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PalliativbehandlungWann soll die kurative Behandlung enden?
| Wann soll eine kurative Behandlung eingestellt und mit der Palliativversorgung begonnen werden? Was tun, wenn Angehörige vehement eine kurative Weiterbehandlung fordern? Und wer haftet, wenn diese misslingt? Das Landgericht München II hat in einem kürzlich verkündeten Urteil eine Haftung der behandelnden Klinik verneint und der Klinik einen Ermessensspielraum eingeräumt. Allerdings wurde der Widerspruch zwischen Patientenwillen und Willen der Angehörigen nicht aufgelöst (Urteil vom 14.11.2023, Az. 1 O 5127/21 Hei). Das Urteil ist vor allem deshalb spannend, weil es die schwierigen Pflichten von Ärztinnen und Ärzten gegenüber Patienten im Übergang zur Sterbephase darstellt und dabei die Grenzen des Zumutbaren aufzeigt. |
Behandlung auf Wunsch des Gatten erfolglos fortgeführt, Gatte klagt
Eine schwer kranke Patientin hatte bei ihrer stationären Aufnahme eine Weiterbehandlung für den Fall einer starken Pflegebedürftigkeit ausgeschlossen. Sie wurde zunächst durch verschiedene Maßnahmen kurativ behandelt („Stadium 1“). Trotzdem verschlechterte sich der Zustand der Patientin erheblich („Stadium 2“). Der Ehemann der Patientin forderte vehement eine kurative Weiterbehandlung. Die behandelnden Ärzte gaben diesem Wunsch nach. Am Folgetag wurde die Patientin pulslos und ohne Atmung aufgefunden („Stadium 3“). Eine Reanimation wurde begonnen, kurze Zeit später aber erfolglos abgebrochen. Der Ehemann verklagte die Klinik und warf ihr einen Behandlungsfehler in Form der nicht ausreichenden Reanimation vor.
Der gerichtlich bestellte Gutachter erklärte, dass gut vertretbar schon in Stadium 1, spätestens mit dem Eintritt in Stadium 2 eine palliative Situation vorlag. Selbst wenn eine weitere Behandlung das Leben der Patienten hätte verlängern können, wäre es auf jeden Fall zu einer starken Pflegebedürftigkeit der Patientin gekommen. An sich wäre aufgrund des erklärten Willens der Patientin und dem geschuldeten Facharztstandard spätestens in Stadium 2 eine palliative Behandlung geschuldet gewesen.
Gericht hält Vorgehen der Klinik für richtig und verneint eine Haftung
Das Gericht räumte der Klinik einen Spielraum ein. Da der Ehemann den starken Wunsch zur kurativen Behandlung geäußert hatte, sei es in Stadium 1 und 2 vertretbar gewesen, dem nachzugeben. Die Vertrauensbildung zu den Angehörigen sei in solchen Fällen sehr wichtig und ein deeskalierendes Verhalten der Abhandlung eines starren Schemas vorzuziehen. Obwohl das Gericht auch die Pflicht sah, die Patientin spätestens in Stadium 2 über die Vorzüge der palliativen Behandlung aufzuklären, verneinte es letztlich eine Haftung der Klinik.
Fazit | Das Urteil räumt den behandelnden Ärzten zwar einen Handlungsspielraum ein, schafft allerdings auch einen offenen Widerspruch zwischen der Vertrauensbildung mit den Angehörigen und der Achtung des Patientenwillens. Die Vorstellungen werden aber oft genug – wie auch hier – nicht übereinstimmen. Dazu, wie dieser Widerspruch über den entschiedenen Fall hinaus aufzulösen ist, macht das Gericht keine Angaben. Ein Königsweg – sofern er existiert – wird ohne einen solchen Widerspruch auskommen und wohl erst noch gefunden werden müssen. |
AUSGABE: CB 1/2025, S. 20 · ID: 50244879