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PatientenrechteNach Urteil der Verfassungsrichter: Prüfen Sie Ihre Dienstanweisungen zur Zwangsbehandlung!

Abo-Inhalt11.12.20244086 Min. LesedauerVon RA Dr. Matthias Losert, LL.M., Berlin

| Bestimmte Fälle können bei Menschen unter rechtlicher Betreuung eine Zwangsbehandlung (CB 10/2023, Seite 3 ff.) bzw. eine Zwangsmedikation erfordern. Nach § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darf eine Zwangsmedikation nur in einem Krankenhaus stattfinden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun entschieden, dass diese Norm verfassungswidrig ist (Urteil vom 26.11.2024, Az. 1 BvL 1/24). Es ist zu erwarten, dass diese vom Gesetzgeber nachgebessert wird. Chefärzte sollten daher die Gesetzgebung im Auge behalten und ihre Dienstanweisungen zu Zwangsbehandlungen sorgfältig überprüfen. |

Betreute Patientin will Medikation in der Wohngruppe erhalten und legt erfolgreich Rechtsbeschwerde ein

Die Beschwerdeführerin leidet an einer paranoiden Schizophrenie. Sie lebt in einem Wohnverbund in geschlossener Unterbringung. Sie hat einen Betreuer für ihre gesundheitlichen Angelegenheiten und lehnt eine ärztlich für erforderlich gehaltene Medikation mit Neuroleptika ab. Daher erhielt sie in der Vergangenheit die Neuroleptika regelmäßig zwangsweise in einem nahe gelegenen Krankenhaus. Diese Zwangsmedikation konnte wegen des Krankenhausvorbehalts in § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB (s. o.) nicht in ihrer Wohngruppe stattfinden. Die Patientin erlebte den Transport ins Krankenhaus mit Fixierung und Spuckmaske als sehr belastend. Daher beantragte ihr Betreuer beim Betreuungsgericht, die Medikation in der Wohngruppe durchzuführen. Das lehnte das Betreuungsgericht mit Verweis auf § 1906a BGB jedoch ab.

Der von der Patientin mit Rechtsbeschwerde angerufene Bundesgerichtshof setzte das Verfahren aus und legte es nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz, sowie § 13 Nr. 11 und § 80 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz dem BVerfG zur Entscheidung vor. Die Karlsruher Richter stuften die Norm des § 1906a BGB mit fünf zu drei Stimmen als verfassungswidrig ein.

BVerfG hält § 1906a BGB für verfassungswidrig, setzt aber hohe Hürden für die Behandlung außerhalb des Krankenhauses

Nach Ansicht des BVerfG ist der Gesetzgeber mit dieser gut gemeinten Norm des § 1906a BGB über das Ziel hinausgeschossen. Denn bei deren wortgetreuer Befolgung können Härten wie im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Patienten in einem Krankenhaus mehr vor Grundrechtseingriffen im Rahmen einer ärztlichen Behandlung geschützt sein sollen als außerhalb des Krankenhauses.

Das BVerfG hat festgestellt, dass die Zwangsbehandlung nur dann außerhalb eines Krankenhauses stattfinden darf, wenn die Verbringung des Patienten in ein Krankenhaus zu erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit führt. Diese Beeinträchtigungen müssen die Unannehmlichkeiten, die jede Zwangsbehandlung mit sich bringt, überschreiten. Wenn die Zwangsbehandlung allerdings nur sachgerecht in einem Krankenhaus durchgeführt werden kann, ist die Zwangsbehandlung im Krankenhaus jedoch zulässig. Das wäre etwa der Fall bei größeren Operationen. Dann würde das Interesse des Patienten, wegen nur psychischer Folgen nicht in das Krankenhaus verbracht zu werden, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Güterabwägung zurückgestellt werden. Es muss jedoch in jedem Einzelfall eine umfassende Interessenabwägung und Einbeziehung aller fachlichen Gesichtspunkte stattfinden. Diese fachlichen Gesichtspunkte können auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Infektionsgefahr oder dem für Demenzpatienten besonders belastenden Umgebungswechsel zu sehen sein.

Schriftliche Zustimmung zu Zwangsbehandlungen sinnvoll

Bei einwilligungsfähigen Patienten empfiehlt es sich, diese vorher um die schriftliche Zustimmung zu eventuellen Zwangsbehandlungen zu bitten. Das bietet sich an, wenn etwa ein Patient nach einer Herzoperation mit einer langen Narkose nach dem Aufwachen wegen einer unverschuldeten Desorientierung aggressiv werden könnte. Diese Einwilligung sollte auch mögliche Fixierungen oder Sedierungen umfassen. Allerdings darf das nicht dazu führen, dass das Krankenhaus wegen eventuellem Personalmangel den Patienten länger als unbedingt erforderlich fixiert oder sediert (vgl. CB 08/2023, Seite 6). Eine dazu erteilte Einwilligung des Patienten ist im Lichte des Grundgesetzes dahin gehend auszulegen, dass diese wegen der erheblichen Grundrechtsrelevanz nur die nötigsten Maßnahmen umfasst.

Verfassungswidrige Norm gilt bis Ende 2026 weiter

Wie sensibel diese Materie ist, zeigt sich nicht nur in dem 63 Seiten umfassenden Urteil des BVerfG, sondern auch daran, dass drei der acht Richter des erkennenden Senats gegen das Urteil gestimmt hatten. Ein Richter schrieb dazu ein Sondervotum, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen nur in einem Krankenhaus stattfinden dürfen. Der Gesetzgeber ist nun bis Ende 2026 verpflichtet, diese Norm zu überarbeiten. Bis zu dieser Überarbeitung gilt diese Norm jedoch weiter. Diese Weitergeltung der Norm ist problematisch, da bis Ende 2026 eine Norm angewandt wird, von deren Verfassungswidrigkeit alle Beteiligten wissen. Diese Anordnung stärkt sicher nicht das Vertrauen in den Rechtsstaat.

Praxistipp | Chefärzte sollten sich der Grundrechtsrelevanz ärztlicher Zwangsbehandlungen stets bewusst sein. Im Rahmen seiner Aufsichtspflicht sollte er diesbezügliche Dienstanweisungen fortwährend der Rechtsentwicklung anpassen, bzw. überprüfen lassen. Diese Überprüfungen sollten wegen der Unvoreingenommenheit an externe Rechtsanwaltskanzleien ausgelagert werden. In den Mandatsbedingungen sollte festgelegt werden, dass die Prüfung neutral und nicht im Sinne der Klinik zu erfolgen hat. Das Krankenhauspersonal sollte regelmäßig über die Zulässigkeit von ärztlichen Zwangsbehandlungen geschult werden. Durch die Anordnung von Berichtspflichten über ärztliche Zwangsbehandlungen kann der Chefarzt dann prüfen, ob seine Anordnungen auch eingehalten werden.

AUSGABE: CB 1/2025, S. 6 · ID: 50257876

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