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Leihmutterschaft Stiefkindadoption dient nicht nur dem Kindeswohl, sondern ist auch erforderlich
| Das OLG Frankfurt hat geklärt, ob für die Begründetheit des Adoptionsantrags gem. § 1741 Abs. 1 BGB eine Kindeswohldienlichkeit (S. 1) ausreicht, oder ob nach S. 2 der Norm eine Erforderlichkeit vorliegen muss. |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Mit notarieller Urkunde hat die Annehmende A beim AG beantragt auszusprechen, dass sie K als Kind annimmt. K ist der Sohn von V, dem Ehemann der A. Mutter des K ist die Leihmutter X. Die A und der V hatten sich an eine in Tschechien und der Ukraine rechtmäßig handelnde Kinderwunschklinik gewendet. Dort ist mithilfe einer Eizellspende bei Frau X eine Schwangerschaft eingeleitet worden (sog. Leihmutterschaft). Nach der Geburt des K hat der V die Vaterschaft für K anerkannt. Das AG hat den Adoptionsantrag zurückgewiesen. Die Mutter des K habe nicht ihr Einverständnis zur Adoption durch die A erklärt. Außerdem fehle die Bescheinigung über die Beratung bei einer Adoptionsvermittlungsstelle, § 9a AdVermiG, § 196a FamFG. Die Bescheinigung haben die A und der V aber nachgereicht. Zudem sei nicht aufklärbar, ob die nach § 1746 Abs. 1 S. 1 BGB notwendige Einwilligung des K zur Annahme erfolgt sei. Gem. § 1746 Abs. 1 S. 2 BGB könne für ein Kind, das geschäftsunfähig oder noch nicht 14 Jahre alt ist, nur sein gesetzlicher Vertreter die Einwilligung erteilen. Zwar habe der V behauptet, dass er das alleinige Sorgerecht habe. Es liege jedoch kein Dokument zur Sorgerechtserklärung zwischen den Eltern vor. Außerdem sei die Einwilligungserklärung der leiblichen Mutter nicht vorgelegt worden. Gegen diesen Beschluss wenden sich A und V erfolgreich mit ihrer Beschwerde.
Leitsätze: OLG Frankfurt 12.12.23, 2 UF 33/23 |
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Entscheidungsgründe
Der Adoptionsantrag ist zulässig und begründet. Gem. § 1741 Abs. 2 S. 3, § 1754 Abs. 1, § 1755 Abs. 2 BGB ist die Annahme des Kindes als Kind der A auszusprechen. Es liegen mittlerweile ein notariell beurkundeter Antrag der A (§ 1752 Abs. 1 BGB) und notariell beurkundete Einwilligungserklärungen des rechtlichen Vaters und der Mutter des Anzunehmenden vor, § 1747 Abs. 1 BGB. Für das noch nicht 14-jährige Kind haben seine gesetzlichen Vertreter die Einwilligung erklärt. Auch ist (und konnte) die Beratungsbescheinigung gem. § 9a AdVermiG nachgereicht werden. Eine erst nach Verfahrenseinleitung ausgestellte Bescheinigung stellt kein Adoptionshindernis dar (so auch Reinhardt, Adoptionsvermittlungsgesetz, 9. Online-Auflage 2021, Rn. 17 zu § 9a AdVermiG; Botthof, NJW 21, 1127, 1128; Regierungsentwurf, BR-Drucksache 575/19, 64).
Adoption des K dient dem Kindeswohl
Die Annahme als Kind ist gem. § 1741 BGB Abs. 1 S. 1 zulässig, da sie dem Wohl des Kindes dient und zu erwarten ist, dass zwischen A und K ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht. Dem Wohl des Kindes ist gedient, wenn der Stiefelternteil, der das Kind faktisch versorgt, rechtlich verpflichtet wird, dessen Lebensbedarf zu decken und sein Erziehungsbeitrag durch ein (Mit-)Sorgerecht verfestigt und aufgewertet wird. Gegen diesen Vorteil sind mögliche immaterielle Nachteile abzuwägen. Die Stiefkindadoption dient dem Kindeswohl, wenn eine Prognose ergibt, dass sich die Annahme durch den Stiefelternteil günstiger auf die Entwicklung und Förderung des Kindes auswirken wird als die „soziale Elternschaft“ (MüKo/Maurer, BGB, 8. Aufl., § 1741 Rn. 113). Es ist zwischen der rechtlichen und sozialen Situation des Kindes mit und ohne Adoption abzuwägen.
Die Annahme als Kind dient hier eindeutig dem Kindeswohl, § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB. Zwischen A und K ist bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden. K lebt seit 2020 in einem Haushalt mit A und V, beide betrachtet K als seine (einzigen) Eltern. Die Gegenüberstellung der rechtlichen und tatsächlichen Situation des K mit und ohne Stiefkindadoption ergibt, dass sein berechtigtes Interesse an einer dauerhaften und gelingenden Mutterbeziehung zu der Person, die K als seine (einzige) Mutter ansieht, rechtlich abzusichern ist. Die Geburtsmutter X ist im Rahmen eines Leihmuttervertrags schwanger geworden und strebte zu keinem Zeitpunkt die soziale Mutterschaft für K an. K hat anders als andere von einer Stiefkindadoption betroffene Kinder keine (weitere) soziale Mutter.
Die Position der A durch den Status einer rechtlichen Mutter abzusichern, dient dem Kindeswohl. Denn die Rechte der A und des K werden durch das rechtliche Abstammungsverhältnis verbessert: Die Mutter kann die gemeinsame Sorge mit dem Vater ausüben und ist nicht nur auf die Sorge in alltäglichen Angelegenheiten beschränkt wie ein Stiefelternteil, § 1687b BGB. Sollte V versterben, kann A die elterliche Sorge für K ausüben, § 1680 BGB. Sie könnte bei einer Trennung von V im Streit um das Aufenthaltsbestimmungsrecht verlangen, dass K bei ihr lebt, § 1671 BGB. Für Stiefeltern entfällt die Alltagssorge dagegen mit der Trennung, § 1687b Abs. 4 BGB. Nur wenn A den K adoptiert, kann er sie als gesetzlicher Erbe beerben, was nicht zuletzt wegen der Pflichtteilsansprüche nach § 2303 Abs. 1 BGB für K vorteilhaft ist. Die Nachteile, die K durch den Verlust seiner Geburtsmutter erleidet, treten vor dem Hintergrund der Leihmutterschaft stark in den Hintergrund.
Die im Ausland nach dortigem Recht legitim durchgeführte, in Deutschland jedoch gem. § 1 Abs. 1 Nr. 7 ESchG, § 13c, § 14b AdVermiG verbotene Leihmutterschaft spricht nicht gegen die sittliche Rechtfertigung der Stiefkindadoption i. S. d . § 1741 Abs. 1 BGB. § 1741 Abs. 1 BGB unterscheidet zwischen zwei Alternativen und lässt i. d. R. eine Annahme als Kind zu, wenn sie dem Kindeswohl dient, § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB. Nur wenn an einer gesetzes- oder sittenwidrigen Vermittlung oder Verbringung eines Kindes mitgewirkt wurde, setzt die Annahme voraus, dass sie für das Kindeswohl erforderlich ist, § 1741 Abs. 1 S. 2 BGB.
Adoption des K ist auch für das Kindeswohl erforderlich
Selbst nach dem strengeren Maßstab der Kindeswohlerforderlichkeit ist der Adoptionsantrag der A begründet, weil die Annahme des K durch sie i. S. d. Vorschrift erforderlich ist. A ist 1968 geboren, V 1960. Er wird an Ks 18. Geburtstag 80 Jahre alt sein. Damit ist – rein statistisch betrachtet – eine erhöhte Gefahr dafür gegeben, dass der V verstirbt, während K noch minderjährig ist. Für K besteht ein rechtliches Risiko, einem Vormund anvertraut zu werden, weil die A als Stiefmutter auf die Rechte nach §§ 1685, 1682 BGB verwiesen wäre. Dazu kommen die durch eine mögliche Trennung der Eltern entstehenden Risiken.
Die Auslegung des § 1741 Abs. 1 S. 2 BGB muss im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK verfassungs- und konventionskonform erfolgen, daher müssen generalpräventive Erwägungen hinter das Kindeswohlprinzip zurücktreten (OLG Frankfurt 28.2.19, 1 UF 71/18, juris, Rn. 34 ff.). Ein aus einer Kinderwunschbehandlung durch Leihmutterschaft im Ausland legitim hervorgegangenes Kind muss die soziale Bindung zu seinen beiden Wunscheltern auch als rechtliches Band abgesichert sehen können. Die durch eine soziale Elternschaft entstandenen Bindungen sind im Rahmen des Kindeswohles zu respektieren, auch wenn die Leihmutterschaft in Deutschland aus nachvollziehbaren ethischen Gründen verboten ist (BVerfG 7.9.22, 1 BvR 1654/22, NZFam 22, 1065).
Das Kindeswohl ist vorrangig zu beachten, obwohl hier nicht aufgeklärt ist, ob der rechtliche Vater des K auch der genetische ist. Aber auch bei einer rein rechtlichen Vaterschaft muss das Kindeswohl vorrangig vor generalpräventiven Aspekten sein. Denn es gibt keinen maßgeblichen Unterschied zwischen einer genetischen und einer (nur) rechtlichen Vaterschaft. Zudem ist – wie vom EuGHMR gefordert – eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung geboten. Die Vaterschaft eines Mannes führt nicht zu unterschiedlichen Rechtsbindungen nach § 1592 BGB, je nachdem, ob das (gemeinsame) Kind durch intime Beziehung mit der Mutter oder nach homologer oder heterologer Insemination entstanden ist. Im Gegenteil sind die Rechtsverhältnisse weitgehend gleichgestellt. Jedenfalls scheidet nach einer Kinderwunschbehandlung während der Minderjährigkeit eine Vaterschaftsanfechtung aus, § 1600 Abs. 4 BGB. Der genetische Vater kann nicht als rechtlicher Vater festgestellt werden, § 1600d Abs. 4 BGB. Allerdings kann das aus einer heterologen Insemination hervorgegangene Kind die Vaterschaft unter bestimmten Voraussetzungen nach Volljährigkeit anfechten, weil die Beschränkungen des § 1600 Abs. 4 BGB nicht für das Kind gelten. Gleiches gilt sogar bei einer wahrheitswidrigen Anerkennung des Kindes als eigenes (mit Zustimmung der Mutter und des von ihr vertretenen Kindes, § 1592 Nr. 2, § 1594, § 1595 BGB). Das Kind bleibt auch nach einer künstlichen Befruchtung einer unverheirateten Frau ohne rechtlichen Vater. Denn auch hier wird der genetische Vater unter keinen Umständen rechtlicher Vater, § 1600d Abs. 4 BGB.
Das Abstammungsrecht zeigt eine Tendenz dazu, die rechtliche Vaterschaft unabhängig von der genetischen Wahrheit als vollwertig anzuerkennen. Das wird auch am Anfechtungshindernis des § 1600 Abs. 2 BGB deutlich, der in den Fällen der erstarkten sozialen Vaterschaft ein Anfechtungsrecht eines leiblichen Vaters ausscheiden lässt. Daher ist keine rechtliche Differenzierung nach genetischer oder nur rechtlicher Vaterschaft bei der hier zu entscheidenden Frage geboten, ob der Makel der im Inland verbotenen Leihmutterschaft bei einer Stiefkindadoption bedeutsam ist. Es ist auf das Kindeswohl abzustellen.
Relevanz für die Praxis
Der Anreiz für eine Leihmutterschaft könnte zwar reduziert sein, wenn die Adoption für das Kindeswohl erforderlich i. S. v. § 1741 Abs. 1 S. 2 BGB sein müsste. Da § 1741 BGB aber im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG auszulegen ist, sind generalpräventive Erwägungen gegenüber dem Kindeswohlprinzip nachrangig (OLG Frankfurt NJW 19, 1615, 1617). Generalpräventive Motive können daher nicht verhindern, eine ausländische Entscheidung anzuerkennen (BGH NJW 15, 479).
Die einzurichtende Eltern-Kind-Beziehung kann sich nicht in einer bloß sorgerechtlichen Stellung und einem familiären Zusammenleben erschöpfen, bis das Kind volljährig ist. Die Elternstellung ist vielmehr besonders zu sichern, da sonst eine Wunschmutter keine verfestigte Rechtsstellung hat.
Das OLG erweitert dies auf Elternschaften, ohne dass es eine genetische Verbindung zwischen den Wunscheltern und dem Kind geben muss (dazu Oldenburger, NZFam 23, 817). Bei einer Adoption nach § 1741 Abs. 1 BGB kommt es daher nicht darauf an, rechtlich nach genetischer oder rechtlicher Elternschaft zu differenzieren. Vielmehr ist auf das Kindeswohl abzustellen. Bei dem Streit, ob § 1741 Abs. 1 S. 1 oder S. 2 BGB anzuwenden ist, gilt: Aufgrund der Leihmutterschaft ist bei integraler familiärer Lebensführung in Deutschland i. d. R. auch eine Erforderlichkeit i. S. v. § 1741 Abs. 1 S. 2 BGB anzunehmen. Selbst nach diesem strengeren Maßstab ist ein Adoptionsantrag begründet, wenn sonst für das Kind ein rechtliches Risiko besteht, z. B. eine Vormundschaft, aber auch, wenn sich die Eltern trennen oder erbrechtliche Folgen einzubeziehen sind.
Nach einer legal im Ausland durchgeführten Leihmutterschaft kann ein nationales Stiefkindadoptionsverfahren erfolgen, ohne die besonderen Voraussetzungen des § 2a AdVermiG zu erfüllen. Daher kann der notarielle Antrag bereits acht Wochen ab der Geburt eingereicht werden. Liegt ein genetischer Abstammungsnachweis zur Wunschmutter vor, kann von einer Dienlichkeit i. S. v. § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB ausgegangen werden. Ist das nicht der Fall, wäre die Annahme als Kind aber auch erforderlich, § 1741 Abs. 1 S. 2 BGB. Damit werden aktuelle anderslautende Einwendungen von Landesjugendämtern, Adoptionsvermittlungsstellen etc. entkräftet. Aber selbst wenn eine Leihmutterschaft dem strengeren Maßstab von S. 2 unterfallen würde, wäre bei einer vollwertigen integralen Versorgung und Betreuung des Kindes wie bei einem leiblichen Kind die Adoption erforderlich. In diesen Fällen unterscheiden sich § 1741 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB nicht signifikant, da selbst nach S. 2 stets i. S. d. Kindeswohls eine verlässliche Zuordnung zum Wunschelternteil erfolgen muss. Damit sollten Anträge auf Stiefkindadoption, v. a. aus Kindeswohlaspekten, künftig leichter begründet und der Gegenmeinung entgegengetreten werden können.
AUSGABE: FK 3/2024, S. 43 · ID: 49883787