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VerfahrensrechtTitelgegenklage vs. Vollstreckungsgegenklage

Abo-Inhalt10.04.20231178 Min. LesedauerVon RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

| Bei einem unbestimmten Titel, bei dem auf die zugrunde liegende Forderung gezahlt worden ist, ist die Wahl des richtigen Rechtsmittels schwierig. Der Beitrag zeigt, wie Sie richtig vorgehen. |

1. Unbestimmter Titel

Es ist so schnell passiert: Bei Vergleichsverhandlungen schließen die Parteien einen Vergleich, der nicht vollstreckbar ist, weil er zu unbestimmt ist:

Beispiel

Mit gerichtlichem Vergleich hat sich die Frau F verpflichtet, für ihren Mann M rückständigen Trennungsunterhalt für sechs Monate i. H. v. 1.000 EUR monatlich zu zahlen, abzüglich bereits gezahlter Beträge. F behauptet, gezahlt zu haben. M kündigt die Zwangsvollstreckung an.

Der Titel hat keinen vollstreckbaren Inhalt. Ein Titel ist nur bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er den Anspruch des Gläubigers ausweist und Inhalt und Umfang der Leistungspflicht bezeichnet. Beim Zahlungstitel muss der Zahlungsanspruch betragsmäßig festgelegt sein (BGH 24.10.56, V ZR 127/55). Es genügt nicht, wenn auf Urkunden Bezug genommen wird, die nicht Bestandteil des Titels sind, oder wenn sonst die Leistung nur aus dem Inhalt anderer Schriftstücke ermittelt werden kann (BGH 6.11.85, IVb ZR 73/84).

Merke | Durch den Passus „abzüglich bereits gezahlter Unterhaltsbeträge“ ist die Höhe der Titulierung nicht mehr bestimmt genug. Denn unklar bleibt, welche Beträge worauf konkret gezahlt wurden.

2. Rechtsmittel bei unbestimmten Titeln

Die fehlende Vollstreckungsfähigkeit kann mit der sog. Titelgegenklage analog § 767 ZPO geltend gemacht werden. Das Rechtsschutzinteresse besteht, obwohl auch eine Klauselerinnerung erhoben werden kann,§ 732, § 797 Abs. 3 ZPO (BGH 7.12.05, XII ZR 94/03). Da F sich auch auf Erfüllung (§ 362 BGB) beruft, greift § 767 ZPO unmittelbar. Gem. BGH handelt es sich bei der Vollstreckungsklage gem. § 767 ZPO und der der sog. Titelgegenklage um zwei unterschiedliche Streitgegenstände (27.3.15, V ZR 296/13; kritisch MüKo/Karsten Schmidt/Brinkmann, ZPO, 6. Aufl. § 767 Rn. 6). Beide können nebeneinander geltend gemacht werden (BGH NJW-RR 07, 1724). Im Beispiel bietet sich ein Stufenverhältnis an, dass primär die Titelgegenklage gem. § 767 ZPO analog und sekundär die Vollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO eingelegt wird, weil bei der Erfüllung Beweisrisiken bestehen.

Musterantrag / Vollstreckungs- und Titelgegenklage

  • 1. Die Zwangsvollstreckung aus dem am … geschlossenen Vergleich des Familiengerichts … (Az.) wird für unzulässig erklärt (Titelgegenklage analog § 767 ZPO);
  • 2. hilfsweise zu 1: Die Zwangsvollstreckung aus dem am … geschlossenen Vergleich des Familiengerichts … (Az.) wird für unzulässig erklärt (Vollstreckungsgegenklage § 767 ZPO);
  • 3. der Antragsgegner wird verpflichtet, die vollstreckbare Ausfertigung des unter Nr. 1 genannten Vollstreckungstitels an die Antragstellerin herauszugeben.

In der Begründung muss der Anwalt, um den Antrag zu 1 zu stützen, auf die Unbestimmtheit des Titels, und um den Antrag zu 2 zu stützen, auf die Erfüllung abstellen. Der Antrag zu 3 ist der auf § 371 BGB analog gestützte Antrag auf Herausgabe des Vollstreckungstitels. Hierdurch wird dem Gläubiger die Möglichkeit genommen, weiter zu vollstrecken. Daneben ist ein Antrag gem. § 769 ZPO auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung möglich (BGH 15.2.22, XI ZR 646/20). Da eine Klage gem. § 767 ZPO keine aufschiebende Wirkung hat, sollte ein Antrag gem. § 769 ZPO unbedingt gestellt werden. Gegen eine einstweilige Anordnung nach § 769 ZPO ist kein Rechtsmittel gegeben (BGH JuS 04, 924). Insoweit ist zu beachten, dass eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung mit der Entscheidung über die Hauptsache außer Kraft tritt. War bereits eine einstweilige Anordnung nach § 769 ZPO ergangen, ist das Gericht nach h. M. verpflichtet, nach § 770 ZPO zu entscheiden (MüKo/KarstenSchmidt/Brinkmann, ZPO, a. a. O., § 770, Rn. 5). D. h., das Gericht muss über eine Bestätigung oder Aufhebung entscheiden. Auch um Fehler des Gerichts zu vermeiden und weil nach einer Mindermeinung diese Entscheidung nur auf Antrag ergeht, sollte der Anwalt ausdrücklich einen Antrag stellen.

Musterantrag / (Einstweilige) Einstellung der Zwangsvollstreckung

  • 4. Die Zwangsvollstreckung aus dem unter Nr. 1 bezeichneten Vollstreckungstitel wird bis zur Rechtskraft des Urteils ohne – hilfsweise gegen – Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt.
  • Im Wege der einstweiligen Anordnung wird beantragt: Die Zwangsvollstreckung aus dem am … geschlossenen Vergleich des Familiengerichts … (Az.) wird bis zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ohne – hilfsweise gegen – Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt.

Praxistipp | Wenn aus einem unbestimmten Titel Geldbeträge vollstreckt worden sind, sind diese nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung gem. § 812 Abs. 1, S. 1, Alt. 2 BGB herauszugeben (OLG Schleswig NJW 17, 1970). Dagegen kann sich der Unterhaltsgläubiger nur mit dem Dolo agit-Einwand verteidigen, d. h., er muss darlegen und bewiesen, dass die Zahlung zu Recht erfolgt ist.

Weiterführender Hinweis
  • Zum Musterantrag bei erfolgter Pfändung Beck‘sches Online-Formulare Prozess 52. Edition 2022 Stand 1.7.22

AUSGABE: FK 5/2023, S. 78 · ID: 48743149

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