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Basics des VersorgungsausgleichsVersorgungsausgleich mit Auslandsbezug
| Zunehmend sind an Scheidungsverfahren vor deutschen Gerichten Ausländer beteiligt und/oder ausländische Versorgungsanrechte zu beachten. Der folgende Beitrag gibt eine Übersicht, welche Rechtsfragen zu beantworten sind und wie sich praktische Probleme lösen lassen. |
1. Internationale Zuständigkeit
Ist über den VA nach deutschem Recht gem. § 137 FamFG im Verbund mit einer Scheidungssache zu entscheiden, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den VA nach der Zuständigkeit für die Ehesache, § 98 Abs. 3 FamFG. Diese richtet sich nach § 98 Abs. 1 FamFG, soweit nicht gem. § 97 FamFG vorrangige Rechtsakte der EU oder völkerrechtliche Vereinbarungen gelten. Zu beachten ist z. B. die sog. Brüssel IIb-VO (VO [EU] 2019/1111 vom 25.6.19 [Neufassung der Brüssel IIa-VO]; in Kraft seit 1.8.22). Sie ist anwendbar, wenn beide Ehegatten deutsche Staatsangehörige sind, wenn sich der gewöhnliche Aufenthalt beider im Inland befindet oder wenn beide Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten und einer von ihnen dort noch residiert. Die Anhängigkeit einer Ehesache im Ausland schließt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für andere Familiensachen nicht aus. Da der VA nur im Fall der Scheidung oder Eheaufhebung stattfindet, kann ein Verfahren vor einem deutschen Gericht aber erst nach rechtskräftigem Abschluss des ausländischen Eheauflösungsverfahrens in Betracht kommen.
Ist keine Ehesache vor einem deutschen Gericht anhängig, sind die deutschen Gerichte für VA-Sachen gem. § 102 FamFG international zuständig, wenn Antragsteller oder -gegner den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, über inländische Anrechte zu entscheiden ist (z. B. in den Fällen des Art. 17 Abs. 4 S. 2 EGBGB) oder ein deutsches Gericht die Ehe geschieden hat. § 102 FamFG wird weder durch EU-Recht noch durch Staatsverträge verdrängt. Insbesondere ist die Brüssel IIb-VO auf VA-Sachen nicht anwendbar.
Beispiel 1 | 
M (deutscher Staatsangehöriger) und F (thailändische Staatsangehörige) haben 2018 in Thailand geheiratet und hatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt während der Ehe in Deutschland. Im März 21 hat sich F von M getrennt und ist unbekannten Aufenthalts. M hat in der Ehe eine gesetzliche Rentenanwartschaft erworben. M wünscht die Scheidung und gibt an, dass die F in Deutschland nicht erwerbstätig war.  | 
Beispiel 2 | 
M (französischer Staatsangehöriger) und F (belgische Staatsangehörige) haben 2007 in Belgien geheiratet. Sie haben in Belgien gelebt, wo der M Anrechte bei einem überstaatlichen Versorgungsträger (EU) erworben hat.  | 
Seit Anfang 11 lebten und arbeiteten sie in Deutschland. 2018 wurden sie hier geschieden und es wurde ein Wertausgleich bei der Scheidung hinsichtlich der hier erworbenen gesetzlichen Rentenanwartschaften beider Ehegatten durch-geführt. Die F ist in ihre Heimat zurückgekehrt und inzwischen im Ruhestand. Der M lebt weiterhin in Deutschland und ist auch im Ruhestand. Die F will den Ausgleich von bei der Scheidung nicht in den VA einbezogenen Anrechten des M auf eine deutsche Betriebsrente und seine EU-Versorgung geltend machen.  | 
Merke | Im Beispiel 1 ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Scheidung (und damit auch für die Folgesache VA) gegeben, weil die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten und der M dort noch wohnt. Im Beispiel 2 ergibt sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für ein einzuleitendes isoliertes Verfahren über den VA nach allen drei Alternativen des § 102 FamFG.  | 
2. Anzuwendendes Sachrecht
Ob und in welcher Weise ein VA durchzuführen ist, hängt von dem anzuwendenden Sachrecht ab. Gem. Art. 17 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 EGBGB unterliegt der VA dem nach der Rom III-VO (VO [EU] Nr. 1259/2010 vom 20.12.10) auf die Scheidung anzuwendenden Recht. Danach wird, wenn die Ehegatten keine Rechtswahl getroffen haben, primär an das Recht des Staates angeknüpft, in dem die Ehegatten den gewöhnlichen Aufenthalt haben oder in dem sie zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen dort innerhalb des ersten Jahres nach der Trennung weiterhin residiert. Nur wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wird hilfsweise an eine gemeinsame Staatsangehörigkeit beider Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts und in letzter Linie an das Recht des Staates des angerufenen Gerichts angeknüpft.
Diese Kollisionsnormen greifen grundsätzlich auch, wenn die Ehegatten einem Staat außerhalb der EU angehören (OLG Hamm FamRZ 20, 666). Eine Ausnahme gilt aufgrund der Vorbehaltsklausel des Art. 19 der VO bei Scheidung von Personen mit iranischer Staatsangehörigkeit; insoweit gilt gem. Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens vom 17.2.29 iranisches Recht (OLG Frankfurt FamRZ 20, 665). Im Regelfall ist aber auf die Scheidung und damit auch auf den VA deutsches Recht anzuwenden, wenn sich beide Ehegatten in Deutschland aufhalten oder wenn einer von ihnen hier residiert und beide die eheliche Lebensgemeinschaft in Deutschland geführt haben. Der VA ist danach grundsätzlich auch bei oder nach der Scheidung von in Deutschland lebenden Ausländern durchzuführen.
Demgemäß sind in beiden Beispielsfällen die deutschen Vorschriften über den VA anzuwenden. Danach ist bei oder nach der Scheidung grundsätzlich ein VA durchzuführen, § 1587 BGB. Zwar findet ein VA bei einer Ehezeit von bis zu drei Jahren nur statt, wenn ein Ehegatte dies beantragt, § 3 Abs. 3 VersAusglG. Auch im Fall 1 ist aber ausgeschlossen, dass die Ehezeit unter drei Jahren bleiben wird. Außerdem müsste bis zum Abschluss des Verfahrens abgewartet werden, ob die F noch beantragt, einen VA durchzuführen.
3. Einleitung des Verfahrens
Auch das Verfahren richtet sich nach deutschem Recht, nach dem FamFG. Im Fall 1 muss der M einen Scheidungsantrag einreichen, der der F zuzustellen ist. In dem Verfahren besteht Anwaltszwang, § 114 Abs. 1 FamFG. Das AG muss von Amts wegen ihren Aufenthalt bzw. eine zustellungsfähige Anschrift (ggf. auch im Ausland) ermitteln. Ist das unmöglich, ist die Antragsschrift öffentlich zuzustellen, § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 185 ZPO. Im Fall 2 kommen schuldrechtliche Ausgleichsansprüche der F in Betracht, §§ 20 ff. VersAusglG. Dies setzt einen Antrag voraus, § 223 FamFG. Die F muss eine Antragsschrift bei dem nach § 218 FamFG örtlich zuständigen Gericht einreichen. In einem selbstständigen VA-Verfahren besteht zwar kein Anwaltszwang, da der VA keine Familienstreitsache ist, vgl. §§ 112, 114 Abs. 1 FamFG. Die anwaltliche Vertretung ist aber aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage i. d. R. zweckmäßig. Der verfahrenseinleitende Antrag sollte begründet werden, § 23 Abs. 1 FamFG. Es sollte darlegt werden, bezüglich welcher konkreten Anrechte des M die F einen schuldrechtlichen VA begehrt. Sie sollte vortragen, warum das betriebliche Anrecht, aus dem der M inzwischen Versorgungsleistungen bezieht, bei der Scheidung nicht mitausgeglichen worden ist (z. B. mangelnde Ausgleichsreife). Das ausländische Anrecht war gem. § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG in jedem Fall bei der Scheidung nicht ausgleichsreif. Die F sollte ferner vortragen, dass auf ihrer Seite eine der Fälligkeitsvoraussetzungen nach § 20 Abs. 2 VersAusglG vorliegt.
4. Ermittlung der Versorgungsanrechte
Im VA-Verfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, § 26 FamFG. Das Familiengericht muss daher von Amts wegen den Sachverhalt ermitteln, soweit dies für die Entscheidung bedeutsam ist. Die Ehegatten trifft jedoch eine Mitwirkungspflicht, vgl. § 220 FamFG. Deshalb kann das Gericht, ohne seine Aufklärungspflicht zu verletzen, davon ausgehen, dass die Ehegatten ihnen vorteilhafte Umstände oder solche, die nach Ende der Ehezeit eingetreten sind und gem. § 5 Abs. 2 S. 2 VersAusglG zu beachten sind, von sich aus oder jedenfalls auf gerichtliche Verfügung hin vorbringen (BGH FamRZ 21, 745; 22, 1099). Ist dies aber geschehen, muss das Gericht den Hinweisen aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht auch nachgehen.
Merke | Im Beispiel 1 sind von der F selbst keine Auskünfte über während der Ehezeit erworbene Versorgungsanrechte zu erwarten. Daher muss der M hierüber Auskunft erteilen, soweit es ihm möglich ist. Versichert er dem Gericht glaubhaft, dass die F während des Zusammenlebens keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen ist und auch keine Beiträge zu einer privaten Rentenversicherung gezahlt hat, ist im Zweifel davon auszugehen, dass sie in der Ehezeit kein inländisches Versorgungsanrecht erworben hat. Ggf. kann dies auch noch durch Anfrage bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, ob für sie eine Versicherungsnummer ausgegeben wurde, abgesichert werden. Dabei sind das Geburtsdatum der F und ihre Anschrift während der ehelichen Gemeinschaft anzugeben.  | 
Eventuell nach der Trennung erworbene ausländische Anrechte der F sind gem. § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG nicht ausgleichsreif und nicht in den Wertausgleich bei der Scheidung einzubeziehen, sondern (ggf. vorsorglich) einem schuldrechtlichen VA vorzubehalten, § 224 Abs. 4 FamFG. Die inländischen Anrechte des M unterliegen dem Wertausgleich bei der Scheidung und müssten daher i. H. d. Ausgleichswerts zugunsten der insoweit ausgleichsberechtigten F geteilt werden. Die Anrechte können jedoch als nicht ausgleichsreif angesehen und daher auch dem schuldrechtlichen VA vorbehalten werden, wenn die F weder vor noch während der Ehezeit Anrechte in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung erworben hat, ihr im Fall interner Teilung des Anrechts des M weniger als 1,878 Entgeltpunkte zu übertragen wären und nicht damit zu rechnen ist, dass sie ein solches Anrecht noch aufstocken würde, § 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG. Denn dann wäre der Ausgleich für sie unwirtschaftlich, weil sie die zum späteren Bezug einer deutschen Rente erforderliche Wartezeit nicht erfüllen würde.
Ist der Ausgleich des gesetzlichen Anrechts des M als wirtschaftlich anzusehen, wäre zu prüfen, ob und ggf. inwieweit gem. § 19 Abs. 3 VersAusglG in Bezug auf dieses Anrecht aus Billigkeitsgründen von einem Wertausgleich bei der Scheidung abzusehen ist. Nur zu diesem Zweck müssten ausländische Anrechte der F aufgeklärt werden, um feststellen zu können, ob deren Ausgleichswert wertmäßig auch nur annähernd demjenigen des inländischen Versorgungsanrechts des M entspricht. Solange die F unbekannten Aufenthalts ist, dürften Ermittlungen aber aussichtslos sein. Angesichts der relativ kurzen Ehe spricht viel dafür, ohne langwierige Ermittlungen auch das Anrecht des M insgesamt dem schuldrechtlichen VA vorzubehalten. Sonst könnte die Ehe unter Abtrennung des VA (§ 140 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 FamFG) vorab geschieden und der VA, sofern weitere Ermittlungen derzeit aussichtslos sind, gem. § 21 FamFG ausgesetzt werden.
Merke | Im Beispiel 2 sind aufgrund des von der F eingereichten Antrags Ermittlungen anzustellen, ob der M laufende Versorgungen aus einem in Deutschland erworbenen betrieblichen Anrecht und aus einem während seiner Tätigkeit für die EU erworbenen überstaatlichen Anrecht bezieht und ob diese Anrechte „noch nicht ausgeglichen“ sind, § 20 Abs. 1 S. 1 VersAusglG.  | 
Soweit er eine Betriebsrente bezieht, muss ein Ausgleich des Anrechts bei der Scheidung noch nicht möglich gewesen sein. Das ist der Fall, wenn das Anrecht bei der Scheidung mangels Unverfallbarkeit noch nicht ausgleichsreif war (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG) und deshalb gem. § 19 Abs. 4 VersAusglG dem schuldrechtlichen VA vorbehalten geblieben ist. Dies muss sich nach neuem Recht zumindest aus den Gründen der Entscheidung über den Wertausgleich bei der Scheidung ergeben, § 224 Abs. 4 FamFG. Ein ausdrücklicher Vorbehalt des schuldrechtlichen VA hat jedoch – nicht nur bei nach früherem Recht ergangenen Entscheidungen – nur deklaratorischen Charakter (BGH FK 19, 48). War das Anrecht erkennbar bei der Scheidung bereits ausgleichsreif, hätte es in den Wertausgleich bei der Scheidung einbezogen werden müssen. In diesem Fall käme kein schuldrechtlicher Ausgleich mehr in Betracht (BGH FK 14, 49; 15, 65).
Das Anrecht des M bei dem überstaatlichen Versorgungsträger war gem. § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG bei der Scheidung nicht ausgleichsreif. Es kann schuldrechtlich ausgeglichen werden. Problematisch kann insoweit sein, welcher Teil der Versorgung gem. § 3 Abs. 2 VersAusglG auf die Ehezeit entfällt. Dazu muss versucht werden, eine Auskunft des Versorgungsträgers einzuholen.
AUSGABE: FK 5/2023, S. 87 · ID: 48708636