz, die mit dem Absinken der Vermögenserträge bei der Leistungsfähigkeit entsteht, auszugleichen. Das ist spätestens der Fall, wenn das Vermögen komplett aufgebraucht ist.
AUSGABE: FK 5/2024, S. 77 · ID: 49950645